Textatelier
BLOG vom: 15.12.2014

Christopher Eric Hitchens – Hommage auf einen Atheisten

Autor: Pirmin Meier, Historischer Schriftsteller, Beromünster LU/CH
 
 
Christopher Eric Hitchens, geboren am 13.04.1949 in Portsmouth, England; verstorben vor vier Jahren, am 15.12.2011 in Houston/Texas, war ein britisch-US-amerikanischer Autor, Publizist und Literaturkritiker. Wie selten einer hat er es verstanden, sich zwischen alle Stühle und Bänke zu setzen. Wenn heute wieder an ihn erinnert wird, so deshalb, weil er schon vor Jahren auf die nunmehr bekannt gewordenen Foltermethoden des CIA aufmerksam machte, sich sogar im Selbstversuch einmal einer solchen Folterung unterwarf.
 
Bemerkenswert an diesem Autor ist ferner, dass er, im Gegensatz zur grossen Mehrheit seiner US-republikanischen Parteigänger in den Vereinigten Staaten, eine politisch „neokonservative” Haltung mit einem rabiaten Atheismus und insbesondere radikaler Kritik an der katholischen Kirche zu verbinden wusste. Wohl kaum ein bekennender Atheist und fulminanter Religionskritiker hat sich vergleichsweise über Jahre vehement für den Ersten und Zweiten Irakkrieg starkgemacht, wiewohl er am Ende die Administration George W. Bush kritisierte und sich für die Wahl von Barack Obama zum US-Präsidenten stark machte. Er starb indes zu früh, um durch die „Weiterentwicklung“ in dessen Amtszeit noch enttäuscht werden zu können.
 
In keiner Weise wäre Hitchens durch die neuesten Enthüllungen über CIA-Foltermethoden überrascht. Solche wurden schon im Zweiten Weltkrieg angewandt, was damals jedoch, als der „guten Sache“ dienend und mit dem Hinweis, dass die Nazis und Kommunisten noch viel schlimmer gewesen seien, generationenlang keinerlei Beanstandung fand. Wer über den totalitären Kommunismus informiert war, brauchte im Übrigen weder Nikita Sergejewitsch Chruschtschows bekannte Enthüllungsrede vom Parteitag 1956, noch das Erscheinen von Alexander Issajewitsch Solschenizyns „Archipel Gulag“ abzuwarten, so wie die Greuel-Taten der Nationalsozialisten zu ihrer Enthüllung in keiner Weise auf die amerikanische Fernseh-Serie „Holocaust“ angewiesen waren.
 
Eine wünschbare Würdigung von Christopher Eric Hitchens passt gut zum Abschluss des Todesjahres von Karlheinz Deschner, an den ich trotz meiner Kritik an ihm immer dann denken muss, wenn Christliches und Frommes auf unangemessene und heuchlerische Weise verteidigt wird. Was Hitchens betrifft, gehört dieser geistesgeschichtlich eher zur Linken als zur Rechten, distanzierte sich aber von der Linken ab dem Augenblick, da sie sich gegenüber der rabiatesten fundamentalistischen Gefahr der Gegenwart, dem Islamismus, als blind oder zumindest naiv zeigte.
 
Über alles gesehen, würde ich die religionskritische Haltung von Hitchens in der Tradition von Denis Diderot, dem mutmasslich klügsten Atheisten überhaupt, bis zu Ludwig Feuerbach sehen, einem Vordenker der marxistischen Religionskritik. Das letzte Wort zu einem solchen Thema ist freilich längst nicht gesagt. Noch etwas Interessantes (siehe den Wikipedia-Eintrag unten): Diese Kritik von Hitchens an Mutter Teresa ist intellektuell eher berechtigt als praktisch. Zur Metaphysik des Leidens wäre indes, zumal von Atheisten, die Philosophie von Arthur Schopenhauer heranzuziehen. Bei den hier pro und contra gesetzten Thesen fällt auf, dass Meister Eckhart von den Religionskritikern in der Regel aussen vor gelassen wird. Dies hängt wohl damit zusammen, dass man mit der herkömmlichen Frage „Existiert Gott?“ (u. a. auch ein Buchtitel von Hans Küng) bei Dionysios Areopagita wie auch bei Meister Eckhart und Ludwig Wittgenstein voll ins Offside läuft. Man hat nicht tief genug darüber nachgedacht! Ein weites Feld, für das hier der Platz für Erörterungen nicht reicht. Es genügt, dass ein Atheist wie Christopher Hitchens zumal in der Weihnachtszeit 2014 zur Unterbrechung der allgemeinen Erbauung mal eine Hommage verdient.
 
