Textatelier
BLOG vom: 19.11.2015

Ständerat: Schweiz ist wichtiger als Aldi und Co.

Autor: Pirmin Meier, Historiker und Schriftsteller, Beromünster LU/CH


Was Terror und Terrorismus betrifft, scheint man im Unteren Aaretal erfahren zu sein. Aber keiner ist abgebrüht, der es noch selber erlebt hat. Dieser Tage erschienen verschiedenenorts Artikel über den Flugzeugabsturz von Würenlingen vom 21. Februar 1970. Einem Samstag. Ich selber schrieb am Montag darauf einen Report in der „Botschaft“. Alt Oberrichter Jürg Fehr, mit dem ich die Rekrutenschule gemacht habe, mahnte vor Wochenfrist, dass die Schweiz nie ernsthaft den Willen gehabt habe, dieses Verbrechen zu sühnen. Aus Angst vor weiteren Verbrechen. Unterdessen gab es in Paris eine weitere böse Nachhilfestunde. Zwei dringend Tatverdächtige sollen über Griechenland durchgewinkt worden sein. Zum jetzigen Zeitpunkt sind solche Meldungen freilich mit Vorsicht entgegenzunehmen.

Die drei Affen. Nicht sehen. Nichts hören. Nichts ändern. Alles beibehalten! Hoffentlich ist das nicht die Einstellung der drei Ständeratskandidaten im Aargau. Vielleicht muss wieder mal an das Grundwissen Staatskunde appelliert werden. Ein Staat besteht aus einem Staatsvolk. Dieses kann erweitert werden und vergrössert. Aber nicht beliebig. Nicht jeder kann kommen. Und ein Staat, wie zum Beispiel die USA, hat Grenzen. Millionen von Mexikanern bekamen das schon zu spüren, und zwar ohne Gratisanwälte. Obama ist Friedensnobelpreisträger.

Die Aargauer zumal im Grenzgebiet zum „Grossen Kanton“ Deutschland haben sich an das bequeme Schengen-Regime gewöhnt. Schon gibt es Warnungen: Wer seinen Grundbedarf in Deutschland deckt, vor allem bei Aldi und Lidl, soll auf keinen Fall den einheimischen Ständeratskandidaten wählen. Es dürfte aber klar sein, dass man, wie schon immer, auch in Zukunft über die Grenzen kommt. Ich hielt schon vor Schengen in Bad Säckingen, Waldshut, Jestetten, Konstanz und Überlingen Vorträge über die Schweiz. Einmal bin ich wegen der Grenzkontrolle sogar etwas zu spät kommen. „Es geht auch so“, stand im Schweizer Zivilverteidigungsbüchlein.

Sollte man in Europa wieder ernst nehmen, warum es Staaten gibt, braucht es Änderungen. Noch wichtiger: Die Bevölkerung muss sogar, wie Churchill 1940 dazu aufrief, bereit sein, Opfer zu bringen. Normal wäre, dass die Landesverteidigung mehr kostet und mehr kosten darf als das Asylwesen. Zur Zeit des 2. Weltkrieges erhielten 500 Personen Asyl. 235 000 wurden vorläufig als Flüchtlinge aufgenommen, und das in sechs Jahren. Es war Europarekord, trotz Unrecht in Einzelfällen.

