BLOG vom: 11.12.2014
Tod von Ralph Giordano: „Israel, um Himmels willen Israel“
Autor: Pirmin Meier, Historischer Schriftsteller. Beromünster LU/CH
Ralph Giordano, geboren am 20. März 1923 in Hamburg, verstorben am 10.12.2014 in Köln, war ein brillanter und mutiger deutsch-jüdischer Publizist, der auf beeindruckende Weise und im Einzelfall unter dem Schutz seiner Herkunft von der Meinungsfreiheit Gebrauch zu machen wusste. Wie Reinhold Schneider und dieses Jahr Hans Rudolf Giger starb er an den Folgen eines Sturzes.
Zu seinem 90. Geburtstag wurde Giordano am Hamburger Johanneum-Gymnasium auf pädagogisch brauchbare Weise gefeiert. Er hatte die Schule zu Beginn des 2. Weltkrieges wegen seiner „nichtarischen“ Mutter verlassen müssen. In seiner Autobiographie schreibt er: „Die Befreiung von der Angst vor dem jederzeit möglichen Gewalttod, weil ich eine jüdische Mutter hatte, war, ist und wird das Schlüsselerlebnis meines Daseins bleiben.“
Unter schwierigen Bedingungen überlebte Giordano den 2. Weltkrieg, wurde in Hamburg zusammen mit seiner Mutter kurz vor Kriegsende von britischen Soldaten aus einem Versteck befreit. Aufgrund dieser Erfahrungen im 2. Weltkrieg wurde er dann Kommunist, und zwar in der DDR. In seinem dort publizierten „Westdeutschen Tagebuch“ verstieg er sich zum Lob der „Weisheit“ Josef Stalins, obwohl dieser nichtsdestotrotz mehr Juden auf dem Gewissen hat als irgendein Russe der Geschichte, worauf William S. Schlamm und diverse Trotzkisten schon in den dreissiger Jahren aufmerksam gemacht haben. Also ein unentschuldbarer politischer Irrtum. Dieser ist Giordano aber insofern nicht zu stark anzukreiden, als er mit seinem berühmten Buch „Die Partei hat immer recht“ mit dem roten Totalitarismus abrechnete. Dass derselbe, wie Giordanos etwas jüngerer Publizistenkollege Henrik R. Broder feststellte, sogar noch mehr Opfer gefordert habe als der Nationalsozialismus, erklärt sich aufgrund der längeren Virulenzdauer des Kommunismus. Die Abrechnung mit der Partei, „die immer recht hat“, war insofern auch eine Abrechnung mit den eigenen Irrtümern.
Der Sozialromantik blieb Giordano treu, als er ein Drehbuch für eine filmische Hommage an den kolumbianischen bewaffneten Priester Camilo Torres (1929‒1966) schrieb. Mit mehr Sachkompetenz und entsprechender Leidenschaft trat Giordano publizistisch gegen jede Art von Neonazismus und Antisemitismus auf. Es bleibt unbestreitbar, dass er in dieser Eigenschaft in Deutschland eine Funktion erfüllte. Dass dabei übers Ziel hinausgeschossen wurde, etwa, indem er den Norweger Autor Jostein Gaarder wegen dessen Kritik an Israel zum Antisemiten verteufelte, ist das eine; dass er den mit dem System zur Zeit von dessen Herrschaft nicht paktierenden Ernst Jünger ebenfalls nicht mochte, das andere. Ernst Jünger hat sich in den zwanziger Jahren unbestreitbar antisemitisch geäussert. Dabei gehört Giordanos Buch „Israel, um Himmels willen Israel“ (1991) zu den klar besten Studien von Israel-Freunden über Israel, weil der die Textsorte der Reportage beherrschende Verfasser auch Palästinenser zu Wort kommen lässt und die Berechtigung der Kritik an Israel keineswegs in Abrede stellt. Nur sollte aus seiner mutmasslichen Sicht diese Kritik hauptsächlich von Juden und Israelis selber kommen, was häufiger der Fall ist als man allgemein unterstellt. Eindrucksvoll das Bekenntnis von Ralph Giordano: „Gleichzeitig bin ich mir bewusst, dass ich hier oft zwischen den Fronten stehe. Der innere Konflikt zwischen dem Menschenrechtler in mir und meiner Bindung an Israel ist in vollem Gang. Deshalb wird es auch ein Wechselbad widerstreitender Empfindungen geben, je nachdem, wessen Gewalt das Recht, den Körper und die Seele der anderen verletzt ‒ ich werde immer Partei für den Verletzten ergreifen.“
Kritisieren Nichtjuden und Nichtisraelis Israel, ergeht es ihnen aus der Sicht Giordanos schnell so, wie er Jostein Gaarder abgekanzelt hat. Dabei muss Gaarder, dessen Israelkenntnisse nicht über alle Zweifel erhaben sind, hier nicht in Schutz genommen werden. Über alles gesehen war er aber als Schriftsteller erfolgreicher als Giordano, so wie andererseits Ernst Jünger das Phänomen Krieg und Soldatentum weltliterarisch so beschrieben hat, dass es noch in hundert und zweihundert Jahren als Quelle dienen kann, wenngleich manchmal als solche von schauderlicher Natur. Demgegenüber drückt die Abrechnung Giordanos mit der sogenannten Traditionslüge der Bundeswehr nicht sehr viel mehr aus als durchschnittlichen Antimilitarismus. Nach derlei Kriterien müssten auch die Russen, sogar die Amerikaner, die Franzosen, die Engländer und erst recht die Chinesen und im Prinzip auch die Israelis mit militärischer Traditionspflege aufhören. In der Schweiz hat zu diesem Thema Ständerat Thomas Minder die Abschaffung des Abschreitens von Ehrengarden durch Staatsbesucher gefordert, was dann aber nicht mal von Armee-Abschaffern unterstützt wurde. Über alles gesehen, hat Deutschland genauso das Recht auf militärische Traditionspflege wie sagen wir mal die türkische Armee. Das Problem des ungerechten Krieges liegt nicht in der Traditionspflege, sondern klar tiefer.