Das Wikipedia-Porträt
Im Internet-Lexikon Wikipedia ist folgendes, detailliertes Hitchens-Porträt zu finden:
 
„Christopher Hitchens’ Vater war Offizier der Royal Navy, seine Mutter war Mitglied beim Women’s Royal Naval Service. Der Beruf des Vaters brachte es mit sich, dass Hitchens seine frühe Kindheit an verschiedenen Orten verbrachte, darunter Malta und Rosyth in der schottischen Verwaltungseinheit Fife. Seine Mutter legte Wert auf eine Ausbildung, die ihrem Sohn den Zugang zur Oberschicht ermöglichen sollte. Daher besuchte er auf ihr Drängen schon früh ein Internat und schliesslich die Ley School in Cambridge. 1967 schrieb er sich in das Balliol College in Oxford ein. Dort begann er sich in der politischen Linken zu engagieren, knüpfte jedoch Verbindungen zu Personen aus dem gesamten politischen Spektrum. 1970 schloss er sein Studium mit einem Bachelor in Philosophie, Politik und Wirtschaft ab und zog anschliessend nach London, wo er für The Times Higher Education Supplement schrieb. Später arbeitete er für den New Statesman, den Daily Express und den Evening Standard. Nach einem Aufenthalt in New York zog er 1982 nach Washington, D.C.. Dort schrieb er eine Kolumne für die Zeitschrift The Nation. Zuletzt schrieb Hitchens Kolumnen für Vanity Fair und für das Online-Magazin Slate.
 
Anfang Juni 2010 veröffentlichte Hitchens seine Memoiren. Ende Juni 2010 wurde bei Hitchens ein Speiseröhrenkrebs im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Er verstarb am 15.12.2011 im M.D. Anderson Cancer Center in Houston an einer Lungenentzündung, einer Folge seiner Krebserkrankung.
 
Hitchens war ein prominenter Vertreter des Atheismus und Antitheismus. In seinem 2007 erschienenen Buch ,Der Herr ist kein Hirte. Wie Religion die Welt vergiftet’ forderte Hitchens die Befreiung von der ,geistigen Sklaverei der Religion’. Der Glaube an einen Gott oder Götter stand für ihn auf tönernen Füssen. Für ihn war die Religion unter anderem ,gewaltsam, irrational, intolerant’, eine Mischung aus ,Tribalismus und Bigotterie’ sowie feindselig gegen die Freiheit der Wissenschaft. Er vertrat in diesem Buch vier Hauptthesen, nämlich dass Religionen in ihren Schöpfungsgeschichten über die Menschen und das Universum deren Ursprünge nachweislich verkehrt wiedergeben würden, ein besonders stark ausgeprägt devotes Verhalten mit ebenso stark ausgeprägter Selbstbezogenheit paarten, der Grund für riskante sexuelle Unterdrückung seien (vergleiche z. B. Genitalverstümmelung oder Kondomverbot trotz AIDS), auf Wunschdenken basierten.
 
Hitchens betrachtete die in Teilen der religiösen Rechten sich ausbreitende Skepsis gegenüber der darwinschen Evolutionstheorie mit Argwohn. Er richtete sich vehement gegen die Versuche der Kreationisten, ihre pseudowissenschaftlichen Thesen im Biologieunterricht der öffentlichen Schulen zu etablieren.
 
Bei einem Vortrag in der London Westminster Hall am 27.03.2007 lobte er den Atheisten Richard Dawkins und sagte, es sei gut, dass mit ihm zumindest ein ‚Extremist’ in puncto Atheismus anwesend sei. Während eines Vortrags in der Universität von Toronto am 15.11.2006 sagte Hitchens, man solle Religion der Lächerlichkeit preisgeben und ihr mit ,Hass und Spott’ begegnen.
 
Immer wieder erregte er Aufsehen mit scharfen Angriffen gegen Personen des religiösen Lebens. So bezeichnete er die katholische Ordensschwester Mutter Teresa in einem Zeitungsartikel als ‚Ghul von Kalkutta’. Er warf ihr Missionierungsbestreben und eine Verherrlichung des Leids vor. So habe sie in ihren Hospitälern den Einsatz von Schmerzmitteln untersagt, weil sie gemeint habe, die Patienten seien umso näher beim christlichen Gott, je mehr sie litten.
 
Hitchens, ein ehemaliger Trotzkist[8] und Kolumnist der linken Zeitschrift The Nation, hatte mit seinen investigativen Recherchen lange Zeit Beifall aus dem Lager der Linken erhalten, u. a. für sein 2001 veröffentlichtes Buch über den ehemaligen US-Aussenminister Henry Kissinger, den er scharf kritisierte wegen dessen Mitverantwortung für die CIA-Aktivitäten in Chile, die sinnlose Ausdehnung des Vietnamkrieges und die Rolle der Vereinigten Staaten beim Völkermord in Osttimor. Hitchens begann sich jedoch allmählich von den Positionen der Linken zu distanzieren, besonders nachdem die Fatwa gegen seinen langjährigen Freund Salman Rushdie verhängt worden war. Nach dem 11. September verstärkte Hitchens seine Kritik an der Linken und stellte sich zur Überraschung seiner früheren Mitstreiter auf die Seite der Neokonservativen.
 