Als ich vor einigen Wochen Hans Letsch in der „Weltwoche“ würdigte, der zusammen mit Jules Binder (Baldingen) 1979 bis 1987 Ständerat des Kantons Aargau war, schien mir klar: Persönlichkeiten von dieser Kleidernummer stehen heute nicht zur Verfügung. Weder im Aargau noch in anderen Kantonen. Arbeitgeberpolitiker Letsch hat jahrzehntelang lang vor der Brüsseler Bürokratie gewarnt, artikulierte sogar Zweifel an Schengen und an der Uno. Jules Binder verdanken wir die Schweizer Umweltschutzgesetzgebung. Zu seiner Zeit hatte die CVP vier Nationalräte und einen Ständerat. Derzeit noch eine Nationalrätin. Trotz ihrer unbestrittenen Dossierfestigkeit und ihrer hohen Kompetenz als Gesundheitspolitikerin trägt die ehemalige Orientierungsläuferin Mitverantwortung für den Zerfall dieser Partei. Einige von deren Kadermitgliedern haben die Grundsätze der christlichen Soziallehre längst vergessen. Damit meine ich nicht die Frage der Abtreibung, sondern das Subsidiaritätsprinzip und das Prinzip der Solidarität, welches auf der Basis überschaubarer kleiner Gemeinschaften beruht. Mit Gratisanwälten für Asylbewerber hat das nichts zu tun. Nimmt man das schweizerische System der Krankenkassen ernst, einschliesslich der Zwangsgebühr aller Einwohner für Radio und Fernsehen, dürften eigentlich nur Leute ins Land gelassen werden, die sich das Leben hier auch leisten können. Andernfalls sollten die Kirchen und weitere Protagonisten der christlichen Nächstenliebe diese Kosten übernehmen. Alles andere hat nichts zu tun mit dem, was der Philosoph Ignaz Paul Vital Troxler (1780 – 1866) am 8. Mai 1833 im Hinblick auf das damals schon recht kostspielige Asyl der Polen die „Blüthe der Neutralität“ nannte. Damit meinte er ein streng politisches, auf die Wiederbefreiung unterdrückter Länder ausgerichtetes Asylrecht.

Was Philipp Müller betrifft, erinnere ich mich an sein Plädoyer für Schengen im Saalbau Reinach. Fast alles, was er sagte, war falsch. Bundesrat Blocher erklärte jedoch auch: „Wir sollten es wagen.“ Dagegen war aber mit guten Argumenten zum Beispiel Nationalrat Luzi Stamm, der wegen seinem Parteiwechsel von der FDP zur SVP im Kanton Aargau nie richtig beliebt war. Heute noch einer der wenigen Aargauer Politiker, die was von Aussenpolitik verstehen. Der andere war übrigens Geri Müller.

Es ist meines Erachtens hilflos, mit der Wahl von Ruth Humbel jetzt die CVP retten zu wollen. Falls in dieser Partei im Kanton Aargau noch jemand für höhere Weihen in Bern in Frage kommt, wird es die auch als Publizistin tüchtige Marianne Binder-Keller oder der grundzuverlässige Weinbauer Andreas Meier sein. Philipp Müller verfügt über politischen Instinkt und Volksnähe. Ihm ist zuzutrauen, die freisinnige Ständeratsfraktion vor einem etatistischen Kurs, zu dem vor allem Westschweizer neigen, zu bewahren. Insofern bringt er für die politische Rechte eher mehr als der von der NZZ am 17. November als angeblich „schwach“ bezeichnete SVP-Mühleunternehmer aus Leibstadt. Dessen Stärke liegt in der Berechenbarkeit. Das Wichtigste ist wohl, dass zumal die Personenfreizügigkeit auch innerhalb der Europäischen Union nicht als heilige Kuh gehandelt werden kann. Die Bereitschaft, den am 9. Februar gerade in der Mehrheit der Kantone eindeutigen Verfassungswillen, die Masseneinwanderungsinitiative durchzusetzen, sollte nicht ausgerechnet im Ständerat unterlaufen werden.

Verbleibt hierzu als fast letzter Mohikaner der SVP Hansjörg Knecht. Wo Knecht drauf steht, ist auch Knecht drin. Seine Familie ist schon länger in der Partei als Blocher. Aldi und Lidl sind billiger. Er bildet sich nicht mal ein, Bundesrat werden zu müssen. Im Wahlkampf gilt derzeit: Alle gegen Knecht. „Wer ihn kennt, wählt ihn“, sagt sein Werbeleiter Werner Laube. Ich kenne die Knechtbuben als ehemaliger Lehrer in Leuggern schon länger als Laube. Ich sage zurückhaltender: „Wer ihn kennt, hält ihn für wählbar.“ Aus Liebe zur Schweiz wünsche ich meinem Heimatkanton eine Wahlbeteiligung, für die man sich hoffentlich nicht schämen muss.

 
 
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