Textatelier
BLOG vom: 04.02.2015

Reaktionen auf Blogs (152): Was sind westliche Werte?

 
Zusammenstellung der Blog-Reaktionen: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
 
Unsere täglichen Blogs stellen sich nicht einfach wie ein Naturereignis ein, sondern unter den profilierten und engagierten Blogatelier-Mitarbeitern in aller Welt ergeben sich oft vor dem Erscheinen und auch nachher lebhafte Diskussionen über die zur Behandlung anstehenden oder behandelten Themen. Bei solchen Gelegenheiten fliegen manchmal die Fetzen, konträre Meinungen und/oder auch Zustimmung stellen sich ein, und häufig werden Ergänzungen aus anderen Sichtweisen angeliefert. Meine Aufgabe ist es, für eine geordnete Erscheinungsweise der Blogs zu sorgen: Aktuelle Themen müssen sofort aufgeschaltet werden, andere haben, rein terminlich betrachtet, eher Füller-Charakter. Letztere beleben flaue Zeiten und bewirken gleichermassen eine Besinnung auf grundsätzliche Lebensfragen. Wichtig ist eine ausbalancierte Mischung aus schwerer und leichter Kost, die nicht allein die Verträglichkeit, sondern auch den Lesegenuss erhöht.
 
Aus meinen rund 55 Publizistikjahren ist mir der Wert von fundierten Diskussionen bekannt. Niemals würde es mir einfallen, bremsend auf sie einzuwirken oder sie gar abzuklemmen – im Gegenteil. Denn sie fördern oft wenig bekannte und kaum verbreitete Fakten und Argumente zutage, genau wie die Leser-, Hörer- oder Zuschauerreaktionen auch. Tabus gibt es nicht; die nötigen Limiten setzen Ethik und Verantwortungsbewusstsein.
 
Die westlichen Werte und die Religionen
Aus dem Blog Weniger Macht den Religionen. Säkularisierung forcieren! aus der Feder von Gerd Bernardy (erschienen am 25.01.2015) entwickelte sich eine angeregte Auseinandersetzung über „westliche Werte“; denn im Prinzip kann niemand genau wissen, was damit gemeint ist. Diese Arbeit bezog sich das Blog vom 22.01.2015 von Reynke de Vos („Gasse für Wahrheit: Was in Politik, Publizistik falsch läuft“). Der deutsche Historiker und Publizist aus Wien hatte die Meinung vertreten, der Islam passe nicht zu Deutschland, ebenso wenig zu Österreich. Die nachfolgende interne Diskussion kaprizierte sich dann auf die grundsätzliche Frage, was es denn mit den westlichen Werten auf sich habe. Der Historiker Pirmin Meier, der das Blogatelier nicht nur häufig an seinem breiten Wissen teilhaben lässt, sondern auch akribisch mitverfolgt, was in dieser dezentralisierten Schreibwerkstatt produziert wird, liess seinem Empfinden freien Lauf:
 
Stellungnahme von Pirmin Meier
Die Kritik des geschätzten Kollegen Gerd Bernardy (an den Religionen, WH) bewegt sich an der Oberfläche, zu schweigen davon, dass die Entlassung eines katholischen Spitaldirektors wegen Scheidung wohl noch in Sachen Hintergründe untersucht werden müsste. Das wäre vor 50 Jahren eher Standard gewesen als heute, so wie vor 25 Jahren FDP-Präsident Franz Steinegger wegen seiner Scheidungssituation in der Schweiz nicht Bundesrat werden konnte. Nein, Scheidung ist schon lange kaum mehr ein Problem.
 
Noch umstritten ist nicht die zivile, sondern kirchliche Wiederverheiratung. Selber werde ich von katholischen Bildungshäusern auch nicht deswegen boykottiert, weil ich geschieden bin, sondern weil ich mich schon seit 1973 für die Trennung von Kirche und Staat und gegen die Kirchensteuer engagiere, was unterdessen sogar die Meinung des Churer Generalvikars Martin Grichting ist.
 
Es genügt auch nicht, ein Bibelzitat aus Matthäus schon als ausreichende Religionskritik zu verkaufen. Ich bin der Meinung, dass die Darstellung der Hölle bei Dante eines der grossartigsten Werke der Weltliteratur ist, sehe dort meine persönliche Auffassung von „westlichen Werten“, eigentlich ein Quatsch-Ausdruck, viel besser repräsentiert als in harmloser Literatur ohne Darstellung der Hölle. Auch das Matthäus-Evangelium, welches ich auf Griechisch gelesen habe, werte ich nun mal als einen grandiosen Text und sicher nicht schlimmer als Friedrich Nietzsche, auf den ich im Alter von 11 Jahren glücklicherweise durch einen Volksmissionar via Warnung aufmerksam gemacht wurde.
 
Bei Nietzsche gibt es garantiert über 100 Sätze, die „westlichen Werten“ widersprechen; letzteres beruht auf rein ideologischer Abmachung, wie katholische Dogmen und der Islam. Wenn „westliche Werte“ bedeuten, Toleranz höre dort auf, wo die wahren Meinungsverschiedenheiten beginnen, können sie mir genau so gestohlen bleiben wie die Staatskirchen, ja sind sie noch schlimmer, weil hier eine Gesinnung staatlich vorgeschrieben wird. Zu den westlichen Werten gehört zum Beispiel das sogenannte Gedankengut der Französischen Revolution, von dem ich überzeugt bin, dass es von Jean-Jacques Rousseau und Voltaire, deren Gesamtwerk von mir Jahr für Jahr studiert wird, so nicht geteilt wurde. Die Schweizer Demokratie ist darauf, streng genommen, nicht angewiesen, was ich in meinem Buch über Micheli du Crest gezeigt habe. „Grossartig“ die Erfindung der Guillotine im Namen der Freiheit und vor allem der Humanität, siehe die amerikanische Giftspritze! Ein Juwel westlicher Werte!
 