Ein Grund für diesen Gesinnungswandel waren die Erklärungsversuche vieler Linker für den islamistischen Terrorismus. Hitchens übte scharfe Kritik an Versuchen, die Terroranschläge als Reaktion auf einen „strukturellen Imperialismus“ der Vereinigten Staaten zu deuten. Die Attentäter des 11. September seien vielmehr „Faschisten mit einem islamischen Gesicht“[11]; dies dürfe nicht durch globalisierungskritische Formeln vergessen werden, in welchen die Täter zu Opfern stilisiert würden. Die Neue Linke habe als Ausdruck der Postmoderne einen relativistischen Charakter angenommen. The Nation verliess Hitchens im Streit, nachdem er Redakteuren und Lesern vorgeworfen hatte, den damaligen US-Justizminister John Ashcroft für eine grössere Gefahr zu halten als Osama bin Laden.[12] Allerdings hat er seitdem immer wieder betont, dass sich seine Ansichten seitdem nicht wesentlich verändert haben. Vielmehr sieht er die Unterstützung des Irak-Kriegs gerade als zwingende Konsequenz aus seiner religionskritischen Haltung und seinem Bekenntnis zu einem ,säkularen Humanismus’.
 
Im Internet-Magazin Slate erklärte Hitchens am 30.05.2011, das Versagen des Westens, den serbischen Verbrechen während des Bosnien-Krieges entgegenzutreten, habe die ‚Gemetzel’ verlängert. Selbst nach Dayton habe man Slobodan Miloševic hinsichtlich des Kosovo Konzessionen angeboten, bis der Plan der ethnischen Säuberung der Albaner aus Kosovo und Mazedonien schliesslich scheiterte. Hitchens verglich Ratko Mladic mit John Demjanjuk; anders als jener sei Mladic aber kein Befehlsempfänger, sondern der Organisator der Verbrechen gewesen.
 
Hitchens unterstützte den Zweiten Irak-Krieg der Vereinigten Staaten. Er hielt ihn für gerechtfertigt, um die Werte des Säkularismus, des Feminismus und der liberalen Demokratie zu verteidigen. Er sah den Krieg als Konflikt zwischen säkularer Demokratie und ‚theokratischem Faschismus’ (bzw. ,Faschismus mit einem islamischen Gesicht’). Deshalb wird er oft auch als ,liberaler Falke’ bezeichnet. In diesem Zusammenhang ist auch seine heftige Kritik an Michael Moore und dessen Film Fahrenheit 9/11[14] zu sehen. Auch acht Jahre nach Kriegsbeginn behielt Hitchens seine Meinung über den Krieg bei. Dennoch warf er der Bush-Regierung eine nachlässige Führung und Instrumentalisierung des Irak-Einsatzes vor und sprach sich für eine gerichtliche Verfolgung der Verantwortlichen aus (...).
 
Hitchens trat oft in Talkshows auf und lieferte sich teilweise hitzige Debatten in Wort und Schrift mit so unterschiedlichen Vertretern des politischen Lebens wie Noam Chomsky, Charlton Heston, Norman Finkelstein, Al Sharpton, George Galloway und seinem jüngeren Bruder Peter Hitchens, der ebenfalls ein bekannter Publizist ist. Grössere Aufmerksamkeit erlangte ein Fernsehauftritt von Hitchens in der Fernseh-Show Hannity&Colmes des konservativen Privatsenders Fox News Channel, in dem er heftig mit einem der beiden Moderatoren, Sean Hannity, aneinandergeriet. Anlass des Wortgefechts waren harte und zum Teil spöttische Kommentare von Hitchens über den am Vortag verstorbenen amerikanischen Fernsehprediger Jerry Falwell. Aufsehen erregte Hitchens auch mit einem Selbstversuch, bei dem er sich (als Irakkriegsbefürworter) freiwillig dem so genannten Waterboarding unterzog. Diese Verhörpraktik geisselte er im Anschluss als Folter und widersprach damit Darstellungen der Bush-Regierung. Während des Präsidentschaftswahlkampfes 2008 unterstützte er Barack Obama gegen John McCain.
 
Zu Hitchens persönlichen Freunden und Weggefährten zählten unter anderem der Neokonservative Paul Wolfowitz und der irakische Politiker Ahmad Tschalabi. Hitchens war auch ein Ehrenmitglied der National Secular Society, des wichtigsten Verbands der britischen Atheisten.”
 
Soweit das Zitat aus Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Christopher_Hitchens).
 
Der als „rechtskonservativ“ missverstandene Atheist Cristopher Hitchens dürfte wohl als einer der bemerkenswertesten modernen Repräsentanten der sogenannten „Pascalschen Wette” gelten. Mit anderen Worten: Jetzt, nach seinem Ableben, weiss er endgültig, ob es einen Gott gibt oder eben nicht. Oder wie es der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer auf den Punkt gebracht hat: „Gott, wenn es dich gibt, rette meine Seele, wenn ich eine habe!”
 
 
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