BLOG vom: 08.01.2015
Charb und Wolinski: Das Martyrium kann gestohlen bleiben
Autor: Pirmin Meier, Historischer Schriftsteller, Beromünster LU/CH
Stéphane Charbonnier, geboren am 21. August 1967, infam ermordet am 7. Januar 2015, zusammen mit den Zeichnerkollegen Bernard Verlhac, genannt Tignous, Georges Wolinski und Jean Cabut, genannt Cabu, sowie weiteren Kollegen und einem tapferen Pariser Polizisten, war einer der bedeutendsten Publizisten und Editoren im gegenwärtigen Europa. Wie wenige Intellektuelle im heutigen Westen hat er für seine Haltung bewusst sein Leben riskiert. Dabei konnte das Ereignis vom 7. Januar mit den insgesamt 12 Opfern nur schwer vorausgesehen werden.
Massstäbe setzte Charbonnier mit seiner „Fatwa an sich selbst“, nach der Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen Ende 2012: „Ich habe keine Angst vor Repressalien. Ich habe keine Kinder, keine Frau, kein Auto, keine Schulden. Das klingt jetzt sicherlich ein bisschen schwülstig, aber ich sterbe lieber aufrecht, als auf Knien zu leben." Da eine vergleichbar mutige Aussage von einem westeuropäischen Politiker oder einer Politikerin in den letzten Jahren nicht zu registrieren war, auch in der Schweiz von keinem Geschäftsleitungsmitglied, ohne dessen Millionenboni das System angeblich zusammenbrechen würde, war Charbonnier einer der am schwersten zu ersetzenden Menschen in Europa in Kaderposition. Er war allerdings „nur“ publizistischer Direktor einer Satirezeitung, nämlich Charlie Hebdo. Der Name des Magazins geht mutmasslich auf Charles de Gaulle zurück, dessen Tod vom Vorgänger-Organ Harakiri respektlos kommentiert wurde, was damals zur vorübergehenden Einstellung der Zeitschrift führte.
Charbonnier alias Charb gehört zu den am Mittwoch Ermordeten, ebenso wie seine drei genialen Kollegen Cabu, Wolinski und Tignous. Zur tragischen Ironie der Geschichte trägt eine der letzten Karikaturen von Charb in der Januarnummer von Charlie Hebdo bei, wo Charb ausbleibende Anschläge von Islamisten auf die Schippe nimmt: „Wünsche dürften noch bis zum Januar deponiert werden!“
Eine der bekanntesten Figuren von Charb war das Hunde- und Katzenpaar Maurice und Patapon: der Hund geil und links, die Katze asexuell und zunehmend rechts, beide jedoch antikapitalistisch wie Charbonnier, dessen Sympathien um 1968 und später bei der kommunistischen Partei lagen. Nahm Charb vom einseitigen Linkstrend mit der Zeit Abschied, so radikalisierte er dafür seine laizistische Haltung. Lange kulminierte sie in Karikaturen von Päpsten und Bischöfen. Nach dem Fall Salman Rushdie (1988/89) realisierte er aber, dass Religions- und Dogmenkritik ohne Islamkritik auf feige Heuchelei hinausläuft. In diesem Sinn schrieb und zeichnete er satirische „Fatwas“, ohne Rücksicht auf Verluste, wie sein tragisches Schicksal bestätigt.
Insofern er hauptverantwortlich war für die Linie der satirischen Zeitschrift „Charlie Hebdo“, zählte er zu den Publizisten in Europa mit dem höchsten Risikofaktor. Schon seit langem stand er deshalb unter Polizeischutz. Nach dem Brandanschlag auf das Gebäude der Zeitschrift vor 5 Jahren nervte er die Pariser Politik, zumal die Sicherheitsbehörden, mit der Ankündigung weiterer Mohammed-Karikaturen.
Die Meinung, dass Satire „alles dürfe“, bedeutete vor allem: kritisiere diejenigen Elemente der globalen Zivilisation, welche Toleranz am wenigsten praktizieren, sie haben es nämlich am nötigsten. „Satiram necesse est, vivere non est necesse“, könnte man als seinen Grabspruch formulieren, analog zu einem alten Seemannssprichwort, dass das Schifffahren wichtiger sei als leben. Die Kunst ging und geht der Forderung nach bedingungslosem Weiterleben voran. Das war bei radikalen Künstlern, und Charb war ein solcher, in allen Generationen dann und wann der Fall. Charb verdient den Respekt auch derjenigen, die nicht immer mit ihm einverstanden sein konnten, darüber hinaus – wie Wolinski, Cabu und Tignous – den bleibenden Respekt aller Menschen, die sich nicht durch Offenbarungen einschüchtern lassen.