Wahr aber ist, Herr Bernardy, dass man in Sachen Kirchensteuer allgemein keinen Spass versteht, und dass Bemühungen im Gang sind, im Namen „westlicher Werte“, eben der angeblichen Gleichberechtigung, auch dem Islam solche läppischen Privilegien als Sektenanerkennung zuzugestehen, was zwar schwieriger wird als man denkt. Nein, Herr Bernardy, Nietzsche wollte das, was Sie über weite Strecken durchaus mit Recht kritisieren, nicht durch „westliche Werte“ ersetzen. Ich lernte auch mal Herrn Michael Schmidt-Salomon kennen, aus meiner Sicht doch nicht einer der 500 besseren Religionskritiker, von seinem Verständnis der Mystik ganz zu schweigen. Trotzdem ist das Zitat von Salomon betr. Meister Eckhart noch gut.
 
Was die religiösen Texte betrifft, auch den Koran, gibt es natürlich gewaltige Qualitätsunterschiede und kommt es, wie bei der Lektüre von Nietzsche und Karl Marx, drauf an, wie sie gelesen werden. Beispielsweise hat der Korintherbrief nun mal ein beachtliches Niveau, und ihn nicht zu kennen, was ich bei Ihnen nicht annehme, grenzt für einen gebildeten westlichen Menschen an Analphabetismus.
 
Gegen einen vernünftigen Religionsunterricht, was es immer gegeben hat, wenngleich fast immer nur mit einer Minderheit von Lehrenden, wäre nichts einzuwenden. Die Bibel ist ein lesenswertes Buch, sie, wie es heute normal ist, nicht zu kennen, ist eine unglaubliche Bildungslücke. Ohne Bibelkenntnis versteht man beispielsweise Nietzsches „Zarathustra“ schlicht nicht. Zu schweigen von Johann Sebastian Bach.
 
Selber bin ich froh, die Ereignisse (rund um Charlie Hebdo) in Paris, die modernen Ideologien wie Faschismus, Nationalsozialismus, Kommunismus, und auch viel Absurdes an den Konfessionen, ablehnen zu können, ohne mich deswegen extra zu irgendwelchen „westlichen Werten“ bekennen zu müssen.
 
Übrigens wird auch die derzeitige Politik der Westmächte gegenüber Russland und der Ukraine mit solchen „westlichen Werten“ begründet, desgleichen eine aus meiner Sicht absolut nicht menschenfreundliche, sondern lebensfeindliche Ideologie wie der Feminismus.
 
Zu den „westlichen Werten“ gehört u. a. die unverfrorene Instrumentalisierung von Völkermorden, was nicht zu verwechseln ist mit der Trauer über jedes einzelne Opfer und bedingungsloser Wahrheitssuche. Dies bedeutet freilich die Ablehnung staatlich vorgeschriebener Geschichtsbilder und freie Forschung. Wer wirklich frei denken will, muss den Katholizismus, den Islam oder was auch immer nicht durch „westliche Werte“ ersetzen, bei deren Andersmeinen man dann ebenfalls ins Gefängnis kommen kann oder mit einem Berufsverbot geehrt wird.
 
Was sodann die Menschenrechte betrifft, kommt es auf deren philosophische Fundierung an, auf die Begründung, keineswegs auf irgendein Meinungsmonopol. Die Frage nach der Legitimation von Richtern darf ruhig gestellt werden. Klaus von Flüe, der sich weigerte, Kirchensteuer zu zahlen, war ein vom Volk gewählter Richter. Von wem die Schweizer Vertreterin in Strassburg gewählt ist und was sie vertritt, ist vergleichsweise weniger transparent und muss bei Berücksichtigung umfassender Meinungsfreiheit nicht mehr anerkannt werden als die Autorität des Papstes.
 
Westliche Werte bestehen für mich persönlich aus der Überzeugung, dass sie so wenig selbstverständlich sind wie die Dogmen des Judentums, des Islams und des Katholizismus. Ich muss an gar nichts glauben, nicht mal an die Theorie der Evolution, welche Karl Popper ein „metaphysisches Forschungsprogramm“ nannte. Wir können nicht wissen, was wir künftig wissen werden, weswegen an Theorien erst recht nicht "geglaubt" werden sollte. Wie ich in meinem Buch über Fundamentalismus ausgeführt habe, bedeutet dies aber noch lange nicht die Anerkennung von abstrusen kreationistischen Vorstellungen oder „Design“-Theorien, das erst recht nicht!
 
Pirmin Meier
 
Die Antwort von Gerd Bernardy
Lieber Herr Meier,
 
vielen Dank für Ihren Kommentar auf mein Blog. Ich muss Ihnen zustimmen. Ich bewegte mich an der Oberfläche. Dabei frage ich mich aber, ob eine umfassende Analyse angesichts der Fülle an Literatur zum Thema überhaupt noch möglich ist.
 
Ich habe den Begriff „westliche Werte” ein wenig blauäugig übernommen, denn auch er ist, und das zeigen Sie mir klar auf, auszuschöpfen. Es ist seltsam, aber mir fällt bei Definitionsfragen immer Rainer Maria Rilkes Gedicht „Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort” ein; dem Lyriker ging es wohl auch um die kritische Betrachtung der Sprache.
 
„Im Hinterkopf” hatte ich bei dem Begriff die Menschenrechte. Interessant bei der Magna Charta ist, dass die Kirche das Recht erhält, frei von staatlichem Einfluss zu sein, umgekehrt aber nicht.
 
Hinsichtlich des Kirchenrechts dachte ich an das Beispiel einer guten Bekannten, die Leiterin eines katholischen Kindergartens ist und ihr Privatleben vor ihrem Arbeitgeber verbergen muss, da sie als in Scheidung Lebende mit einem neuen Partner die Kündigung riskiert.
 
