Textatelier
BLOG vom: 11.02.2015

Sprachlich-geographische Reise bis nach Vanuatu (1)

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Westdeutschland
 
 
Was ein Kondom ist, wissen Erwachsene meistens, oft benutzen sie dafür auch das Synonym Präservativ. Interessanterweise ist die etymologische Herkunft des Worts unsicher. Es könnte aus einer Sprache stammen, die auf das Lateinische zurückgeht und vom Verhüllungswort Handschuh („guantone“ oder guanto“) abgeleitet ist. Als weiterer Hinweis existierte ein englischer Arzt mit Namen Dr. Condom, der im 17. Jahrhundert für seine Idee, diese aus Hammeldärmen zu fertigen, zum Ritter geschlagen wurde.
 
Ich will aber nicht weiter über diesen heute aus Latex gefertigten Artikel berichten, sondern ich bin über den Begriff „Kondominium“ gestolpert, von hier ist die Assoziation zu diesem Wort nicht weit. Nur hat dieser Begriff damit ganz und gar nichts zu tun. Dass die Ähnlichkeit durchaus zu Wortspielereien Anlass gibt, hat Frank Heibert in seinem Buch „Das Wortspiel als Spielmittel und seine Übersetzung“ erwähnt und schreibt in einem Hinweis auf ein Zitat:
 
„Erst muss sich das Reich der Sinne in ein Kondominium aus Treue und sicherem Sex verwandeln.“ ‒ Der Autor verweist dabei auf einen Artikel im SPIEGEL 11/87: „In diesem Artikel über Aids wird die Aussage ‒ die wilde, ausschweifende Liebe – (,Reich der Sinne‘) müsse bewusstere risikofreie Praktiken lernen, durch den komplexen Text mit ‚Kondominium’ transportiert: erstens durch ‚Kondominium’ selbst, das Fremdwort für eine wohlorganisierte, gepflegte Eigentumswohnung (statt des grössere Freiräume lassenden ‚märchenhaften ‚Reichs’), zweitens durch das scheinbar zur gleichen Wortfamilie gehörende ‚Kondom’, das Gewähr für sicheren Sex bietet.“
 
Interessant finde ich dabei den Hinweis auf die Eigentumswohnung. Und richtig: Der Begriff „Condominium“ taucht in englischen Immobilienanzeigen auf.
 
Darauf wollte ich aber auch nicht hinaus, obwohl es schon einen Hinweis darauf gibt, dass es sich um ein ‒, ich nenne es einmal ‒„Gebilde“, handelt, über das gemeinschaftlich geherrscht wird. „Condominium“ ist lateinisch und hat auch die Bedeutung „Gemein- oder Gesamtherrschaft“, also eine gemeinschaftlich ausgeübte Herrschaft mehrerer Herrschaftsträger über ein Gebiet. Auch das Gebiet selbst wird als Kondominium bezeichnet.
 
In der europäischen Geschichte gibt es zahlreiche Beispiele für Kondominien, die dann durch das Entstehen der Nationalstaaten aufgelöst werden. Ein Kondominium aus österreichischer Sicht zeigt Wikipedia auf: Es geht um den Obersee des Bodensees, bei dem zwischen den Anrainerstaaten keine Grenze vereinbart ist, sondern die hoheitlichen Aufgaben gemeinsam von Deutschland, Österreich und der Schweiz wahrgenommen werden. Entgegen der Auffassung der Schweiz betrachtet Österreich den gesamten Bodensee als Kondominium, obwohl es andere vertragliche Vereinbarungen gibt.
 
Mich zieht es aber in eine ganz andere Gegend unseres Planeten, zu den „Neuen Hebriden“ nämlich. Sie haben deshalb das Adjektiv „neu“, weil die Hebriden, genauer die „Äusseren Hebriden“, eine Inselgruppe nordwestlich von Schottland/United Kingdom sind.
 
Die Inselgruppe „Neue Hebriden“ ist eine 700 km lange Inselkette im Südpazifik. Sie wurde vom englischen Seefahrer James Cook 1774 entdeckt, ein Hinweis darauf, wo der Name herkommt.
 
In der Zeit des Kolonialismus wurden die Inseln für die Europäer interessant, britische und französische Siedler legten Kokosplantagen an, um Kopra herzustellen, aus dem Kokosöl gewonnen wird. Ebenso wurde Manganerz abgebaut. Die Plantagengesellschaften sicherten sich die Unterstützung von Missionaren, um die einheimische Bevölkerung unter ihre Herrschaft zu bekommen, die für die Europäer arbeiten mussten. 1887 einigten sich Frankreich und Grossbritannien auf eine gemeinsame lose Kontrolle, und 1906 wurde ein Kondominium gegründet und die politische Verwaltung von beiden Kolonialmächten wahrgenommen. Es bestand bis 1980. Beide Verwaltungen benutzten ihre Muttersprache, also das Englisch bzw. Französisch. Nach 1980 und der Beendigung der Kolonisation bildeten sich aus 60 Inseln der Neuen Hebriden und noch 5 anderen, die am Rande der Inselgruppe liegen, der Staat Vanuatu.
 
Vanuatu geriet ins Interesse der Sprachwissenschaftler. Auf den Inseln wohnen etwa 260 000 Einwohner. Diese Einwohner sprechen 110 unterschiedliche Sprachen, und damit ist der Staat das Land mit den meisten Sprachen pro Kopf der Bevölkerung in der Welt. Die Hauptstadt liegt auf der Insel Elate und heisst Port Vila. Viele der Inseln haben ihre eigenen Sprachen, aber es gibt auch Inseln, auf denen 20 oder mehr verschiedene Sprachen gesprochen werden.
 
In Europa gibt es einige Staaten mit nicht nur einer Sprache. Ein Beispiel ist die Schweiz mit schweizerdeutsch, französisch, italienisch und rätoromanisch als Basissprachen (Landessprachen). Auch wenn man Indien mit mindestens 122 verschiedenen Sprachen und ungezählten Dialekten bedenkt, ist das beachtlich; Indien hat über 1 Milliarde Einwohner, 4000 Mal mehr als Vanuatu.
 
Indien hat neben Hindi als weitere Amtssprache, die landesweit zwar nicht von allen, aber von vielen Einwohnern gesprochen wird: die englische Sprache. Damit konnte ich mich in Südindien ebenso verständlich machen wie im Norden, in Rajasthan. Da in Indien sowohl Sprachen verschiedener Sprachfamilien gesprochen als auch mit unterschiedlichen Zeichen geschrieben werden, ist es für jemanden aus dem Norden nur möglich, im Süden in englischer Sprache zu kommunizieren, da dort Hindi nicht oft benutzt wird.
 
Wie auch in Indien ist die englische Sprache ein Erbe der Kolonialisierung, so auch in Vanuatu, nur hier waren es 2 Kolonialsprachen, also Englisch und Französisch. Es gibt aber noch eine 3. Sprache, sie heisst Bislama.
 
Wie eine Kreolsprache entsteht und was es mit Bislama auf sich hat, will ich im 2. Teil dieser Sprachreise näher untersuchen.
 
 
Quellen
http://de.wikipedia.org/wiki/Vanuatu
http://de.wikipedia.org/wiki/Kondominium_Neue_Hebriden
https://www.google.de/?gws_rd=ssl#q=Kondomium+
Heibert, Frank: „Das Wortspiel als Stilmittel und seine Übersetzung“, Günter Narr Verlag, Tübingen 1993.
 
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