Textatelier
BLOG vom: 10.04.2015

Manieren (1): Wenn einige Manager aus der Rolle fallen

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
 
In unserer übertechnisierten, hektischen Zeit scheinen ethische Denkansätze und damit die Moral und die guten Manieren in der Minderzahl zu sein. Ein Trost: Es gibt auch Positives zu berichten. So werde ich in diesem Blog negative und positive Beispiele einander gegenüberstellen. Die Politik klammere ich aus, denn dort gibt es zwar genügend schlechtes Benehmen, aber da müsste ich mich jedes Mal ärgern. Zudem habe ich nicht das nötige Insiderwissen, sondern kenne nur das, was in der Presse täglich berichtet wird.
 
Wenn Manager aus der Rolle fallen
Negatives: Besonders negativ fallen manche Manager von Konzernen auf, die zusammen mit dem Verkünden von Brachialregeln ihren Einstand „feiern“. So forderte ein Konzernchef vor Jahren: „Mache alles, was nötig ist. Töte, um zu gewinnen, mache keine Gefangenen.“ Hier stockte selbst einer internationalen Marketing-Elite der Atem. Dieser Mann, der Anleihen aus dem Kriegsjargon wählte, wolle – so ein Firmensprecher – die Leute als Team motivieren und begeistern, alles daran zu setzen, neue Produkte mit Vehemenz an den Mann zu bringen. Besonders brutal geht es bei der Schulung von Drückerkolonnen zu und her, die Hausgeschäfte machen müssen. Einer sagte einmal: „Jeden Tag steht ein Dummer auf, und den müsst ihr finden.“
 
Während meiner Tätigkeit in einem Pharmaunternehmen wurde ein Abteilungsleiter aus der Schweiz nach Wehr (Baden) versetzt. Er fiel durch sein rigoroses Benehmen auf. Während einer Besprechung, an der Teilnehmer aus dem Betrieb und der Analytik anwesend waren, konnte er seine Hände nicht aus den Hosentaschen nehmen. Nach dem Vortrag wollte er wissen, ob noch jemand Fragen habe. Als sich keiner meldete, rief er unwirsch mit lauter Stimme in die Runde: „Soll ich Euch provozieren?“ Nun, provozieren konnte er keinen, aber er hinterliess einen negativen Eindruck. Kurz darauf wurde der unerträgliche Abteilungsleiter in Pension geschickt.
 
Der Abteilungsleiter verwechselte Arroganz mit Stärke und stellte seine Respektlosigkeit zur Schau. Dies sollte nicht so sein. Später wurden die Vorgesetzten in meiner Firma regelmässig zu Seminaren für Führungskräfte abkommandiert. Dabei lernten manche, wie man sich den Mitarbeitern gegenüber verhalten soll. Wie ich bemerkte, hat sich danach vieles zum Positiven verändert. Wir wurden höflich behandelt, bekamen manchmal auch ein Lob.
 
Es ist eine beliebte Masche von Arbeitgebern, teure Angestellte oder Führungskräfte, die in Ungnade gefallen sind, auf unverschämte Weise loszuwerden. Sie werden mit komplizierten Aufgaben überhäuft. Die Fehlerquote ist dann sehr hoch. Die Firmen beschaffen sich so einen Kündigungsgrund und sparen sich teure Kündigungsfristen.
 
Auch laut einer Untersuchung der Zeitschrift „stern“ ist das Verhältnis der Chefs zu den Mitarbeitern verbesserungswürdig. Betont wurde, dass es anderseits nicht wenige Manager gibt, die Ehrlichkeit, Höflichkeit und Respekt für wichtig halten.
 
Von einer Vorbildfunktion, wie man sie von Führungskräften müsste erwarten können, kann oft freilich nicht mehr die Rede sein. Vielmehr wird bewusst (oder auch nicht!) die unterste Schublade herausgezogen. Wen wundert`s, dass sich unter solchen Umständen bestimmte Gruppen der Arbeitnehmer rasch anpassen und auf nicht minder rigorose Weise ihr betriebliches Fortkommen in Form von Mobbing auf Kosten anderer zu sichern versuchen? Mobbing – ein Zeichen der Unkultiviertheit! Dabei wäre es gar nicht so schwer, im Leben Grösse zu zeigen und zu einem kultivierten Umgangston zurückzukehren.
 