Wie Walter Hess in einer E-Mail an uns erwähnte, sind Sie mit mir in wesentlichen Belangen prinzipiell einig, wie etwa in Bezug auf die Trennung von Kirchen, Kirchensteuer und Staat.
 
Bedenkenswert finde ich Ihre Hinweise auf literarische Werke, worunter Sie offensichtlich die Bibel und auch den Apostel Paulus als Autor zählen, bei der Überlegung zum Terminus „westliche Werte”.
 
Wie es der Zufall so will, beschäftige ich mich gerade mit der Rezension zu Dantes „Göttlicher Komödie” von Dr. Franz Joseph Bayer in der Reihe „Die Kunst dem Volke”, erschienen in München im Jahr 1921. Darin lese ich einen Satz, der mich an Nietzsche erinnert: „Ein Wort des PARADISO gibt den Zweck- und Zielgedanken seines Gedichtes mit klassischer Präzision: trasumanare: Das ‘Über-die-Menschheit-Hinauswachsen’, die Vergöttlichung.”
 
Sie haben zweifellos Recht, wenn ich etwa an Adolf Hitler denke. Der Diktator hatte ebenfalls seine eigenen Vorstellungen von „westlichen Werten”.
 
Sie schreiben: „Es kommt darauf an, wie die Werke gelesen werden.“ Richtig. Aber kommt es nicht viel mehr auch darauf an, welchen Einfluss und welche Auswirkungen die Werke auf die Menschen in der Gegenwart (noch) haben? Wenn das Alte Testament darlegt, was man in bestimmten Fällen tun soll, und ich denke hier an Steinigung usw., so wird es wohl niemanden mehr geben, der dem folgt. Aber wenn im Koran steht, Ungläubige soll man töten ... ob es nicht auch heutzutage noch Islamisten gibt, die diese Gebote ausführen?
 
Der Begriff „westliche Werte” ist nicht ohne ausführliche Definition, was denn darunter zu verstehen soll, zu gebrauchen.
 
Ihre Ausführung erzeugt bei mir die Assoziation, und Sie müssen entschuldigen; denn es handelt sich wieder um einen Begriff, der oft unklar definiert wird, Sie als Anhänger der „Anarchie” zu sehen, und zwar im Sinne des griechischen Worts „anarchia”, in der sich Individuen auf freiwilliger Basis zu Kommunen und Gruppen zusammenschliessen. Oder muss ich eher an die schweizerische Form der Demokratie denken, mit Volksbefragungen und Berücksichtigung des Bürgerwillens?
 
Mein Hauptgedanke dreht sich um die Macht und der freiwilligen und gezwungenen Unterwerfung. Bei allem, wofür ich mich entscheide, frage ich mich, was für Auswirkungen das auf mich haben könnte…
 
Deshalb halte ich mich oft fern vieler Organisationen!
 
Herzliche Grüsse
Gerd Bernardy
 
Replik von Pirmin Meier
Danke, Herr Bernardy, ich ahnte, dass der Begriff der westlichen Werte etwas schnell gebraucht wurde. Dante ist wichtiger, da scheinen wir uns zu verstehen. Stellen Sie sich vor, George Orwells Ministerium für Liebe gehe auf Dante zurück. Am Eingangstor der Hölle steht: „Auch mich schuf die Ewige Liebe.“ Das ist Nietzsche schon aufgefallen. Natürlich muss Dante hier gegen den Strich gelesen werden, Aber so ist der Satz enorm gehaltvoll.
 
Die schlimmsten Ideologien sind zu allem hin noch gut gemeint!
 
Herzlich
Pirmin Meier
 
Kirchenrechtliche Aspekte zur Scheidung
Die Diskussion weitete sich auf kirchenrechtliche Aspekte mit Bezug zu Scheidungsfragen aus, wie sie in der Schweiz und in Deutschland gelten.
 
Pirmin Meier:
Kirchenrechtlich gibt es keine Möglichkeit, eine katholische Kindergärtnerin wegen ihrer Partnerschaft zu schikanieren. Fragen Sie den Religionsverfassungsrechtler Dr. Quirin Weber, Nr. 1 in der Schweiz, in Muri AG. Das hat nichts mit Kirchenrecht zu tun, nur mit psychischen Problemen von möglichen Schikanierern. Auch Seelsorgerinnen wechseln heute ihre Freunde häufig, ohne dass es Aufsehen erregt.
 
Gerd Bernardy:
Vielleicht nicht wegen ihrer Partnerschaft, aber wenn sie ihn standesamtlich heiraten würde, würde sie entlassen.
 
Zum kirchlichen Arbeitsrecht: Nach der von den deutschen Bischöfen erlassenen „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“ stellt der „Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe“ einen Loyalitätsverstoss dar (Art. 5 Abs. 2). Bei pastoral, katechetisch oder leitend tätigen Mitarbeiter/innen sowie bei Mitarbeiter/innen, die aufgrund einer Missio canonica tätig sind, führt er zur Kündigung, es sei denn, dass „schwerwiegende Gründe des Einzelfalles diese als unangemessen erscheinen lassen“ (Art. 5 Abs. 3). Bei anderen Mitarbeiter/innen ist die Frage der Kündigung von einer Beurteilung des Einzelfalls abhängig (Art. 5 Abs. 4). Ausserdem heisst es: „Im Fall des Abschlusses einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe scheidet eine Weiterbeschäftigung jedenfalls dann aus, wenn sie unter öffentliches Ärgernis erregenden oder die Glaubwürdigkeit der Kirche beeinträchtigenden Umständen geschlossen wird (z. B. böswilligem Verlassen von Ehepartner und Kindern)“ (Art. 5 Abs. 5).
 
