Textatelier
BLOG vom: 01.07.2016

„Gute Zäune machen gute Nachbarn“

Autor: Pirmin Meier, Historiker und Schriftsteller, Beromünster LU/CH


Red. Der unten stehende Beitrag zum Mentalitätsvergleich Grossbritannien - Schweiz erschien am 27. Juni in der Neuen Luzerner Zeitung. Pirmin Meier, Autor in Beromünster, hielt sich 1968 wärhend vier Monaten in Bournemouth an der englischen Südküste sowie in Schottland auf und kommentierte für die Neue Luzerner Zeitung auch das schottische Unabhängigkeitsreferendum. Zwischenzeitlich hat sich der beim Brexit-Schock aufgewirbelte Staub etwas gelegt. Merkwürdig bleibt, wie grosse Mühe die veröffentlichte Meinung in vielen Teilen Europas mit einem Volksentscheid bekundet, im Vergleich etwa zum Entscheid von Parlamenten und Regierungen. Auch ist der Entscheid, ähnlich wie die Schweizer Masseneinwanderungsinitiative, noch längst nicht umgesetzt. Was die angebliche Inkompetenz des sogenannten kleinen Mannes bei komplizierten Fragen betrifft, schon bei Platon ein Argument gegen die Demokratie, so hielten der Athener Themistokles sowie in der modernen Zeit der in London wirkende Philosoph Karl Popper fest, dass das demokratische Wahlvolk in seiner Mehrheit wohl kaum eine Verfassung entwerfen könne, jedoch unschlagbarer Experte sei in der Frage, ob es ihm selber in einem System wohl sei oder nicht. In diesem Sinn ist die Abwahl von Regierungen wie auch die Ablehnung besserwisserischer Konzepte wohl der Punkt, wo man dem Wahlvolk die vergleichsweise höchste Kompetenz und Zuständigkeit zutrauen kann. Es gibt keine objektiven Kriterien, einen Willensentscheid der Zugehörigkeit zu einer politischen Gemeinschaft als wahr oder falsch hinzustellen.

Dass sich Fachleute aus dem Ökonomie- und Finanzbereich noch am Donnerstagabend über den Ausgang der Abstimmung in Grossbritannien täuschten, verwundert nicht. Bei der Entscheidung dürften Mentalitätsfragen eine massiv unterschätzte Rolle gespielt haben. Dies gilt auch für Schottland. Sagt England „Gix“, gilt für die Highlands „Gax“. Das Brexit-Nein in Glasgow erfolgte wohl kaum nur aus Anhänglichkeit an Brüssels Subventionen.  Eher schon wurde der Politik von Camerons Torys Nichtakzeptanz vermittelt. Das Pech der schottischen Nationalisten bleibt, dass die Reihenfolge der Abstimmungen über ihre Unabhängigkeit und den Brexit eindeutig verkehrt war.

Am Tage liegt, dass die Generation, die sich noch an den 2. Weltkrieg erinnert, tendenziell anders stimmte als viele Studenten, die sich um europäische Bildungsprogramme Sorgen machten. Gemäss einer Umfrage glauben immerhin 5 Prozent der Briten, Deutschland habe den 2. Weltkrieg gewonnen. Doch wohl kaum in Coventry: der Stadt mit der berühmten Kathedrale, wo Deutschland und nicht England den Reigen der Kriegsverbrechen mit Flächenbombardierungen eröffnete. Nicht Merkel zuliebe stimmte Coventry massiv für den Brexit.

 

Ende der Belehrbarkeit

 Ebenfalls voll auf Brexitlinie votierte Runnymede: Ort der berühmtesten Wiese der Freiheit in Europa. Hier wurde 1215 die Magna Charta unterzeichnet, Zwar noch nicht Demokratie, aber doch Selbstbestimmung. Das Abstimmungsverhalten in Runnymede erinnert an das überaus berechenbare im Kanton Uri. Glaubt man die Eigenständigkeit des Landes in Gefahr, hört die Belehrbarkeit auf.

Die britische Mentalität enthält Elemente, die Parallelen zur alten Innerschweiz aufweisen. Unsere Pässe wurden auf dem Weg nach Italien schon ab dem 14. Jahrhundert von Engländern und Schotten aufgesucht. Ein Gelehrter soll den St. Gotthard auf einer Sänfte überquert haben. Um die fürchterlichen Schlünde nicht zu sehen, habe er sich die Augen verbunden. „Augen zu und durch!“ könnte man da sagen, was da und dort auch auf das Abstimmungsverhalten von mehr als 17 Millionen Briten gemünzt wird.  

Bournemouth, seit 1982 Partnerstadt von Luzern, bekannt für seine vorzüglichen Englisch-Schulen, hat mit gegen 55% dem Brexit zugestimmt. Die Behauptung, man denke hier weniger „weltaufgeschlossen“ als in der neu rotgrün regierten Schweizer Stadt, ist gewagt. Aber klar ist Bournemouth soziologisch konservativer als die Stadt Luzern. Die Zahl der Besitzer von Einfamilienhäusern und –häuschen ist massiv höher. In den Quartieren werden Nähe und Distanz auf exemplarische Weise markiert. Mit Zäunen, oftmals Lebhägen, grenzen sich die Nachbarn gegeneinander ab. „My Home is my Castle“. Nur das Geratter der Rasenmäher stört samstags die Idylle. Die Hundedichte ist ungeheuer. Repräsentative Fotos von Abstimmungslokalen zeigen klassisch englische Köter. An der Leine angebunden, manchmal etwas hässlich, aber gerade deswegen in der Individualität unverwechselbar. Wie ihre Herrchen.

„Good fences make good neighbours“, sagt das Sprichwort. Gute Zäune machen gute Nachbarn. Es besteht eine erstaunliche Nähe zum Entlebucher Zaunrecht von 1491. Auch zum Satz von Bruder Klaus, dass man „den Zun nit zu wit“ machen solle. Die älteste Urkunde über den Besitz von Klaus von Flüe schildert eingehagtes Gelände, sogenannte Bifänge. Nidwaldens Landrecht von 1456 macht klar: Friede unter Nachbarn bedeutet:Grenzen einhalten und Zäune und Marchen beachten! Werden einfache Grundlagen des Zusammenlebens nicht beachtet, sind Friede und Recht in Gefahr. Die Quittung dafür folgt früher oder später. Am unschädlichsten auf demokratischem Weg.

 
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