Comedy-Boom: Dumm, geschmacklos und verblödelt
Autor: Heinz Scholz
Deutschland erlebt zurzeit einen wahren Comedy-Dauerrausch. „Der Spass-muss-sein-Boom schlägt derzeit alle Rekorde: Nie zuvor wurde im deutschen Fernsehen so viel Comedy gezeigt. Sender, die bislang nie witzig sein wollten, zeigen jetzt eine Show nach der anderen. Menschen, die noch nie witzig waren, sind plötzlich viel beschäftigte Komiker. Comedy ist ein Millionengeschäft, jeder will ein Stückchen davon abhaben“, schrieb sehr treffend Burkhard Riering in der Zeitung „Die Welt“ vom 19. August 2004. Mit solchen Sendungen aus dem Billigsegment verdienen sich die Macher in der Tat dumm und dämlich.
In letzter Zeit werden immer häufiger selbst die weitgesteckten Grenzen der Fernseh-Comedy überschritten. Da werden Beleidigungen ausposaunt und geschmacklose Witze und blöde Sprüche am Laufmeter zum Besten gegeben. Und meistens sind es aufstrebende Möchtegernstars, die aus der Rolle fallen. Vielleicht steckt dahinter System, denn wer beleidigt, der provoziert und bringt Quote. Diese bedenkliche Tendenz ist besonders bei privaten Sendern zu beobachten.
Fangen wir mit einer im besten Sinne bemerkenswerten Erscheinung am dicht bevölkerten Komödiantenhimmel an: Harald Schmidt. Er ist nicht so ausfallend und dümmlich wie einige seiner Berufskollegen, die sich ebenfalls in der Branche eingenistet haben. Denn er bringt in seiner ARD-Show viel Satirisches, aber auch Geistreich-Sarkastisches mit ins Spiel. Aber hier und dort sorgen frauenkritische Pointen für Unbehagen. Hier einige Sprüche, die wohl den Frauen – insbesondere den betroffenen – nicht sonderlich Spass bereiten dürften:
„Die Scheidung hat viele soziale Vorteile: Seien wir doch mal ehrlich, ohne Scheidung hätten doch viele Frauen gar kein Einkommen.“
„Wenn die Frauen abends müde von der Arbeit nach Hause kommen, sollte man sie wenigstens in Ruhe putzen lassen.“
„Claudia Schiffer will nach Bosnien. Wie viel Leid müssen die Menschen noch ertragen.“
„Claudia Schiffer hat Falten. Das ist völlig normal, wenn man zuwenig gebügelt wird.“
Dazu eine Begebenheit aus meinem früheren Arbeitsleben: Zur allgemeinen Aufheiterung im tristen Firmenalltag wurden von Kollegen Witze gelegentlich erzählt. Als ich einmal selber einen meiner Ansicht nach besonders gelungenen Witz über Frauen, den ich inzwischen leider vergessen habe, vorgetragen hatte, entrüstete sich eine Kollegin: „Dieser Witz ist ja frauenfeindlich!“ Von nun an erzählte ich nur noch Witze über Männer. Dieselbe Kollegin, die mich vorher kritisiert hatte, lachte sich dann immer halbtot. Kein Wort von „männerfeindlichen“ Äusserungen! Dieses Adjektiv scheint nicht zu existieren.
Nach dieser Abschweifung geht es weiter mit unserem bekannten, unermüdlichen Fernsehkomödianten: Stefan Raab verlässt in seiner Spass-Show „TV total“ (Pro 7) des öfteren den guten Geschmack. Der für sein loses Mundwerk bekannte Spassvogel verletzte das Persönlichkeitsrecht einer Schülerin namens Lisa Loch. Den Namen benutzte er für Spässe, die unter die Gürtellinie gingen. Die Frau verklagte daraufhin den Fernsehmoderator Raab, 2 Produktionsfirmen und einen privaten Fernsehsender. Das Oberlandesgericht Hamm verurteilte die Beklagten zu einer Schadensersatzzahlung von 70 000 Euro. Nach Ansicht der Richter kann eine Satire zwar einen beachtlichen Freiraum beanspruchen, sie darf eine Person aber nicht im Kernbereich verletzen. Als sich der Formel-1-Fahrer Ralf Schumacher an der Erotikfirma Beate Uhse in Österreich beteiligte (der Vertrag wurde später wieder aufgelöst), witzelte Stefan Raab darüber und bezeichnete den Rennfahrer als „Porno-Ralle“ und seine Frau als „Hard-Cora“. Dann liess er Hemden mit diesem Aufdruck vertreiben. Daraufhin drohte Schumacher mit einer Klage. Diese wurde nicht erhoben, da Raab den Erlös aus einem T-Shirt-Verkauf in Höhe von 100 000 Euro für den gemeinnützigen Verein „Cora e.V.“, der sich um die Opfer sexueller Gewalt kümmert, spendete. So kann man sich „elegant“ aus der Affäre ziehen: Zuerst beleidigen, dann spenden. Die letzte grosse Verunglimpfung leistete sich der „Comedy-Star“ Oliver Pocher in der Sendung „Wetten, dass . . .“ am 22. Januar 2005. Dort beleidigte er eine 28-Jährige, die an einer Aussenwette teilnahm, wie folgt: “Ich will ja nichts sagen, aber du siehst ganz schön alt aus für dein Alter. Es gibt übrigens eine schöne Operations-Show bei Pro 7, da könnte ich Sie mal vorschlagen.“ Auch diese Frau will Schadenersatz einklagen. Pocher trat dann nochmals ins Fettnäpfchen, als er für die Aussenwette Frisöre brauchte, und sagte, alle Homosexuellen sollen doch zum Rathausplatz kommen. Unter www.politikforum.de wurde dieser Vorfall diskutiert. Es waren überwiegend negative Reaktionen, die auf diesem Forum aufs Tapet kamen. Hier einige Meinungen: „Ich halte es für gravierend, dass ein paar dümmliche Fernseh-Rotznasen unser Grundgesetz mit ihren schmutzigen Schuhen in die Mülltonne kicken.“ − „ . . . er ist ein Symbol der Verblödungskultur, des grenzenlosen Verfalls, und daher wünsche ich der beleidigten Frau alles Gute und halte ihre Klage für gerecht!“ Andere beurteilen Plocher als ein „absolutes Unterhaltungstalent“; er „repräsentiere eine neue Art von Entertainment in Deutschland“ oder er sei „bissig, aber charmant“. Wenn dies die neue Unterhaltungskultur ist, dann gute Nacht. * Nachtrag: Auch publizitätshungrige Politiker sind immer häufiger bereit, Andersdenkende und Ältere zu beleidigen. Man kann sich über diese Unkultur nur wundern. Hier das neueste Beispiel: Kürzlich versah Deutschlands oberster jungliberaler Möchtegernpolitiker Jan Dittrich eine Pressemitteilung mit der Überschrift „Alte, gebt den Löffel ab“. Es ging ihm um den Hinweis, dass einer heute mehrheitlich gut abgesicherten Rentnergeneration Jahrgänge gegenüberstehen, die mit hohen Beiträgen belastet werden und später wenig Rente bekommen. „Viel geschmackloser, viel dümmer hätte er kaum um Aufmerksamkeit buhlen können“, so die Äusserung von Thomas Fricker in der „Badischen Zeitung“ vom 5. März 2005. Auf Grund der Verunglimpfung trat Jan Dittrich von seinem Amt zurück. Seine politische Karriere dürfte somit beendet sein. Er hat im wahrsten Sinne des Wortes seinen politischen Löffel abgegeben.
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