Wurden Bücher wie dasjenige Giordanos über die Traditionspflege der Bundeswehr wenig wirksam und ohnehin nur von Gleichgesinnten mit Applaus bedacht, bleiben autobiographische Schriften wie „Die Bertinis“ (1982) und Giordanos Buch über seine sizilianischen Wurzeln „Sizilien! Sizilien! – Eine Heimkehr“ höchst lesenswert. Auszüge aus diesem Buch sind enthalten im Band „Sizilien fürs Handgepäck“ (2012), herausgegeben von Ulla Steffan im Zürcher Unionsverlag.
Es bleibt dabei, dass Ralph Giordano ein bedeutender und zweifelsohne mutiger Publizist war. Dies musste er weniger mit einer zweiten Besiegung Hitlers unter Beweis stellen als er sich nicht scheute, sich als einer der schärfsten Islamkritiker Deutschlands zu profilieren. Er schreckte nicht davor zurück, den Bundespräsidenten Christian Wulff und Joachim Gauck in ihren opportunistischen Bekenntnissen, dass der Islam angeblich zu Deutschland gehöre, mit dem Hinweis auf den grundgesetzwidrigen Inhalt sowohl der Scharia als auch des Korans, Paroli zu bieten. Bei dieser Gelegenheit wird jedoch klar, dass ein CDU-Bundestagsabgeordneter, der wie Ralph Giordano verschleierte Musliminnen als „Pinguine“ bezeichnen würde, sich entweder öffentlich zu entschuldigen oder dann zurückzutreten hätte. Auch für Thilo Sarrazin oder AfD-Chef Bernd Lucke wäre eine solche Wortwahl wohl jenseits von Gut und Böse. Etwas weniger umstritten, aber doch immer noch sehr umstritten bleibt Giordanos Engagement gegen den Moscheenbau in Köln, bei dem er den Charakter des Eroberungszeichens offensichtlich durchschaute.
Im Hinblick auf die Meinungsfreiheit gilt in Deutschland der Satz von George Orwell, dass alle „Tiere“ gleich, einige aber etwas gleicher seien als die anderen. Von dieser jüdischen Narrenfreiheit des Verstorbenen macht unter den Lebenden derzeit wohl nur noch Henrik R. Broder vergleichsweise ausgiebig Gebrauch. Dabei hat der beste jüdische Polemiker aller Zeiten, Karl Kraus, mit seinem Leben und Werk gezeigt, dass Polemik zwar unentbehrlich ist, aber zuletzt doch fruchtlos bleibt.
Beim Andenken an Ralph Giordano wird man bei weitem nicht nur an Polemik denken. Wie der ebenfalls dieses Jahr verstorbene Siegfried Lenz hat sich Giordano unter anderem mit den Masuren befasst, was in das Buch „Ostpreussen ade!“ eingegangen ist. Über alles gesehen, ist auch von seiner Lebensgeschichte her Ralph Giordano ein möglicherweise glaubwürdigerer Autor als der mit ihm über viele Jahre verbunden gewesene, voriges Jahr verstorbene Walter Jens, dessen Mitgliedschaft bei der NSDAP und dessen Beschimpfung von Thomas Mann als „Asphaltliterat“ an der Patina des sogenannten Antifaschisten ziemlich geritzt haben.
Zu den bleibenden Verdiensten des brillanten Publizisten Giordano gehört es, dass er in seinem ganzen Leben wohl nie irgendeine Zeile geschrieben hat, um sich damit beliebt zu machen.
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