Hochzeit: Schleier – Tiefzeit: Schlappe
Autor: Emil Baschnonga
Hier geht es um die enorm hohe und rasant anwachsende Scheidungsrate, die sich am ausgeprägtesten in London manifestiert. Eine von den Scheidungsanwälten aus dem Hause Mishcon de Reya veranlasste Umfrage hat in der englischen Presse etlichen Staub aufgewirbelt: „Kaum geheiratet, schon geschieden“ sorgt, so scheint es, allseits für Überraschung.
Eines von 10 Ehepaaren scheidet innerhalb eines Jahres, 25 % innert 2 Jahren. Viele Gründe werden dafür genannt, zuvorderst der berufliche Stress, dem junge Paare ausgesetzt sind. Beide arbeiten von früh bis spät und erreichen das „traute Heim“ oft erst nach 8 Uhr abends, meistens übel gelaunt. Unterwegs hat er etwa eine Parkbusse aufgelesen, und sie hatte Ärger mit ihrem Chef gehabt. Zank und Streit flammen zu Hause auf. Wer macht die Einkäufe, kocht, räumt ab, wäscht das Geschirr und besorgt die übrigen Haushaltspflichten?
Ich selbst kann nicht aus eigener Erfahrung sprechen – zum Glück. Irgendwie fanden meine Frau und ich immer wieder den Rank, gewiss nicht reibungslos. Letzte Woche waren wir bei einem befreundeten Komponisten und seiner Frau zum Nachtessen eingeladen. Das Scheidungsthema kam zum Dessert ins Gespräch. Debbie sagte dazu etwas, das mich stutzig machte: „Eigentlich erstaunlich, dass nicht noch viel mehr Paare scheiden, wenn man bedenkt, wie grundsätzlich verschieden Männer und Frauen sind.“ Ich hätte eher geglaubt, dass der Grundstein zum Eheglück das gewisse „vive la différence“ sei.
Philosophie beiseite: Es überrascht mich immer wieder, wie viele vermeintlich glückliche Paare sich gänzlich unerwartet scheiden lassen. Beim Abschiedskonzert des Musikmeisters vom Kings College in Wimbledon tranken wir heiter im Vestibül ein Glas Wein. Unser befreundetes Paar lachte und spasste miteinander – bot beinahe das Bild verliebter Turteltauben. 3 Wochen später hatte er die Scheidung beantragt, Kinder hin oder her. Der Chirurg verliess seine Frau einer Krankenschwester wegen und hat 2 Kinder von ihr. Sein Sohn, inzwischen 28 Jahre alt geworden, hat seit der Scheidung kein Wort mehr mit seinem Vater gesprochen, desgleichen dessen Töchter. Das ist wirklich traurig.
Heute bürgert sich von Amerika der Brauch ein, einen so genannten „Pre-nuptial“-Vertrag abzuschliessen, also noch vor der Verheiratung. Er bestimmt, wem der Kochtopf gehört, die Gardinen und was immer sonst noch.
Aha, jetzt gehen mir langsam die Augen auf: Die Scheidung ist zur mordsteuren Angelegenheit geworden, von den die Scheidungsanwälten, die am meisten davon einsacken, propagiert. Die Anwälte um Mishcon de Reya haben die Umfrage wirklich geschickt eingefädelt, um ihren Anteil an diesem Wachstumsmarkt zu steigern. Frei nach Wilhelm Busch trennte man sich schon damals nicht ohne Pein. Jetzt kommt noch die finanzielle Marter hinzu.
Missverstehen Sie mich bitte nicht, denn zum Thema „pour ou contre l’amour“ im oder ausserhalb des Ehehafens kann und will ich mich nicht äussern.
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