Pirmin Meier:
Danke für diesen Hinweis auf die deutschen Verhältnisse. Streng genommen kann sich aber die Kirche nur bei Geweihten ins Sexualleben einmischen. Was Sie über die deutschen Verhältnisse schildern, hat offenbar mit provokativen Verhalten, etwa „böswilligem Verlassen von Ehepartner und Kindern“ zu tun. Das nehme ich zur Kenntnis.
 
Mit den Verhältnissen in der Schweiz ist das nicht vergleichbar. Ich kann hier auch nicht schildern, mit Rücksicht auf die Privatsphäre, was ich über katholische Theologen konkret weiss. Da kann man über den Lebensstil nur sagen: „Entwarnung“. Die Verhältnisse sind zum Teil ähnlich locker wie in der Zeit der Renaissance, ausser dass man damals zu unehelichen Kindern offen gestanden ist, diesen sogar ein Theologiestudium ermöglicht hat. Erasmus von Rotterdam war ebenso Sohn eines Priesters wie einige der besten Pröpste von Beromünster.
 
Verständlicher Wahlausgang in Griechenland
Der Auftakt ins Jahr 2015 war von zahleichen spektakulären und weittragenden Ereignissen begleitet, so von den Wahlen in Griechenland am 25.01.2015. Das Inselreich am und im Mittelmeer wollte sich EU-Diktat entziehen. Im Wissen dessen, was die europäische Wertegemeinschaft diesem beschaulichen Ferienparadies angetan hatte, schien mir der Wahlsieg des EU-kritischen Sozialisten Alexis Tsipras die einzig vernünftige Reaktion. Einen Kommentar dazu haben ich unmittelbar nach der Bekanntgabe des Wahlresultats unter dem Titel „Die Wahlen in Griechenland. Das Blaue vom Himmel geholt“ publiziert. Unser wissenschaftlicher Mitarbeiter Martin Eitel aus Berlin, teilte diese Meinung, zumal es ihm nicht an EU-Erfahrungen gebricht:
 
Das Wahlergebnis in Griechenland ist durchaus nachvollziehbar. Die Wähler wollen nach Jahrzehnten der Misswirtschaft und Korruption einen Neuanfang. Beide Parteien, die in den letzten Jahrzehnten regiert bzw. die Politik bis 2014 dominierten, die konservativ-liberale Nea Dimokratia (ND) und die Panhellenische Sozialistische Bewegung (PA.SO.K), sind in erheblichem Umfang in Korruption und Misswirtschaft verwickelt. Deswegen hatten offenbar viele Wähler bei der Wahl am 25.01.2015 zu Recht Bedenken, dass diese Parteien, die für den Zustand der griechischen Staatsfinanzen in besonderem Mass verantwortlich sind, die Lage entscheidend verbessern können. Auch die EU ist ja nicht so recht zufrieden mit der bisherigen griechischen Regierung. Ein besonders interessantes der zahlreichen Beispiele für die Korruption in der griechischen Politik ist die durch Schmiergeldzahlungen geförderte Beschaffung von 4 Unterseebooten des Typs 214 im Wert von 2.85 Milliarden Euro im Jahre 2000 aus Deutschland, die Griechenland nicht wirklich braucht.
 
Offenbar soll darüber hinaus die Griechenland-Hilfe ab 2010 von der Anschaffung 6 neuer französischer Fregatten im Wert von 3.5 Milliarden EUR und 2 deutscher U-Boote durch Griechenland abhängig gemacht worden sein.
 
Das zeigt, wie es auch schon Prof. Dr. Hans-Werner Sinn vom Münchener IFO-Institut mehrfach zum Ausdruck gebracht hat, dass die sogenannte Griechenland-Hilfe nur vordergründig Griechenland zugute kommt. Die Griechenland-Hilfe dient in erster Linie der Gläubiger-Unterstützung bzw. Bankenrettung und der Exportfinanzierung nach Griechenland.
 
Martin Eitel
 
Quellenangaben
 
 
 
 
Mario Draghis Notenpresse
Die Politik der zusammengeklitterten Staaten- und Wertegemeinschaft Europäische Union (EU) hat die Grenzen des erträglichen längst überschritten. Dazu gehört auch die Billionen-Euro-Schwemme aus der Europäischen Zentralbank (EZB), die der ehemalige Goldman-Sachs-Vize Mario Draghi nach amerikanischem Muster vorbereitet. Mein Blog dazu: „Die Anlegernöte, das UBS-Einmaleins und die Draghi-Billion“ vom 23.01.2015. Pirmin Meier steuerte einige Gedanken aus seinem Geschichtsfundus bei:
 
Gemäss der NZZ von heute liess Herr Draghi die Notenpresse laufen, „weil die Inflation zu tief war“. Wilhelm Röpke, ein Ökonom des Liberalismus und wie Friedrich August von Hayek ein Pionier der Mont Pélerin Society, fälschlich mit heutigem Neoliberalismus verwechselt, hätte ein solches Vorgehen schlicht als kriminell bezeichnet. Röpke glaubte noch an ehrliches Geld, war auch deswegen vor Jahrzehnten ein Verteidiger des Goldstandards.
 
Was auf dem Gebiet der Währungsmanipulation passiert, lässt einen die immerhin lebensgefährlichen Abenteuer herkömmlicher Bankräuber als sentimentale Relikte aus der Zeit der Romantik empfinden; man vergleiche dazu den meisterhaften Film „Ladykillers“, wo man z. B. für die bandeninterne Kommunikation noch auf die roten britischen Telefonkabinen angewiesen war. Der ursprünglich demagogische Satz von Brecht, „Was ist schon ein Überfall auf eine Bank im Vergleich zur Gründung einer Bank?“, bekommt neue Bedeutung, wobei jener marxistische Autor die Weiterentwicklung des Systems sich so wenig vorstellen konnte wie dessen liberalkonservative Verteidiger zur Zeit des Kalten Kriegs. Auch die alten jüdischen, katholischen und muslimischen Theorien über Wucher und dergleichen wirken nur noch naiv, obwohl am Grundgedanken etwas Wahres dran bleibt.
 
