Textatelier
BLOG vom: 13.07.2015

Walter Hess – ein persönlicher Nachruf

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen, Westdeutschland

 

Gerade lese ich „Blog-Eröffnung zu Musikklängen“, das Blog, das Walter Hess vor 10 ½ Jahren zum 01.01.2005 ins Netz gestellt und damit eine Textreihe eröffnet hat, die in dieser Form einmalig und originell ist. Für ihn stand der Begriff „Blog“ im Neutrum, der Duden hatte sich damals noch nicht festgelegt und lässt heute auch den maskulinen Artikel zu. Walter Hess schrieb damals, er stehe im 68. Lebensjahr und sei nach 44 Jahren publizistischer Tätigkeit „selbstständig, unabhängig, und bei bester Gesundheit und Laune“. In diesem Blog stellte er seine Idee einer Schriftenreihe vor. Er wollte Texte aller Art ins Netz stellen, abseits von „publizistischer Leitkultur“.

Er wusste schon damals, dass er diese Aufgabe nicht allein würde schaffen können. Seine Mitstreiter von Anfang an waren Heinz Scholz, ansässig hinter der schweizerisch-deutschen Grenze in Schopfheim und Emil Baschnonga, wohnhaft in London; im Laufe der Jahre kamen noch eine Vielzahl hinzu. Die technische Unterstützung leistet damals wie heute Urs Walter. Der Bruder von Walter Hess, Rolf, wohnhaft auf den Philippinen, korrigiert. Obwohl Walter seine Heimat, die Schweiz, und besonders Aarau und Biberstein, sehr am Herzen lag, war und ist das Textatelier schon von Anfang an nicht nur regional und national, sondern auch international ausgerichtet.

Das Blogatelier veröffentlicht bis heute täglich mindestens ein neues „Tagebuchblatt“, zeitweise waren es auch schon mal 2 oder 3. Es gibt keine Beschränkung hinsichtlich der Themenvielfalt. Das war von Walter bereits im Namen angelegt. Ein „Atelier“, aus dem Französischen für „Werkstatt“, ist der Arbeitsplatz kreativer Menschen. Bei einem Künstleratelier, so schreibt Wikipedia, ist „eine gute Belichtung mit Tageslicht von ausschlaggebender Bedeutung“, und so schrieb Walter damals, dass er sich sein Aussenbüro im hellen Wintergarten eingerichtet habe.

Auf der Website ist zu ersehen, wie kreativ die Autoren in diesen über 10 Jahren waren. Alle Lesebuchblätter sind dort zu finden und sind ein wahrer Schatz an Meinungen, Erkenntnissen, Erlebnissen, Impressionen und Erzählungen als Sachtexte und Belletristik aller Art.

Ich kam erst im März 2012 dazu. Ich hatte die Website als einen Edelstein für interessante Texte entdeckt, hatte begonnen, sie in meinem Deutschunterricht zu verwenden und kam auf die Idee, selbst als Autor tätig zu werden. Damals war ich in Indien und konnte Impressionen aus diesem interessanten Land zusteuern.

Ich war überrascht, wie überaus freundlich und wohlwollend Walter mein Ansinnen aufnahm. Meinen ersten Text, als Reaktion auf ein Blog geschrieben, veröffentlichte er unter seinen „Reaktionen auf Blogs“, von denen er bis dato 158 veröffentlichte.

Er wird keine mehr schreiben und auch keine Texte mehr. Am Samstag, den 04.07., ist er nach kurzer schwerer Krankheit seinem Leiden erlegen. Er wird keine bissigen Kommentare mehr zu politischen Fragen und Ereignissen verfassen, die ihm wichtig waren, sei es zu weltweiten Entwicklungen wie der Globalisierung, sei es zu kommunalen Entscheidungen in der Schweiz.

Ich werde ihn vermissen. Ich werde es vermissen, auf meine Blog-Einsendungen einen kurzen, immer anders formulierten Kommentar per Mail zu erhalten, der mir signalisierte, dass sie angekommen waren. Ich werde seine Texte vermissen, seine enorme Sachkenntnis und Erfahrung. Ich werde meine Überraschung vermissen, meinen Text bereits wenige Stunden, nachdem ich ihn eingereicht hatte, im Netz zu finden.

Nach einigen Monaten hatten wir uns auf ein “Du“ geeinigt. Ich fühle mich wohl im Kreise der Bloggerkollegen. Ich fühlte mich in den Kreis aufgenommen, und das liess Walter mich auch spüren, ebenso wie sein Bruder bei dem Mailwechsel zu erforderlichen Textkorrekturen.

Kann man jemanden einen Freund nennen, mit dem man „nur“ über Mails und über die verfassten Texte verbunden war? Ich habe nie mit Walter telefoniert, ihn nie getroffen oder ihn gesehen. Dennoch, ich fühle eine Verbundenheit mit ihm und ich bedauere sehr, dass ich meinen lang gehegten Wunsch, in die Schweiz zu fahren und mich mit ihm zu treffen, nicht umgesetzt habe. Ich habe es verpasst und ich kann es nicht mehr verwirklichen.

Ich denke an ihn, an seine Familie, seine Verwandten, denen ich allen mein tiefes Mitgefühl ausspreche. Walter war ein grossartiger Mensch! Seine Texte werden noch für lange Zeit auf der Website zu finden sein, und er wird nicht vergessen, dessen bin ich mir sicher! In Deinem Sinne, Walter, machen wir weiter!


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