Graffiti-Sprache: „Das ist Mist“ - „Why? I’m rubbish“
Autor: Emil Baschnonga
„Das ist Mist." − “Warum? Weil ich Mist bin.” Dieses Graffiti war weiss aus der Sprühdose auf eine Hauswand in London geschmiert – auf Englisch: „This is rubbish − Why? I’m rubbish.“ Damit hat ein Schmierfink die Sache anscheinend getroffen. Doch steckt mehr dahinter: Ein tieferer Missstand verbirgt sich hinter diesem traurigen Selbstbefund.
Gestern Samstag fuhr ich zu einer Lebensmittel-Ausstellung, zuerst mit der Bahn von Wimbledon zum Waterloo-Bahnhof, wo ich auf die Jubilee-Untergrundlinie umstieg, bis zur Haltestelle Canning Town weiterfuhr und dort nochmals umsteigen musste.
Somit hatte ich wieder einmal reichlich Gelegenheit, an diesen Wunderwerken der Strassenkunst in Schreifarben vorbeizufahren. Nichts wird von den Farbklecksern verschont: Auf Mauern hoch und tief; an verlotterten, baufälligen Gebäuden in Shoreditch, Tottenham, Deptford (zum Teil ein Elendsviertel), an allen Bahndämmen entlang, an den Wänden der Fussgänger-Passagen – eigentlich überall an den Kehrseiten dieser Weltstadt – wird von Jugendlichen unter 18 Jahren viel Aerosol verspritzt. Bestenfalls bringen sie Farben in eine trostlose Umwelt. Jeder dieser Künstler signiert seine Werke mit einem zackigen Logo oder Monogramm – wie ein Aufschrei.
Übrigens soll dieser Unfug vor rund 30 Jahren in Zürich begonnen haben; er ist mit dem Namen Harald Naegeli verbunden. Ob das so stimmt oder nicht, weiss ich nicht. Jedenfalls ist das Sprayen längst zur Weltplage geworden. Der ordentliche Bürger ist von diesen Vandalenakten verunsichert, ganz besonders, wenn solche in seiner Strasse förmlich über Nacht auftauchen. Mit Stahlbürste und Chemikalien quält er sich ab, die hartnäckig haftenden Klecksereien zu entfernen. Eine Reinigungsfirma belastet £ 60.− pro Klecks! Ich bin ihnen an meiner Gartenmauer mit einem einfachen Mittel beigekommen, indem ich sie mit ziegelroter Deckfarbe (Menninge), womit Gartenzäune aus Eisen vor dem Verrosten geschützt werden, überstrichen habe.
So ärgerlich Graffiti auch sein mögen, bringen sie mich kaum in Harnisch, angesichts anderer weitaus gravierenderer Seuchen in dieser Welt, die von tiefer liegenden Ursachen ausgelöst werden. Graffiti sind als Zeichen und Ausdruck unserer Zeit zu verstehen. Wäre ich ein Fotograf, würde ich sie knipsen, etwa dieser Anschlag: „A friend in weed is a friend in Deed.“
Von den Graffiti lässt sich auf allerlei Beweggründe schliessen: Viel Hass gegen „Instanzen“ aller Art, hin und wieder sogar geistreich von Stapel gelassen; viele Jugendliche sind von dieser Welt, in der sie leben, entfremdet. Sie veranschaulichen ihren Protest grafisch. Sie investieren viel in Sprühdosen und kaufen Schablonen, um ihre Werke wirkungsvoller zu gestalten.
Statt Heilmassnahmen einzuleiten werden Abwehrmassnahmen ergriffen, um diese Schandtaten wegzuputzen, die allein im Bereich des englischen Schienennetzes rund £ 100 Millionen (CHF 220 Mio.) verschlingen. Bei Neubauten werden mehr und mehr spezielle Anti-Graffiti Anstriche eingesetzt. Mit einem Sündenregister, das mit den Monogrammen in Verbindung gebracht werden kann, wird nach den Übeltätern gefahndet.
Die wahren Opfer aber sind und bleiben die am Rande der Gesellschaft verdrängten Halbwüchsigen. Es bräuchte mehr als einen Heinrich Pestalozzi, der sich ihrer annehmen müsste.
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