Pirmin Meier
 
Die deutsche Identität
Gerd Bernardy ertrug das Geschwafel über das, was angeblich zur Identität Deutschlands gehört nicht mehr, und er griff in die Tasten: „Narrationen und Narreteien zur Identität Deutschlands“ (29.01.2015)Es ging um diesen Satz von Bundespräsident Joachim Gauck, gesprochen bei der Instrumentalisierung des grössten Konzentrationslagers der Nationalsozialisten in Polen: „Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz.“ Ein Grossteil der Deutschen regte ich verständlicherweise über diesen Nonsens auf, besonders die Nachkriegsgeneration, die nicht in eine Sippenhaft eingebunden werden möchte.
 
Zu Gerd Bernardys Blog schrieb Pirmin Meier:
 
Habe ich ein anderes Mal an Herrn Bernardy, der sich klar zu artikulieren pflegt, Kritik geübt, kann ich ihm heute meine Achtung, ja Bewegung über seinen Text meinerseits nicht verhehlen. Und dies nicht nur deshalb, weil er Fritz Mauthner zitiert, dessen Grab in Meersburg ich erst vor kurzem besucht habe mit der Inschrift „Vom Menschsein erlöst“. Mauthner ist auch ein grosser, übrigens von Christian Morgenstern besonders geschätzter Sprachphilosoph und einer der Atheisten, die ich nicht zur Sorte von den Herumstehern zähle, die nicht an Gott glauben, wie sie Friedrich Nietzche und Martin Heidegger genannt haben.
 
Zu billigsten Ersatzfetischen des Heiligen gehören Rituale, mit denen man die eine Religion durch eine andere ersetzt. Dazu gehört der Auschwitz-Kult, was nicht zu verwechseln ist mit dem Respekt vor den Opfern, der immer angebracht ist. Meinerseits habe ich soeben das Buch von Johannes Sachslehrer „Zwei Millionen ham'ma erledigt“ gelesen, eine 370-Seiten Biographie des österreichischen Täters Odilo Globocnik, die tatsächlich viel für die Hintergründe hergibt, zumal für die Ideologie, die Menschheit vor ihrem endgültigen Feind zu befreien. Das war eine ausgeprägt „moderne“ Angelegenheit, nicht einfach ein herkömmliches Verbrechen. Das Buch, im Detail etwas salopp geschrieben, bestätigt neben seinen Qualitäten auch Mängel im Bereich der Quellenkritik, etwa bei einem Bericht des SS-Mannes Gerstein über Vergasungen, die davon ausgehen, dass Adolf Hitler in Lublin (Stadt im Osten Polens) war und dort so was befohlen habe. Hitler war aber nie in Lublin. Solche unseriösen Quellen sind dann natürlich Wasser auf die Mühle der Revisionisten, für die jedoch das ansprechend recherchierte Buch von Sachslehner nun sonst aber wirklich das Gegenteil einer Bestätigung ist.
 
Trotzdem besteht die Neigung, Zeugenaussagen nicht nur im entlastenden Sinn, sondern erst recht die belastenden frei von Quellenkritik ernst zu nehmen. Allein schon die Tatsache, dass die Opferzahlen, für die man nicht ins Gefängnis kommt, zwischen 335 000 bis 3 Millionen fluktuieren und auch in den offiziellen Gedenktafeln mehrfach korrigiert wurden. Dies zeigt, dass es zwar die Auschwitzlüge geben mag, aber die Wahrheit noch auf einem anderen Blatt steht.
 
Es gibt keinen Grund zu sagen, Auschwitz gehöre zu Deutschland, schon weil die katholischen Polen, die dort noch ein Kloster errichtet haben, es zum Ärger der Juden ebenfalls beanspruchen, wobei dann bei diversen späteren Kriegen Auschwitz für das Motto „Nie wieder Auschwitz“ zu neuen Kriegsverbrechen Ausreden lieferte. Die Behauptung von Revisionisten, dass die Befreiung des Konzentrationslagers zu Vergewaltigungen durch sowjetische Soldaten geführt habe, ist für mich indes noch nicht ausreichend belegt. Wahr ist, dass es im Halbjahr nach Auschwitz zu den schlimmsten Kriegsverbrechen in der Geschichte der Sowjetarmee gekommen ist. Dies ändert nichts daran, dass Auschwitz nur durch militärisches Eingreifen befreit werden konnte, dass also der läppische Satz „Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin“ sich dort als unpassend erwies. Immerhin hat der kluge Brecht den Satz ergänzt: „Dann kommt der Krieg zu Euch.“
 
Dass eine Schwägerin von mir, die im Zusammenhang mit einer losgelassenen Soldateska, übrigens Franzosen, auch Fremdenlegionäre, am Kriegsende Todesängste ausstand, zumal um ihre Mutter, die sich in einem Heustock versteckte, lässt mich nachvollziehen, warum nicht alle Deutschen das Geplapper „Auschwitz gehört zu Deutschland“ ertragen. Es sind immer die je spezifischen Erfahrungen, die das Identitätserlebnis ausmachen. Der Satz mit Auschwitz ist schlicht schäbig und muss von keinem anständigen Deutschen der nachgeborenen Generation unfreiwillig nachvollzogen werden. Andererseits habe ich Verständnis dafür, dass etwa beim ehemaligen Aussenminister Joschka Fischer, der keinen anderen religiösen Glauben hat, der Auschwitzglaube das Bedürfnis nach Ehrfurcht abdeckt. Es ist aber möglich, dass der Polizist, dem er mal einen Tritt in den Leib gegeben hat, als der brave Mann am Boden lag, eher denkt „Joschka Fischer gehört zu Deutschland“, ohne freilich dabei von einem Schauder der Ehrfurcht übermannt zu werden. Ehrfurcht vor jedem einzelnen Opfer: Ja. Die Auschwitz-Zivilreligion muss in einem Land mit Religionsfreiheit freiwillig sein.
 
