Textatelier
BLOG vom: 29.04.2015

Wasserläufer: Vom Traum, übers Wasser zu schweben

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Westdeutschland
 
 
Da steht jemand auf einem Brett auf dem Wasser, hat ein Paddel in der Hand und bewegt sich nach vorn. So wie sich der Begriff „surfen“ in der deutschen Sprache etabliert hat, und das für 2 verschiedene Handlungen, nämlich im Internet und auf dem Wasser, so ist für diese Art von Wasserwandern ebenso eine englische Bezeichnung, verbunden mit einer entsprechenden Abkürzung, populär geworden: „stand up paddling“ oder einfach „SUP“. Es sieht von Weitem so aus, als ob die Person auf dem Wasser stehe oder gleite. Aber ohne das Brett unter ihren Füssen würde sie untergehen. Das Wasser würde nicht tragen!
 
Oder etwa doch? Jeder, der im christlichen Glauben unterrichtet worden ist, kennt die Geschichte, die der Evangelist Matthäus erzählt haben soll. Morgens um 4 Uhr waren die Jünger, die grösstenteils als Fischer ihr Leben fristeten, auf dem See, als Jesus, über das Wasser laufend, sich ihrem Boot näherte. Sie erschraken und dachten, es sei ein Gespenst, was sie sahen. Aber Jesus gab sich ihnen zu erkennen. Petrus wollte sich vergewissern und ihm entgegengehen. Als er aber die hohen Wellen auf sich zukommen sah, erschrak er und sank ein. Beide gelangten dann zum Boot.
 
Natürlich fragt sich jeder, wie Jesus, sollte die Episode so wirklich stattgefunden haben, das denn gemacht haben könnte. Für die Jünger war „das Wunder“ ein Beweis für die Göttlichkeit Jesu. Es wurde darüber viel spekuliert, vor allem über den Wahrheitsgehalt, aber auch, wie tief denn das Wasser dort gewesen sein könnte, und anderes.
 
Bis heute gibt es Versuche, das angebliche Geschehen nachzuahmen. Ein Shaolin Mönch hat es nach 10-jährigem Training geschafft, über schmale, zusammenhängende Planken über 100 m über einen See zu laufen. Mit einer perfekten Abstimmung von Geschwindigkeit, Balance und Trittfrequenz gelangt es ihm.
 
Viel Aufmerksamkeit erlangte ein Magier mit Namen Criss Angel, der ein Video ins Netz gestellt hatte, das ihn zeigt, wie er über das Wasser geht. Natürlich ist ein Trick dabei. Es gibt ein weiteres Video, das diesen Trick aufdeckt. Wahrscheinlich hat er mit randlosen dicken Plexiglasstühlen gearbeitet, die unter Wasser in einem Schwimmbad nicht sichtbar sind.
 
Dass es doch möglich ist, zeigen andere Geschichten.
 
Tomas Nunuk war es möglich, auf einem kleinen See in der Hohen Tatra, einem Grenzgebirge zwischen der Slowakei und Polen, über das Wasser zu gehen. Allerdings war der See zugefroren, was man aber wegen der unglaublichen Reinheit des klaren Wassers darunter nicht sehen konnte. Er lief über das Eis, das nicht sicht- und erkennbar war.
 
Es gibt eine weitere Möglichkeit. Man nehme 2.5 kg Speisestärke mit dem Inhaltsstoff Maisstärke auf 2 l Wasser und rühre diese langsam und stetig in das Wasser ein. Zuerst wird es eine graue Suppe, dann ein zäher Brei. Dieser Brei wird so hart, dass man ihn sogar mit einem Hammer nicht zerstören kann. Theoretisch könnte man also damit auf dem Wasser laufen. Der Druck auf die so präparierte Flüssigkeit macht sie beim Auftreten fest, aber nur dieser Druck. Würde ich mich darauf legen, würde ich einsinken.
 
Wie bekannt, können Luftkissenfahrzeuge über das Wasser gleiten. Ein oder mehrere Propeller erzeugen einen Luftstrom, der unter das Fahrzeug geleitet wird. Darauf kann es sich fortbewegen.
 
Zur Familie der Leguane gehören die Stirnlappenbasiliken, die den Namen „Jesus-Christus-Echsen“ bekommen haben. Sie sind in der Lage, über das Wasser zu sprinten, um ihren Fressfeinden, den Schlangen, zu entkommen. Sie benutzen dabei die Trägheitskraft, die Widerstandskraft und den Auftrieb und rennen und springen mit einer Geschwindigkeit von 5‒6 Schritten pro Sekunde auf ihren breiten, mit Schwimmhäuten versehenen Füssen davon.
 
