Textatelier
BLOG vom: 29.05.2016

Boreout: Erschöpfung durch Langeweile im Betrieb

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D

 

Vor kurzem wusste ich noch nicht, dass es die neuere Bezeichnung Boreout gibt. Das änderte sich, als ich einen Bericht in der Presse las. Geschildert wurde die Geschichte eines Franzosen, der seine Firma auf 358 000 Euro Schadenersatz für Langeweile verklagte. Er wurde quasi „in den Besenschrank versetzt“, nicht um sich dort zu vergnügen, sondern um sich zu langweilen. In Frankreich sagt man, er war „placardisiert“- also in den Besenschrank versetzt, zum Daumendrehen verurteilt, wie Stefan Brändle in einem Kommentar in der „Badischen Zeitung“ am 09.05.2016 kundtat.

Dies geschah so: Die Firma verlor einen wichtigen Kunden, der Abteilungsleiter hatte plötzlich keine Arbeit mehr. 4 Jahre hielt er es aus. Durch die Langeweile und Unzufriedenheit bedingt, wurde er krank. Die ständige Unterforderung habe ihn zerstört, sagte Frédéric Desnard. Er wurde depressiv, bekam Magengeschwüre und einen epileptischen Anfall. „Es war ein Abstieg in die Hölle, ich habe als Mensch nicht mehr existiert“, so Desnard. Der Betroffene fühlte sich auch als Mobbingopfer.
Das Entziehen von Aufgaben oder das Vergeben unnötiger bzw. langweiliger Arbeiten kann eine Form des Mobbings darstellen (Quelle: Spiegel Online vom 04.05.2016).

Boreout verursacht dieselben Symptome wie Burnout, jedoch wird diese nicht durch Stress, sondern durch ständige Unterforderung und das Fehlen von Erfolgserlebnissen ausgelöst. Folgeerscheinungen  bei Unter- und Überforderung sind Müdigkeit, Lustlosigkeit, Gereiztheit und Frustration und Depression.

Boreout wird von manchen Ärzten und Forschern als „Modeleiden“ bezeichnet. Das sehen die Autoren Rothlin und Werder anders.

Keine Faulheit
Boreout ist nicht mit Faulheit zu verwechseln.  Wer unter Boreout leidet, will ja arbeiten, er sucht Herausforderung und Anerkennung.  Dazu die Autoren Philippe Rothlin und Peter R. Werder, die das Buch „Diagnose Boreout, warum Unterforderung im Job krank macht“ verfasst haben: „Vielmehr wird ein vom Boreout Betroffener faul gemacht, etwa weil sein Vorgesetzter ihm keine oder nur langweilige Aufgaben überträgt. Innerhalb einer Arbeitsgruppe können auch gleichzeitig Burnout und Boreout auftreten, denn wenn ein Teil der Gruppe sämtliche Arbeiten für sich beansprucht und sich damit überfordert, fühlen sich die übrigen Gruppenmitglieder unterfordert.“

Zurück zum vorliegenden Fall: Nach einem Autounfall war der heute 44-jährige Desnard 6 Monat krankgeschrieben. Dann wurde er entlassen.
Die Firma weist alle Vorwürfe zurück. „Warum sollte man ihn beschäftigen, wenn er 4 Jahre lang nichts zu tun hatte?“ sagte der Anwalt der Firma. Desnard bekam, wie Spiegel Online berichtete, ein Jahresgehalt von 80 000 Euro.

Das Urteil im Boreout-Prozess soll am 27. 06.2016 fallen.

Manche leiden nicht unter Boreout
Wir hatten früher einen Arbeitnehmer, der fast jeden Tag für eine oder zwei Stunden verschwand.  Er war im Labor tätigt. Er stellte auf seinem Arbeitsplatz ein Becherglas mit einer wässrigen Lösung und einem Magneten auf einen Rührer. Die Lösung rührte ohne Aufsicht dahin, wie man sagt. Der Bursche demonstrierte, wie arbeitswillig er war. Dann verschwand er in einem Lager im Keller. Wahrscheinlich döste er dort. Plötzlich tauchte er wieder auf und rührte weiter.
Ein anderer Arbeitnehmer verplauderte sich gerne bei Kollegen in anderen Abteilungen. So erfuhren diese Fakten über seine Reiseerlebnisse und für die Zuhörer unwichtige Dinge. Der Erzähler hatte dann seine Bewunderung und Erfüllung.
Beide litten keineswegs unter Burnout oder Boreout, sie waren schlichtweg faul. Später, als sie Pensionäre wurden, erzählten sie überall, wie hart sie gearbeitet hatten.

Es gab auch Fälle in der Vergangenheit, wo Vorstände auf Grund eines Wettbewerbsverbots bei Firmenwechsel Millionen fürs Nichtstun kassierten.
Auch hochbezahlte Fussballstars, die kaum oder gar nicht zum Einsatz kommen, könnten unter den beschriebenen Symptomen leiden. Darüber wurde bisher nichts berichtet, höchstens über Unzufriedenheit und über einen späteren Vereinswechsel.

Es gibt etliche Strategien, wie man Boreout und Burnout verhindert. Wir haben bei anstrengenden und voll konzentrierten Tätigkeiten im Betrieb entsprechende Freizeitaktivitäten (Fahrradfahren, Schwimmen, Wanderungen) zum Stressabbau durchgeführt. Das war für uns alle ein guter Ausgleich. Firmenchefs können jedoch auch eine Menge tun. Sie sollen bestrebt sein, die Arbeiten gerecht auf alle Mitarbeiter zu verteilen. Es ist für einen Chef wichtig, dass er zufriedene Mitarbeiter hat.
Wer unter Boreout leidet, dem werden folgende Therapien empfohlen: Psychotherapie bzw. psychotherapeutische Gespräche, Autogenes Training, Musik-, Kunst- bzw. Körpertherapie, Qigong, Atemtherapie. Auch wird ein Ausstieg aus dem Unternehmen in Erwägung gezogen.

Internet
www.badische-zeitung.de
www.spiegel.de
www.boreout.com
www.burnout.info

Literatur
Rothlin, Philippe; Werder Peter R.: „Diagnose Boreout, warum Unterforderung im Job krank macht“, Redline, München 2007.
Rothlin, Philippe; Werder, Peter R.: „Die Boreout-Falle: Wie Unternehmen Langeweile und Leerlauf vermeiden“, Redline, München 2009.

 


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