Pirmin Meier
 
Bernardys Familiengeschichte
Lieber Herr Meier,
 
vielen Dank für die positive Beachtung meines Blogs zur Identität. Mein Vater, der aufgrund von Ereignissen im gezwungenen Arbeitsdienst in der deutschen Reichswehr in Frankreich sein Leben lang gesundheitlich geschädigt wurde und nicht arbeiten gehen konnte, hat mein Leben ebenso geprägt wie sein Bekenntnis „aus familiärer Tradition” zur Sozialdemokratie und gegen die Nazis, im Ruhrgebiet übrigens eine nicht seltene Konstellation.
 
Schon daraus kann kein Schuldgefühl entstehen, meine Familie hat nie die NSDAP gewählt, und war gegen das System.
 
Deshalb stimme ich Ihnen zu 100 % zu, wenn Sie schreiben: Es sind immer die je spezifischen Erfahrungen, die das Identitätserlebnis ausmachen. Der Satz mit Auschwitz von Gauck ist schlicht schäbig und muss von keinem anständigen Deutschen der nachgeborenen Generation unfreiwillig nachvollzogen werden.
 
Gerade wird an den Genozid vor 100 Jahren an den Armeniern durch die Türken gedacht, unter anderem auch mit Hilfe der Deutschen, von denen einige Nazi-Grössen wurden. Ebensowenig wie die türkische Regierung verlauten lassen würde, der Genozid gehöre zur Türkei, würden die Vielzahl von Verbrechen in der Welt (Stalin, Pol Pot, Mao u. v. m.) irgendeine Regierung zu solchen Bekenntnissen bewegen.
 
Liegt das an der Mentalität der Deutschen? Ich verstehe es als politische Ideologie, die der Bevölkerung (auf-)oktroyiert wird!
 
Viele Grüsse
Gerd Bernardy
 
Pirmin Meier:
 
Herr Bernardy! Das sollten Sie dann unbedingt ergänzen im Hinblick auf die Wiedergabe der Reaktionen auf Ihr Blog:
 
„Auschwitz gehört zu Deutschland.“‒ „Der Gulag gehört zu Russland.“‒ „Der Völkermord an den Indianern gehört zu Spanien“ (auch die Kritik am Völkermord war rein spanisch). ‒ „Der Völkermord an Armenien ist Teil der türkischen Identität“. ‒ „Die Vernichtung 200 palästinensischer Dörfer ist Teil der israelischen Identität.“
 
Solche Sprüche sind etwa so intelligent, nein dümmer, wie wenn Gauck sagen würde: „Ich bin Bigamist und das ist Teil meiner Identität.“ Oder, nicht Gauck betreffend: „Ich betrachte das Herumhuren für einen Teil meiner Identität.“ Oder warum nicht: „Die Abtreibung gehört zur westlichen Identität.“ Unter meinen 5 besten Freunden in der ehemaligen DDR, so etwa der Schriftsteller und Komponist Ingo Zimmermann, der Chemiker Rolf Meyer, vor allem der Reformationshistoriker Siegfried Wollgast, scheinen mir geistig, charakterlich und vom Gesamtformat über diesem leider lange überschätzten Gauck zu stehen.
 
Pirmin Meier
 
Kritisches zu Richard von Weizsäcker
Pirmin Meier würdigte den verstorbenen deutschen Staatsmann Richard von Weizsäcker: R. von Weizsäcker: „Die bewegende Kraft der Geschichte“ am 02.02.2015: Eine Reaktion mit kritischen Begleittönen schrieb der Wissenschaftspublizist Martin Eitel aus Berlin:
 
Auch wenn die Tätigkeit des früheren Nazi-Offiziers Dr. Richard von Weizsäcker als deutscher Bundespräsident durchaus zu recht positiv hervorgehoben wird, ist seine Person insgesamt durchaus kritischer zu würdigen. Es wird, worauf vom Focus zu Recht hingewiesen wird, gern vergessen, wie ambivalent die Biografie dieses Mannes ist.
 
Richard von Weizsäcker, Bundespräsident 1984‒1994, hat als Politiker stets für eine Kultur des Erinnerns geworben. Doch wenn es um seine eigene Person ging, war das ganz anders. So vollmundig der CDU-Mann als Politiker für das offene Wort stritt, so nachdrücklich er seine Zunft stets aufforderte, Verantwortung zu übernehmen, so gerne er es sich gefallen liess, dank guter Reden und adeliger Aura zu einer Art Nationalheiligem aufzusteigen: Mit seiner Rolle im Dioxin-Skandal setzte er sich öffentlich nie richtig auseinander. Mitte der Sechziger gehörte der adlige Jurist Weizsäcker der Geschäftsleitung des Chemieunternehmens Boehringer Ingelheim an, wo seinen Biografen Werner Filmer und Ernst Schwan zufolge „keine wichtige Unternehmensentscheidung“ ohne ihn fiel.
 
Nicht nur zahlreiche Mitarbeiter im Hamburger Werk von Boehringer Ingelheim erlitten massive Gesundheitsschäden durch Dioxin, sondern auch Tausende von Vietnamesen und US-Soldaten. 1984 hatte der SPIEGEL Boehringer erstmals vorgeworfen, das Unternehmen habe die Gefahren des Ultragiftes Dioxin verheimlicht, die Arbeiter ungeschützt dem Dioxin ausgesetzt, die Aufsichtsbehörden bewusst getäuscht, Mülldeponien wissentlich verseucht und sei an der massiven Entlaubung Vietnams beteiligt gewesen. Bei ihrer durch die Presseberichte veranlassten Suche nach Wahrhaftigkeit stiessen die Firmenforscher auf ein Schreiben vom 17. Dezember 1964, das sich mit Berichten über Verhandlungen zwischen Boehringer und dem amerikanischen Chemiekonzern Dow Chemical über den „akneerregenden Stoff“ befasste.
 