Die folgenden, wahren Worte des französischen Moralisten Jean de La Bruyére (1645−1696) sollte man sich zu eigen machen: „Ein Mensch mit feiner Lebensart pflegt sich so zu benehmen, dass die anderen nach seinen Worten und seinem Verhalten mit ihm und mit sich selbst zufrieden sind.“
 
Geld für Mitarbeiter
An 3 Beispielen berichte ich über positive Betriebsführungen:
 
Auf dem 2. Weltkongress der Naturheilkunde 1976 in Biel (Schweiz) hatte ich das Vergnügen, Alfred Vogel (1902‒1996), den bekannten Verfechter der Natur- und Pflanzenheilkunde, zum ersten Mal (später auch auf der Natura 1979 in Basel) persönlich kennenzulernen. Vorher hatte ich schon brieflichen Kontakt mit ihm gehabt. In der Mittagspause des Kongresses wurde ich von ihm zum Essen in einem Bieler Restaurant eingeladen. An dieser Verköstigung nahmen auch einige Fachleute und Mitarbeiter seiner Firma, der Bioforce AG, teil. Es entwickelte sich ein interessantes Gespräch über die Forschungsreisetätigkeit Vogels.
 
Besonders beeindruckend war für mich die menschliche Seite von Alfred Vogel. Sein warmes, menschenfreundliches Wesen wird mir unvergessen bleiben. Auch lag ihm das Wohl seiner Mitarbeiter sehr am Herzen. Während des Essens sagte er etwas Aussergewöhnliches: Bevor er dem Finanzamt viel Geld überweise, gebe er seinen Arbeitern und Angestellten lieber eine Prämie. Er wolle glückliche und zufriedene Mitarbeiter in seinem Betrieb in Roggwil BE/CH haben.
 
Metzgermeister Joachim Lederer ist ein aussergewöhnlicher Chef, wie die Zeitung „Der Sonntag“ am 15.02.2015 berichtete. Er stellte fest, dass sich viele kleine Unternehmer in Sorgen und Hektik vergraben. Seine Devise: „Je mehr Arbeit da ist, um so ruhiger muss der Chef werden.“ Die besondere Art der Betriebsführung kommt bei den Mitarbeitern sehr gut an. Er zahlt faire Löhne und bietet gute Sozialleistungen, führt Mitarbeitergespräche. Der Betrieb ist flexibel bei den Arbeits- und Urlaubszeiten. Er verlangt von seinen 22 Mitarbeitern Ehrlichkeit, Pünktlichkeit und Ordnung. Die Leute haben Spass, und „ohne Lachen geht bei uns gar nichts.“
 
Dann sagte er einen bemerkenswerten Satz: Er investiere lieber in den Mitarbeitern als Geld anzuhäufen. „Ich will den Leuten ein Sprungbrett ins Leben bieten.“
 
Für Winfried Maier, Chef einer der letzten Bürstenfabriken des Schwarzwalds (Peggy Perfect in Todtnau und Murg), ist ein familiäres Betriebsklima wichtig. Eine gute Behandlung seiner Leute ist selbstverständlich. Diese Einstellung ist für jeden Betrieb empfehlenswert.
 
Die Chefs mit guter Moral und guten Manieren ernten auch Vorteile: Die Arbeitnehmer leisten hervorragende Arbeit und spüren kaum Verlangen nach einem Firmenwechsel.
 
Sozialkompetenz bei Schülern
Die Verrohung der Sitten greift bereist in den Schulen immer mehr um sich, wie bedauernswerte Lehrer immer wieder versichern. Dabei ist von einem Ausmass die Rede, das Betroffenheit auslösen muss. So wird in manchen Schulen während des Unterrichts das Smartphone oder iPad benutzt. Am Gymnasium meines Enkels wurde schon vor einiger Zeit ein Verbot dieser Geräte während des Unterrichts ausgesprochen. Das erachte ich als sinnvoll.
 
Lichtblick sind Schüler mit guten Manieren. Aber diese haben es oft schwer. Sie sind in den Augen der Unkultivierten Aussenseiter, die sich in den Klassen viel Missliches gefallen lassen müssen.
 
Wichtig ist der Ethikunterricht an Schulen. Ethische Grundsätze sollten den Heranwachsenden schon früh nahegebracht werden. Aber auch manche Eltern bräuchten eine derartige Schulung. Es mangelt in hohem Mass an inneren Werten. Dem gegebenen materiellen Überfluss steht eine geistige Verarmung sondergleichen gegenüber und damit auch ein Absacken in die Unkultur.
 
