Textatelier
BLOG vom: 31.07.2015

Einzelschicksale der Wirtschaftsflüchtlinge

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Deutschland


Deutschland stöhnt, wie auch Gross-Britannien und andere der Europäischen Union angeschlossenen Länder, über die wachsende Zahl der Flüchtlinge. Es sind Menschen aus Kriegsgebieten, geflüchtet, weil ihr Leben bedroht wird, deren Angehörige getötet worden sind, deren Häuser zerstört sind oder weil sie verjagt wurden.

Aber es sind auch andere, denen von Schleppern eingeredet worden ist, Deutschland sei das Land, in dem, um es einmal mit biblischen Termini zu bezeichnen, „Milch und Honig fliesst“ und in dem man sein Glück versuchen kann, wenn die Lebensgrundlage im Heimatland kaum ausreicht, um eine Familie zu ernähren. 

In meinem Wohnort hatten die Behörden ein paar Tage vorher die Nachricht erhalten, sie müssten 130 Flüchtlinge unterbringen. Was tun? „Glücklicherweise“ sind Schulferien, Schulen und Sporthallen ungenutzt. So quartierte man sie kurzerhand vorübergehend in eine Sporthalle ein, die normalerweise von Vereinen und den Schulen der direkten Umgebung genutzt wird.

Diese Sporthalle liegt direkt neben dem Schwimmbad, von dem ich meine Tochter und meine Enkelkinder nach dem Baden mit dem Auto abzuholen hatte.

Während der Wartezeit beobachtete ich, dass der Parkplatz unmittelbar vor der Sport- und Schwimmhalle abgesperrt worden war, darauf stehen ein Toilettenwagen und andere Fahrzeuge. Der Kellereingang zur Sporthalle hin stand offen und einige Flüchtlinge sassen auf der Bank vor dem Schwimmbad.

Ich bot ihnen Pfefferminzbonbons an, die ich zufällig noch in meiner Hosentasche hatte. Dadurch ergab sich ein Gespräch. Ein Mann aus der Vierergruppe, die dort sass, sprach gutes Englisch. Er sei aus Albanien, sagte er mir. Albanien sei ein schönes Land. Er habe als Bauarbeiter gearbeitet und ca. 250 Euro im Monat verdient. Davon könne er seine Frau und seine 2 Söhne nicht ernähren. Deshalb sei er hier. Er hoffe, dass er von einem Arbeitgeber angefordert werde und einen Arbeitsvertrag erhalten könne.

Wer denn sonst so in der Sporthalle sei, fragte ich ihn. Er sagte, sie kämen aus verschiedenen Ländern, Syrien, Libanon, usw. Ob er wisse, dass seine Chancen, als Flüchtling anerkannt zu werden, nicht sehr rosig seien. Das wisse er, aber trotzdem hoffe er darauf.

Unter den politischen Parteien ist ein Streit ausgebrochen, wie denn mit den sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen zu verfahren sei. Das Asylverfahren dauere dafür, dass die Menschen sicher eine Ablehnung erhalten werden, und zurück nach Hause müssten, zu lange oder dass entschieden wird, sie in das EU- Land zurück zu schicken, das sie zuerst erreicht hatten, bevor sie nach Deutschland gekommen waren.

Gleichzeitig wird darüber beraten, wie man das Schlepperbandentum bekämpfen könne. Den Menschen werde eingeredet, Deutschland und andere EU-Länder warteten nur darauf, dass sie kommen würden, weil es zu wenig Arbeitskräfte und viel Arbeit gäbe. Für die Fahrt verlangen sie viel Geld, oft mehrere Monatsgehälter und alles Ersparte. Was sie wirklich hier erwartet, erzählen sie ihnen nicht. Es ist ein gutes Geschäft für die Schlepper, sogar auch dann noch, wenn die Boote, die über das Mittelmeer kommen, dabei untergehen.

Einerseits kann man Menschen verstehen, die aus politischen Gründen ihre Heimat verlassen, aber auch die, die dies aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus tun. Den wirklich Verfolgten sollte man auch helfen.

Aber was tun mit denen, die „nur“ aus wirtschaftlichen Gründen kommen? Und mit denen, deren Heimatländer nach Abschluss der Kriegshandlungen wieder als „sicheres Land“ eingestuft werden?

Die EU-Länder kann sie teilweise, aber längst nicht alle aufnehmen und integrieren. Damit übernehmen die Länder dann auch die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass sie eine Grundversorgung, eine Unterkunft, usw. erhalten, bis sie „auf eigenen Füssen“ stehen können. Da diese auch nicht sehr weit reicht, könnte das auch eine Erhöhung der Kriminalität, wie Wohnungseinbrüche oder Raub zur Folge haben, so wird pauschal gefolgert. Was nicht unbedingt stimmen muss.

Je mehr kommen, desto höher steigen die Aufwendungen. Einheimische, die arbeitslos sind oder selbst in prekären Arbeitsverhältnissen ihr Einkommen verdienen, fühlen sich schlechter gestellt als die Neuankömmlinge. Das erzeugt Neid, Missgunst und Ablehnung, bis hin zu ausländerfeindlichen Aktivitäten, wie zu Brandanschlägen usw., denn sogenannte „rechte“ Gruppierungen wollen sich mit der Ablehnung von Ausländern pauschal als diejenigen anbiedern, die angeblich wissen, was „für das deutsche Volk“ richtig sei.

Besonders wenn man die Einzelschicksale sieht, ist man in einem Dilemma. Sogar die Bundeskanzlerin war es, die bei einem Schulbesuch von einem Mädchen angesprochen worden ist, das ausgewiesen werden soll. Es war schon einige Jahre in Deutschland, kenne weder die Heimat, noch die Muttersprache kaum und fühle sich mit ihren Freunden wohl hier. Frau Merkel konnte nur auf die geltenden deutschen Gesetze des Ausländerrechts hinweisen, was natürlich kritisiert worden ist.

Wir in den Industrieländern sind zufällig dort geboren worden, wo uns Chancen geboten werden, ein auskömmliches Leben zu führen. Je nach Herkunft werden die Chancen genutzt und führen zu (bescheidenem) Wohlstand. Vielen Menschen auf der Erde ist dies nicht beschieden. Ihr Lebenskampf ist ungleich aufwändiger und weniger chancenreich. Das reicht von Hunger bis zu einem Einkommen, das auch für ein einfaches Leben kaum ausreicht.

Das war schon immer so und wird sich auch nicht ändern. Es ist die Frage, wie lange eine Abschottungspolitik noch wirksam sein kann. Gibt es eine Alternative? Die Grenzen allen zu öffnen, die ins „gelobte Land“ ziehen wollen? Wozu würde das führen?

Es bleibt nichts anderes übrig, als den „Wirtschaftsflüchtlingen“ die Hoffnung auf ein „besseres Leben“ in einem anderen Land zu nehmen, sie dazu aufzufordern, im eigenen Land dafür zu kämpfen. Und der Versuch, durch Information und Bildung den Verführern, die anderes versprechen, ins Handwerk zu pfuschen.

Der Mann aus Albanien wird vermutlich in einiger Zeit wieder in sein Heimatland zurück geflogen werden. Er durfte das Land seiner Sehnsucht betreten, um es dann wieder verlassen zu müssen. Er wird enttäuscht sein, vielleicht auch wütend, auf den Schlepper, auf Deutschland. Ob er daraus etwas lernen wird?

 

 


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