Die Chlorakne ist ein sicheres Zeichen für eine Dioxinvergiftung, sie hatte im Hamburger Werk Boehringers eine Reihe von Arbeitern befallen. Das Schreiben ist an 2 Herren gerichtet, Vieren dient es zur Kenntnisnahme. Einer von ihnen ist Richard von Weizsäcker. Der frühere Bundespräsident war damals Mitglied in der Boehringer-Geschäftsführung, zuständig für Personal und Steuern. Als bekannt wurde, dass die Firma Bestandteile des Entlaubungsmittels Agent Orange, an dessen Einsatz die Vietnamesen und US-Veteranen bis heute leiden, in die USA geliefert hatte, liess Weizsäcker wissen, er habe davon nichts gewusst.
 
Am 1. September 1939 überschritt die Einheit der Weizsäcker-Brüder Heinrich und Richard im Rahmen des Polenfeldzuges die polnische Grenze am Polnischen Korridor, rund 40 Kilometer nördlich von Bromberg. Später war Richard von Weizsäcker ‒ u.a. als Adjutant des Regimentkommandeurs – als Nazi-Offizier am Überfall auf die Sowjetunion beteiligt. Vom Treiben der SS-Einsatzgruppen hinter der Front, so liess er später wissen, habe er nichts gewusst. Als 1991 ein Mitarbeiter des Sterns eine Geschichte über Kriegsverbrechen recherchierte, die Soldaten von Weizsäckers 23. Infanteriedivision begangen hatten, liess dieser wissen, er habe davon nichts gewusst ‒ ebenso wie er nichts darüber wusste, warum der Stern die Geschichte plötzlich nicht mehr drucken wollte.
 
Dabei verdankt Weizsäcker seinen tadellosen Ruf vor allem der Rede, die er zum 40. Jahrestag des Kriegsendes hielt: „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft", sagte er. Befreit wurde nach Weizsäckers Lesart auch sein Vater Ernst, SS-Brigadeführer und wegen der Deportation von 6000 französischen Juden nach Auschwitz zu 5 Jahren Haft verurteilter Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Während der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse war Weizsäcker im sogenannten „Wilhelmstraßen-Prozess“ Hilfsverteidiger seines Vaters, des SS-Brigadeführers und Staatssekretärs Ernst von Weizsäcker, der aufgrund seiner aktiven Mitwirkung bei der Deportation französischer Juden nach Auschwitz wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Richard von Weizsäcker bezeichnete das Urteil später immer als „historisch und moralisch ungerecht“.
 
Ernst von Weizsäcker hatte sich übrigens in Nürnberg damit verteidigt, von den Vorgängen in Auschwitz habe er nichts gewusst, was aber später widerlegt wurde.
 
Martin Eitel
 
Quellenangaben:
 
 
 
 
 
 
 
 
Replik von Pirmin Meier:
Ich respektiere den Beitrag von Herrn Martin Eitel sehr, habe vor allem wegen dem Satz „De mortuis nihil nisi bene“ (von Verstorbenen soll man nur Gutes sagen) nicht einen kritischeren Nachruf auf Richard von Weizsäcker geschrieben.
 
Den Ausdruck „Nazi-Offizier“ weise ich wegen dem damit verbundenen verächtlichen Ton zurück, er würde auch zu Helmut Schmidt passen. Wiewohl man wegen der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht" von jeglicher Idealisierung Abstand halten sollte, gehe ich davon aus, dass für die Deutschen des 2. Weltkrieges, sogar auch für die Mitglieder der NSDAP gilt, dass der Anteil der Mörder bei vielleicht einem bis zwei Prozent bestand und dass diese Leute grossmehrheitlich genauso anständig waren wie zum Beispiel die Mehrheit der Muslime und genau wie diese, was Herr Joachim Gauck ja betont, einigermassen vorurteilsfrei betrachtet werden sollten. Gilt auch für Kommunisten, zum Beispiel für fast jeden Repräsentanten etwa des heutigen China.
 
Ich bin meinerseits kein Freund von Sprachregelungen wie „islamophob“, habe aber grosses Verständnis dafür, dass sich Herr Eitel hier als „naziphob“ gibt. Andere wiederum sind „katholophob“. Ich bin vielleicht etwas feministaphob. Wir wissen, dass dafür heute kein Mut mehr erforderlich ist. Ich weiss von einem „Nazi“, dem Schriftsteller Hans Grimm, der in seiner Stadt bei einer einstimmigen Abstimmung zur Zeit Hitlers Beschwerde machte, weil er und seine Frau nicht „Ja“ gestimmt hätten. Herr Eitel wird zugeben, dass seine Kritik an Weizsäcker weniger Mut gebraucht hat als die Handlung Grimms und dass 98 % der Deutschen von heute nicht so viel Mut gehabt hätten wie jener Nazi.
 
Ich habe hochanständige Menschen kennengelernt, die eine Zeit ihres Lebens Hoffnungen zum Beispiel auf Adolf Hitler setzten, so mein verstorbener Freund, der Religionskritiker Robert Mächler; andere haben, wie mein ebenfalls verstorbener Freund Franz Keller, auf Josef Stalin Hoffnungen gesetzt. Ein marxistischer Freund, dessen Grabrede ich hielt, sagte mir zu Lebzeiten: „Die drei grössten Enttäuschungen in meinem Leben waren Adolf Hitler (Anhänger bis 1934), Josef Stalin (Anhänger bis nach 1956) und Michail Sergejewitsch Gorbatschow." Ich gehe davon aus, wer heute jedem Zeitgeisttrend nachläuft (setze ich bei Herrn Eitel keineswegs voraus!), wäre damals wohl auch für Hitler und andere „Welt- und Volksbeglücker“ anfällig geworden.
 
