Textatelier
BLOG vom: 06.12.2014

Verhunzung: Linzer Torte und Filet Wellington mit Ketchup

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Am 03.10.2010 schrieb ich das Blog „Linzer Torte: Köstliche badisch-österreichische Spezialität.“ Ich war bisher der Meinung, dass man eine solche kulinarische Köstlichkeit nicht verhunzen kann. Aber am 30.11.2014 wurde ich eines Besseren beziehungsweise Grausigeren belehrt, als ich den Bericht „Backwerk des Bürgertums“ in der Zeitung „Der Sonntag“ (www.der-sonntag.de) las. Zunächst wurden die Vorzüge der Torte hervorgehoben, dann die Kriegs-Linzer-Torte erwähnt. Anstelle der Mandeln enthielt diese gemahlene Bucheckern oder Kartoffeln.
 
Dann kam der Hammer: In den USA wird die Linzer Torte in einer aussergewöhnlichen Variante – in meinen Augen ist es eine Verhunzung − angeboten. Die „Bäcker“ füllen die Torte mit Ketchup und nicht mit Himbeer- oder Johannisbeer-Marmelade, wie es in Südbaden und Österreich der Fall ist. In einem neuen US-amerikanischen Rezept wird auf dem gebackenen Boden oder zwischen den Streifen Ketchup gefüllt. Das sieht dann schön rot aus.
 
Als ich dies meinen Angehörigen erzählte, die gerne die von mir gebackene Original Linzer Torte essen, kannte das Grauen keine Grenzen. Alle verzogen das Gesicht. Ich kann mir vorstellen, dass eine solche Torte kaum einen einheimischen und österreichischen Gaumen erfreuen dürfte.
 
Filet Wellington mit Ketchup
Ich wundere mich immer wieder, dass Gäste aus dem „Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten“, den USA, bei der Speiseneinnahme etwas aus der Rolle fallen und bezüglich Esskultur wenig Ahnung haben. Hier ein Beispiel:
 
Der 1. Deutsche Weltmeister der Sommeliers, Markus Del Monego, hatte mit 17 Jahren ein Schlüsselerlebnis. Er nahm 1979 einen Ferienjob in der neu eröffneten Autobahnraststätte Mövenpick am Grenzübergang Weil am Rhein D an. Dort hatte er ein einschneidendes Erlebnis mit einem US-amerikanischen Ehepaar. Diese übergossen das feine Filet Wellington mit Ketchup und zuckerten den besten Rotwein, einen Château Talbot. Dieser Affront der Köche und Sommeliers war zuviel für Del Monego. Er weigerte sich, das Ehepaar weiter zu bedienen.
 
Die Restaurantleiterin Köstli musste beschwichtigen. Später gab sie ihm folgende Devise mit auf dem Weg: „Die Gäste kommen, um zufriedengestellt zu werden!“ Die Chefin erkannte sein Talent und schickte den jungen Ferienjobber zu einem Weinseminar. Sie hat damit den Grundstein für seine Weinbegeisterung gelegt.
(Quelle: „Perspektive Weil – Das Stadtmagazin“, Weil am Rhein 1999).
 
Wein für DDR-Bürger
Als die DDR noch existierte, besuchten viele Westdeutsche ihre Verwandten. Die DDR-Bürger waren besonders auf Westprodukte erpicht. Das wusste auch ein ehemaliger Arbeitskollege. Anlässlich eines Besuchs brachte er eine Köstlichkeit, einen Wein aus dem Markgräflerland, mit. Die Flasche wurde bald darauf entkorkt und der Inhalt probiert. Die Konsumenten aus dem Osten verzogen das Gesicht. Der Wein war ihnen zu sauer, wie sie sagten. Aber sie wussten sich zu helfen. Sie zuckerten den Wein, dann mundete er ihnen. Der Besucher war irritiert. Zukünftig brachte er keinen Wein mehr mit, dafür Kaffee. Vielleicht war der Kaffee aus dem Westen ihnen zu bitter. Wer weiss?
 
Kuchen und Bier
Als ich im Badischen nach einer Wanderung in einem Restaurant Bier bestellte und darauf einen Kuchen verzehrte, wurde ich schon als kulinarischer Banause angesehen. Dann erklärte ich den anwesenden Wanderfreunden, das sei in Bayern so üblich. Ich hatte ja fast 20 Jahre in Bayern gewohnt und diese kulinarische Komposition kennengelernt.
 