Georges Wolinski, Altmeister nicht nur der Karikatur
Unter den Ermordeten von Paris verdient, nebst dem gemein abgeschlachteten Polizisten, dessen Schicksal auf YouTube dokumentiert bleibt, der wohl genialste und lebenslänglich fruchtbarste unter den Toten, Georges Wolinski, wohl den grössten Respekt. Seine Werke in der Tradition von Honoré Daumier werden noch Generationen überdauern.
Der 1934 in Tunesien geborene Abkömmling eines polnischen Juden und einer ebenfalls jüdischen Mutter (was die Traditionsbildung konstituiert) war unter den Ermordeten der Künstler schlechthin. Sein „Strich-Temperament“ liess noch nach dem 80. Geburtstag keine Anzeichen von Erlahmung erkennen. Bewundernswert die Sinnlichkeit des Humors und die Fähigkeit zur Ironisierung des Kapitalismus wie auch von säkularen humorlosen Bewegungen wie dem Feminismus, den er indirekt mit einem humorvollen und doch nie oder fast nie primitiven Sexismus von Album zu Album karikierte. Von seiner Generation her und aus der Tradition des jüdischen Witzes durfte er sich mehr erlauben als andere, wenigstens innerhalb der französischen zivilisierten Gesellschaft.
Herrlich Wolinskis „Paulette“-Geschichten um das Schicksal einer beklagenswerten Milliardärin, die zu ihrem vielen Geld hin erst noch attraktiv aussieht, weswegen fast alle Männer ihr ans Geld und an die Wäsche wollen. Mit mehr Heiterkeit sind sogenannte Luxus-Probleme in der humoristischen Weltliteratur wohl selten behandelt worden. Wolinski war ein hochgradig politischer Mensch, wie Charb einer radikalen atheistischen Religionskritik verpflichtet, einschliesslich der Bereitschaft, sogar dort Haltung zu zeigen, wo es weh tut. Ich komme nicht umhin, zu gestehen, dass Charb und Wolinski mit der Religionskritik noch konsequenter ernst gemacht haben als der 2014 verstorbene Karlheinz Deschner, der sehr wohl realisierte, dass man von Christentumkritik eher leben kann als von Islamkritik.
Konsequente Islamkritik wird auch in Zukunft tödlich sein. Wer behauptet, was in Paris passiert ist, sei ein Einzelfall, lügt und verharmlost bewusst. Trotzdem bleibt zu anerkennen, dass diejenigen Instanzen des Islam, die an der Meinungsfreiheit in Europa interessiert sind, weil sie selber davon profitieren, sich diesmal ohne Wenn und Aber vom gemeinen Pariser Anschlag distanziert haben.
Die Gesamtreaktion in der muslimischen Welt hat aber noch nicht ein Prozent der Proteste, wie sie bei den Mohammed-Karikaturen erfolgten, erreicht. Es bleibt wünschbar, dass in den nächsten hundert Jahren nirgends in zivilisierten Ländern Europas die Muslime eine Mehrheit erreichen werden. Ebenfalls gibt es keinerlei Legitimation für die öffentlich-rechtliche Anerkennung solcher Religionsgemeinschaften. Aus der Sicht etwa der schweizerischen Landeskirchen bleibt dieses „Anliegen“ ein Diskussionsthema. Den Befürwortern muslimischer „Landeskirchen“ geht es aber nicht um Gerechtigkeit, sondern bloss um die „gleichberechtigte“ Konsolidierung von nicht mehr gerechtfertigten Privilegien von Religionsgemeinschaften auch in Zukunft. Falls Gleichberechtigung von Religionsgemeinschaften unabdingbar ist, müsste diese eher in der Abschaffung von Privilegien bestehen als in deren Erhaltung. Ich gehe davon aus, dass die ermordeten Radikal-Laizisten in Paris genauso gedacht haben.Ich verneige ich mich vor ihrem unfreiwilligen Opfer.
Die Geschichte um die Abschlachtung einiger der verdientesten und kultiviertesten Europäer in Paris ist jedoch zu erbärmlich, um für Karikaturisten den Ausdruck „Märtyrer“ zu verwenden. Die Opfer würden mit einer solchen Wortwahl dem Niveau ihrer Mörder, denen ein Menschenleben nichts wert ist, gleichgestellt. Das Martyrium kann, darf und muss einem anständigen religionskritischen Karikaturisten ein für allemal gestohlen bleiben. Hingegen wäre es wünschbar, nach einem jeden der Toten vom 7. Januar in Paris und anderswo Strassen zu benennen. Warum nicht in Quartieren mit einem hohen Anteil von Muslimen?
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