Ich bestreite, dass die Menschen seit 1933 substanziell besser geworden sind und betrachte auch als Historiker jeden Menschen, bis zum Beweis des Gegenteils, als anständigen Menschen. Wer heute Europa und die Welt kaputt macht, es muss nicht immer Krieg sein, hat mit den Nazis, von denen viele genauso anständig waren wie wir es im Durchschnitt sind, stets eine vorzügliche Ausrede auf Lager. „Ich war wenigstens kein Nazischwein." Meine eigene Dissertation habe ich übrigens über Reinhold Schneider geschrieben, der für den damaligen Widerstand sehr wichtig geworden ist, wiewohl er als Pazifist gegen den Attentatsplan einiger seiner Freunde vom 20. Juli 1944 war.
 
Nachtrag
Letztlich ging es mir bloss um die Proportionierung eines Ausdrucks wie „Nazi-Offizier" bei Weizsäcker und Schmidt. Wenn ich sage, dass die Deutschen zu allen Zeiten grossmehrheitlich gleich anständig gewesen seien wie die Muslime auf dieser Welt, bedeutet dies für mich wegen der Prägung durch le Bons und Canettis Massenpsychologie in keiner Weise, dass es am Kollektiv „Nationalsozialismus“, „Kommunismus“, „Islamismus“, auch „Nationalismus“ irgendetwas zu verharmlosen gäbe. Im Kollektiv kommt tatsächlich das entfesselte Böse in gefährlichster Weise zum Ausdruck. Hier setze ich auch mit der politischen Kritik an. Es gibt mörderische Weltanschauungen. Ich lehne den Tatbestand des Gedankenverbrechens trotzdem ab.
 
Pirmin Meier
 
Der Westen und die Ukraine
Abgesehen von der Diskussion über die moralischen Qualitäten Weizsäckers, sondern grundsätzlich: Chemiewaffen, wie sie die USA aus Deutschland bezogen und in Vietnam tonnenweise, sozusagen landübergreifend, eingesetzt haben, gehören zum Scheusslichsten, was man sich vorstellen kann. Noch heute leiden die Vietnamesen, die ohne jede Schuld Opfer der US-Kriegseuphorie wurden, unter körperlichen Verstümmelungen. Doch die Kriege, die in den USA geplant wurden, hören nicht auf, die macht- und beutegierige Kriegsnation zwingt die ganze Welt zur Aufrüstung. Mein Blog 21.01.2015 „Westen und Ukraine lassen den Vernichtungskrieg aufleben“ (Kriege sind ein Teil des westlichen Identität...) kam bei Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist aus dem baden-württembergischen Schopfheim, gut an:
 
Lieber Walter,
 
in Deinem Blog über den Kampf des Westens, die Ukraine an sich zu binden, um strategisch Russland besser in die Zange nehmen zu können, hast Du die Verhältnisse klar und deutlich beschrieben. Viele Politiker aus dem Westen sind blind und US- und Petro Poroschenko-hörig.
 
Es werden in der Tat, wie Du das richtig beschreibst, hohle Sprüche publiziert. Es ist eine menschenverachtende Kriegsmentalität. Bundesminister Sigmar Gabriel hat zu Recht von einer Destabilisierung Russlands gewarnt. Er hat kürzlich seine Kollegen aus der Ukraine, Russland und Frankreich zu einem Gespräch nach Berlin eingeladen: verhandeln statt schiessen und zerstören.
 
Noch etwas anderes: Die Ukraine hat mit der Mobilisierung von zusätzlich 50 000 Soldaten begonnen (Teilmobilmachung). Verteidigungsminister Stepan Poltorak sagte: “Unsere Heimat braucht jetzt kampferprobte Patrioten”.
 
In einem Rundfunkinterview des Südwestfunks am 20.01.2015 sagte ein Ukrainer aus, es gebe Möglichkeiten, sich mit einem Geldbetrag (2000 Euro) sich vor der Einberufung zu drücken. Es gibt Schlaue, die wenig von Patriotismus wissen möchten und die Sinnlosigkeit eines Einsatzes erkennen.
 
Herzliche Grüsse
Heinz Scholz
 
Südtiroler Träume erwachen wieder
Im Blog Wien und Tirol-Selbstbestimmung südlich des Brenners vom 29.01.2015 zeigte der deutsche Historiker Reynke de Vos, der in Wien lebt, das Wiedererwachten des Südtiroler Traums nach Selbstbestimmung und der Loslösung von Rom auf. Er erhielt von Rainer Liesing (E-Mail: liesingr@gmail.com) für diese und eine frühere Arbeiten (22.01.2015) Bestnoten:
 
Politik, Publizistik: Wirklich fundierte Analyse der EU-Misere und ansprechende Rezension der 3 Bücher!
 
Südtirol: Habe selten eine so gründliche und absolut zutreffende Analyse gelesen! Endlich kommt Bewegung in die Angelegenheit.
 
Rainer Liesing
 
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Dabei muss man sich selbstverständlich bewusst sein, dass alles, was digital verbreitet wird, unter US-Kontrolle steht. Das trifft im Westen weitgehend auch auf die Druckmedien, Radio und Fernsehen zu.
 
Für Publizisten ist es der Normalfall, Ihre Meinungen zu verbreiten und dazu zu stehen – immer in der Hoffnung, ihren kleinen Beitrag zu seiner sinnvolleren Weiterentwicklung der Gesellschaft zu leisten.
 
Wir Blogger haben aus einer langen Lebenserfahrung heraus etwas zu sagen und sagen es auch. Nötigenfalls unverblümt.
 

 
 
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