Bier und Kuchen finde ich wesentlich besser als eine Weinverdünnung mit Cola! Manche können von Cola nicht genug bekommen und verdünnen dieses tatsächlich mit Wein. Dies konnte ich einige Mal beobachten.
 
„Der Speck ist aber zäh.“
In meinem Blog vom 01.05.2008 (Beim „Speckpapst“: „Schwarzwälder Speck-Kunde mit Musik“) führte Joachim Kaiser das richtige Speckschneiden vor. Dies praktizierte er auch in einer Fernsehsendung. Er schnitt das Geräucherte in einer atemberaubenden Schnelligkeit in dünne Scheiben. Die Zuschauer wunderten sich, und er wurde dann als der „schnellste Speckschneider“ der Welt betitelt. Kein Wunder, als gelernter Koch hat er das richtige und zügige Schneiden ja akribisch üben können. Das richtige Speckschneiden hatte ich schon vorher von einem Freund erlernt.
 
In diversen Wirtschaften kommt es vor, dass die Speckesser Senf und sogar Ketchup dazu bestellen. Als ein Wanderfreund einmal Senf nachforderte, sagte der Wirt unwirsch: „Zu Speck gibt es keinen Senf.“
 
Auch ungeübte Speckesser blamieren sich. So beobachtete ein Wirt einen „Preussen“ (so bezeichnete er den Gast), der von der dicken Speckscheibe ein Stück abbiss und daran lange herumkaute. „Der Speck ist aber zäh“, bemerkte er. Da wurde der Wirt etwas fuchtig und zeigte dann dem Gast, wie man Speck richtig schneidet.
 
Weitere ungewöhnliche Essgewohnheiten
Wenn Sie einmal im Internet unter „Ungewöhnliche Essgewohnheiten“ stöbern, ist das nicht immer appetitanregend. So wird beispielsweise gekochter Schinken mit Marmelade oder Vanillepudding mit Röstzwiebeln verzehrt. Aber das ist wohl nicht so ungewöhnlich. Ich beobachtete in Norddeutschland, wie Einheimische Schnitzel natur mit Apfelmus verzehrten. Andere sind der Ansicht, Nudeln mit Apfelmus sei ein kulinarischer Leckerbissen. In der Schweiz sind Hörnli, Gehacktes (mit Sauce) und Apfelmus das beliebteste Nationalgericht, weil salzig und süss tatsächlich sehr gut harmonieren.
 
Einer schrieb: „Wenn ich auf mein Rührei Erdbeermarmelade gebe, dann muss ich alleine essen.“
 
Auf diese Idee wäre ich nie gekommen: Ein Zeitgenosse gibt auf dem Frühstücksei Maggi oder Senf drauf, und ein anderer verzehrt Käsebrot mit Ketchup. Ketchup scheint überall beliebt zu sein, so tunkt ein Bursche vor dem genussvollen Verzehr seine Croissant ins Ketchup.
 
Und noch ein Höhepunkt der Genussfreuden: „Ich liebe Brote, auf denen Leberwurst und Nutella zusammen drauf ist.“ Ich hoffe, dass Ihnen jetzt nicht der Appetit vergangen ist.
 
Wie wir gesehen haben, gibt es überall auf der Welt sonderbare Essgewohnheiten. Ich beleuchtete nur diese in unserem Lande und bei Gästen aus den USA.
 
Der eine findet die ungewöhnliche Zusammenstellung von Speisen lecker, während der andere sich graust. Ich werde in den nächsten Tagen eine Original Linzer Torte backen. Die Amis würden vielleicht eine solche mit Ketchup vorziehen. Wer weiss?
 
 
Literatur
Faissner, Waltraud: „Linzerische Torten auf anderer Art“, Historische Rezepte zur Linzer Torte aus der Kochbuchsammlung der Bibliothek der OÖ-Landesmuseen und anderen Quellen, Neuauflage, Linz 2010.
Krauss, Irene: „Backwerk des Bürgertums“, „Der Sonntag“ vom 30.11.2014.
 
Hinweis auf weitere Blogs zum Thema spezielles Essen
01.05.2008: Beim „Speckpapst“: Schwarzwälder Speck-Kunde mit Musik
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