Nicht wenige Auszubildende scheinen wenig Sozialkompetenz mitbekommen zu haben. „Unsere Lehrlinge kommen mitten in der Pubertät zu uns, und sie haben sehr unterschiedliche Manieren. Bei einigen muss man damit anfangen, dass sie lernen, guten Morgen zu sagen“, stellte ein Ausbildner eines Pharmakonzerns fest.
 
Schon vor etlichen Jahren wurde ein spezielles Rückmelde-Verfahren entwickelt, das alle 5 bis 6 Wochen die Fortschritte misst. Die Auszubildenden beantworten Fragen zu den Themen „Lernverhalten“, „Arbeitsverhalten“ und „Sozialverhalten“. Es folgt eine Selbst- und Fremdbeurteilung. Das Verhalten wird mit Noten versehen. Die guten Manieren entscheiden letztendlich, ob einer nach der Ausbildung im Haus angestellt wird oder nicht. Mit diesen Gedanken im Hinterkopf nehmen die Auszubildenden das persönliche innere Wachstum ernst.
 
Gründe für das negative Verhalten gibt es viele, darunter die Verherrlichung von Gewalt in Filmen, Computerspielen, die Interessenlosigkeit gegenüber ethischen Grundsätzen und die häufig geringe soziale Kompetenz der Eltern.
 
Richard Gerd Bernardy, Blogger und Dozent für Deutsch als Fremdsprache von Viersen D, dazu: „Es ist schon richtig, dass Eltern bestimmter Schichten nicht mehr fähig sind, ihren Kindern etwas zu vermitteln, weder Grundfähigkeiten, wie zählen oder malen und schon gar nicht Benehmen und Respekt. Die einen rufen nach der Kita, in der schon Kinder ab dem 2. Lebensjahr gehen sollten, die anderen rufen nach Geld, das den Hartz-4-Empfängern fehlt und der Grund sein soll, warum sie ihren elterlichen Pflichten nicht mehr nachkommen.“
 
Bernardy hat sich nach seinem Studium und den ersten Schulerfahrungen entschieden, nicht Lehrer in der Sekundarstufe I zu werden. Er sandte mir per E-Mail einen interessanten Bericht mit dem Titel „Manieren: Kinder können gutes Benehmen spielerisch erlernen“. Hier der Link:
 
 
Gentleman goodbye?
Laut einer Untersuchung, die für die Sendung „Tonight“ des Fernsehsenders ITV1 gemacht wurde, sollen die Briten heute unhöflicher sein als vor 10 Jahren. Der Untergang der traditionellen Höflichkeitsrituale wurde hier besonders deutlich.
 
56,5 % der 2800 befragten Erwachsenen betonten, schlechtes Benehmen sei zu einem Hauptproblem des Landes geworden. Schuld sind Eltern, Promis und Hooligans. 75 % antworteten, die Manieren der Fussballstars lasse zu wünschen übrig. 63,8 % vertraten die Auffassung, die Eltern seien für den Verfall des guten Benehmens verantwortlich. 90 % klagten an: „Eltern vermitteln heutzutage keine Benimmregeln mehr“ (Quelle: www.sueddeutsche.de).
 
Von unserem Blogger Emil Baschnonga, einem Schweizer, der schon lange in London wohnt, wollte ich erfahren, ob es in England wirklich so schlimm sei. Er antwortete mir in einer E-Mail vom 15.03.2015 dies:
 
„Gute Manieren bestehen weiterhin in England, wiewohl weniger ausgeprägt heutzutage, was teilweise dem Zeitdruck oder Stress zuzuschreiben ist. In öffentlichen Verkehrsmitteln werden nach wie vor Plätze an Betagte, Schwangere angeboten. Leute aus Asien sind, wie ich feststellte, in dieser Beziehung besonders aufgeschlossen.“
*
Im 2. Teil berichte ich weiter über schlechte Manieren, über Drohungen, Rufmörder und Ächtungen.
 
 
Hinweis auf einen Zeitschriftenartikel
Scholz, Heinz: „Verkommene Werte: Vom Untergang der guten Manieren“, „Podologie“, Heft 5/2001.
 
Hinweis auf einen „Glanzpunkte-Artikel“
 
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