Textatelier
BLOG vom: 02.03.2015

Twitter: Meinungsbote, Blitzableiter. Chacun à son goût

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Jedermann drückt gern seine Meinung aus: Zuhause, im Pub, auf der Strasse, im Freundeskreis und unter Bekannten usw. Dazu braucht er Zuhörer. Heute benutzen mehr und mehr Leute die neuen (Sozial-)Medien wie Twitter und Facebook. In der @TextatelierHess-Twitter-Rubrik (Vögeli-Symbol auf der Startseite rechts unten anklicken) äussern sie sich zur Politik, zum Umweltschutz und zum Weltgeschehen aller Arten und Unarten. Tweets (maximal 140 Zeichen umfassende Gedankensplitter im Twitter) dienen auch als Blitzableiter für den aufgestauten Ärger. Mitunter fliessen ansprechende Fotoaufnahmen, Zeichnungen und Karikaturen ein, sei es zur Kunst oder zur Natur und allem anderen. Ich blättere hin und wieder in diesem Meinungsspiegel, ohne zu kommentieren. Die Aussagen müssen in wenigen Zeilen untergebracht werden. Ich weiss nicht, wieweit Twitter-Beiträge Anknüpfungspunkte schaffen, ausser jenen, die sich direkt auf Artikel (Blogs) im Textatelier berufen. Diese werden von Walter Hess durchschnittlich einmal im Monat unter dem Titel Reaktionen auf Blogs präsentiert. Bisher wurden 153 teilweise sehr umfangreiche Sammlungen von Reaktionen veröffentlicht. Zuschriften seitens der Texatelier.com-Leserschaft sind stets sehr willkommen!
 
Ich selbst äussere mich im Twitter nicht. Ich schreibe in meiner Bude Essays über Themen, die mich fesseln, Kurzgeschichten und Aphorismen. Zum Meinungsaustausch bin ich weitgehend auf persönliche Kontakte angewiesen. Chacun à son goût. Jeder nach seinem Geschmack.
 
Twitter als Meinungsträger hat seine Limite bei 140 Zeichen, unter Einbezug von Links sind es einige mehr. Dieses Medium ist wie alle Organe, die sich an die Öffentlichkeit wenden, auf eine Lesergefolgschaft angewiesen.
 
Auch in Bezug auf den Zwang zur Kürze steht es nicht allein. Selbst die Leserbriefe an die Zeitungs- und Zeitschriftenreaktionen sind umfangmässig beschränkt und werden von der Redaktion autoritär gesiebt und gekürzt, wenn sie nicht ins Konzept passen, ganz im Gegensatz zum Textatelier.com, das Meinungsfreiheit gewährleistet.
 
Richtig gehandhabt, können Foren persönliche Kontakte fördern. Das Forum ist als persönlich ausgerichtete Diskussionsbasis dazu geeignet und auf keinen Vormund von „Sachverständigen” angewiesen, besonders wenn es um Lebensfragen geht oder Religionen betroffen sind. Es braucht höchstens einen neutralen, sachkundigen Diskussionsleiter, der die Hitzköpfe nötigenfalls zügelt und dafür sorgt, dass jeder Teilnehmer zum Wort kommen kann. Foren bieten Anregungen zur Lösung kniffliger Fragen, die uns das Leben stellt. Jeder kann seine Wahl treffen. Mögen sie ihm helfen, sein Leben angenehmer zu gestalten, etwa dank vergrössertem Spielraum seiner Toleranz.
 
Ein vorbildlicher Diskussionsleiter ist Nicky Campbell im sehenswerten BBC 1-Programm „The Big Questions”, das jeweils am Sonntagmorgen, 10 Uhr, gesendet wird. Selbst hitzige Meinungsaufprälle zu Fragen der Religionen versteht er elegant übers Glatteis zu begleiten. Sture Fundamentalisten werden in der Diskussion, wenn nötig, zurecht gewiesen, ohne die Lebendigkeit einer Diskussion abzutöten.
 
Der erspriessliche Meinungsaustausch gelingt, wenn alle Beteiligten einigermassen mit dem Thema vertraut sind, sei es aus eigener Lebenserfahrung gekeltert oder von Vorbildern und Studium abgeleitet. Damit wird der enge Raster des Twitters zum ergiebigen Dialog erweitert, insbesondere, weil dort auch Hinweise auf Texte und YouTube-Beiträge weitergegeben werden können, zu denen man sonst den Zugang nur schwer finden würde.
 
 
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