In der Tierwelt ist der Name „Wasserläufer“ nicht selten.
 
Zahlreiche Wattvögel tragen diesen Namen: der dunkle Wasser-, Bruchwasser-, Teichwasser-, Terekwasser- und der Kampfläufer. Sie laufen aber nicht „auf dem Wasser“, sondern durch das nur ihre Füsse bedeckende Flachwasser oder Wattenmeer.
 
Ich wende mich den „richtigen“ Wasserläufern zu. Es ist eine Insektenart, und diese ist schon sehr alt, wie der folgende Ausschnitt berichtet:
 
„Noch spannender allerdings war ein weiterer Fund, den die Paläontologen in einem der neuen Aufschlüsse bei Orbagnoux/Rhone/Frankreich machten: Im Kalkstein erhalten war auch das Fossil eines rund 150 Millionen Jahre alten Wasserläufers – und damit des ältesten bekannten Exemplars dieser Insektengruppe. Das rund 6 Millimeter lange, geflügelte Tier besass nach hinten gedrehte Hüfte, die darauf hindeuten, dass seine Beine an das Umherlaufen und Gleiten auf der Wasseroberfläche angepasst waren, wie die Forscher berichten. Sie tauften die zuvor unbekannte Gattung dieses Wasserläufers Gallomesovelia – Gallo für Frankreich, Mesovelidae für Wasserläufer. Diese Urzeit-Wasserläufer lebten vermutlich am Ufer der Meereslagune oder an einem Brackwassertümpel in dessen Umgebung und jagten auf der Wasseroberfläche ihre Beute.“
 
Der Wasserläufer gehört zur Familie der Wanzen. Er hat einen schlanken, stabförmigen Körper und gelbe Punkte auf dem Rücken. 4 Beine dienen der Fortbewegung, vorn am Körper sind 2 kürzere weitere, sie ermöglichen den Beutefang. Die Beute sind kleinere Insekten, die ins Wasser gefallen sind, Larven und kranke Artgenossen. Die Tiere sind fähig, hohe Sprünge zu machen. Wenn es regnet, verkriechen sie sich unter Blättern, man kann sagen, sie sind „wasserscheu“, jedenfalls wenn das Wasser von oben kommt.
 
Wie schaffen sie es, auf dem Wasser zu laufen? Da ist zuerst einmal die Oberflächenspannung des Wassers. Wie kommt sie zustande? Im Wasser wirken Anziehungskräfte zwischen den Molekülen. An der Wasseroberfläche können die Moleküle nach aussen hin keine Anziehungskraft ausüben. Die Kräfte sind nicht ausgeglichen, es entsteht eine Kraft ins Innere hinein. Diese Kräfte bilden die Oberflächenspannung, denn es entsteht eine Art „Haut“. Sie ist so stabil, dass Wasserläufer darauf laufen können. Im Physikunterricht lassen Schüler Büroklammern darauf schwimmen.
 
Dennoch: Wasserläufer müssen dafür „ausgestattet“ sein. Untersuchungen von Wissenschaftlern im 21. Jahrhundert haben folgendes herausgefunden:
 
„Allgemein hört man immer wieder, dass sie sich die Oberflächenspannung des Wassers zu Nutzen machen. Das stimmt auch. Im Wesentlichen profitieren sie von der wasserabstossenden Wirkung ihrer Füsse.
 
Bislang ging man davon aus, dass diese mit einer Art Wachsschicht überzogen seien, an der das Wasser nicht haften könne.
 
Nun ist es zwei chinesischen Wissenschaftlern vom Zentrum für Nanotechnik in Peking gelungen, dieses Geheimnis zu lüften. Sie kamen zu dem Schluss, dass feine nadelförmige Härchen an den Füssen der Wasserläufer für diesen Effekt verantwortlich sind.
 
Die beiden Forscher haben auf der Oberfläche der Härchen winzige Furchen entdeckt, in denen nach Vermutungen der beiden Forscher Luftbläschen festsitzen. Dabei wird eine Art von Luftkissen gebildet, welches verhindert, dass der Fuss nass wird.
 
Bis zu 4.4 mm tief kann das Bein eines Wasserläufers in die Wasseroberfläche eindringen, ehe sie durchstochen wird. Dabei wird ein Wasservolumen verdrängt, das etwa 300 Mal grösser ist als das Volumen einen Fusses des Wasserläufers.“
 
Ist es nicht erstaunlich, dass die Evolution vor mehr als 150 Millionen Jahren das Prinzip von Luftkissen entwickelt hat?
 
 
Quellen
Das Neue Testament, Matthäus, Vers 14,25‒33.
 
 
Hinweis auf ein weiteres Blog mit Bezug zu Wasserläufern
 
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