Toni Schaller (1935 – 2016) – „Dorfpoet“ mit repräsentativer Ausstrahlung
Autor: Pirmin Meier, Historiker und Schriftsteller, Beromünster LU/CH
Gemäss dem Zürcher Kurt Guggenheim, der sich selber als "Lokalpoeten" ortete ("Alles in allem") gehören die Dorfpoeten zu den zwar unscheinbaren, aber wesentlichen Repräsentanten des G e m e i n s i n n s in der Schweiz. Dies galt im Kanton Luzern im 19. Jahrhundert zum Beispiel für Xaver Herzog (1810 - 1883), den populären Pfarrer von Ballwil. Im 20. Jahrhundert war wohl der in Römerswil LU lebende Fridolin Hofer ein schlicht genialisches Prachtsexemplar eines Dorfpoeten, zur Gründungszeit des ISSV wie Meinrad Inglin und Heinrich Federer posthum eingemeindet. Toni Schaller, verstorben in Sursee am 19. August 2016, war sich nach ehrgeizigen Anfängen als Akademiker mit Dissertation über Meister Eckhart sowie kühner Experimentallyrik und Kurzgeschichten, auch revolutionären pädagogisch-didaktischen Vorschlägen ("Schule ohne Noten") in seinen alten Tagen nicht zu schade, Stadtpoet für Sursee, das ihn mit seinem Kulturpreis ausgezeichnet hatte, und Dorfpoet für sein heimatliches Entlebuch zu sein. Die späte Bescheidung ist nicht mit einem k ü n s t l e r i s c h e n Abstieg zu verwechseln. Eher schon mit der realistischen Einschätzung dessen, w a s Literatur, deren Stellenwert in der Schweiz trotz Förderung vielleicht nie so niedrig war wie heute, für einen Autor jenseits der hohen Auflagen und der grossen Verlage noch sein kann. "Kurzgeschichten aus den Voralpen" lautet somit der letzte Titel Schallers, der in Sursee und im Entlebuch 2015 vorgestellt wurde. Eine zwiespältige Hommage an Schallers Wohn- und Schulort Sursee war sodann "Califari oder der schilfgrüne Rock", eine Hexengeschichte aus Sursee. Jener Stadt, von der gemäss seinen Memoiren der grosse Theologe Hans Küng in seiner Jugend nichts zum Beispiel von Antisemitismus wahrgenommen haben will, einem Phänomen zwar, das Küngs Lateinlehrer Josef Vital Kopp für Beromünster und die Innerschweiz wie kein zweiter meisterhaft dargestellt hat ("Der sechste Tag"). Es war durchaus angemessen, dass Schallers Hommage an Sursee nun mal durch eine Hexengeschichte erfolgte. Eindrücklich war, wie die Stadt Sursee ausgerechnet zur sogenannten Jahrtausendwende am 1. Januar 2000 Schaller zu ehren wusste. Es war ein Blick zurück wie auch gleichzeitig nach vorn. Trotz eines von Herkunft und Bildungsweg konservativen Habitus waren Schallers Orientierungen sowohl künstlerisch als auch im humanistischen Bereich als Lehrer progressiv. Typischerweise schloss er sich schon bei ihrer Gründung der Gruppe Olten an. Einigermassen revolutionäre Akzente setzte er am 5. April 1973 bei der Einweihung der neuen Kantonsschule Beromünster, als er mit den dadaistisch orientierten Zeichen- und Musiklehrern Peter Sicher und Walter Fähnrich sowie der mit ihm geleiteten Theatergruppe ein revolutionäres Bildungsprogramm andeutete jenseits herkömmlicher Erwartungen an "Wissenschaft und Frömmigkeit". Seine 1979 veröffentlichte aphoristische Programmschrift "Die Schulden der Schule" ging weit über das hinaus, was er selber im Schulzimmer praktizieren konnte oder durfte.
Die schriftstellerischen Anfänge von Toni Schaller präsentierten sich mit vielversprechenden Kurzgeschichten "Onkel Friedrich" (1973) und dem Gedichtband "Verlorene Fakten" (1974). In den 80er-Jahren erfolgte die Hinwendung zum kritischen Heimatschriftsteller, was ihm dann aber mit dem Jubiläumsfestspiel zur Schlacht bei S e m p a c h (1986) nicht voll gelungen zu sein scheint. Von der vernichtenden Kritik von Peter von Matt in der Weltwoche hat sich das Ansehen Schallers wohl nie mehr erholt. Er schien den Durchbruch zu einem Schriftsteller von nationaler Bedeutung am Ende doch nicht geschafft zu haben. Dabei war sein Sempach-Tagebuch "Wo sind die Helden, wo?" in seiner aphoristischen und tagebuchartigen Form klar gelungener als das Festspiel, doch fand dieses subtile Werk mit allen Qualitäten des Anekdotikers und Aphoristikers Schaller damals - wohl wegen von Matts Verriss des Schauspiels - keine Anerkennung bei der damaligen Luzerner Literaturförderung unter Vorsitz von Klara Obermüller. Zu den vergnüglichsten und unterhaltsamsten Werken von Toni Schaller gehört ohne Zweifel der satirische Roman "Die Republik Entlebuch lässt grüssen" von 1989, eine Darstellung von Regionalismus bis hin zum Separatismus, wobei jedoch auch hier eher das Utopische als das Ländlich-Rückständige im Vordergrund steht. Schaller traute seinen Landsleuten etwas zu!
Erfreulichen Erfolg hatte Toni Schaller als Radiomann, als Erzähler und Hörspielautor, wofür er 1990 mit dem Radiopreis der damaligen SRG ausgezeichnet wurde, heute Innerschweizer Medienpreis. Im ISSV gehörte Schaller zu den aufmerksamsten, das Geschehen als Leser mitverfolgenden echt neidfreien tollen Kollegen. Er zeigte sich erfreut über jede gute oder wenigstens ansprechende Leistung und sparte nie mit Ermunterungen jenseits von Schulmeisterei, was er gerne mit persönlichen Briefen und Karten ausdrückte. Der getreue mehrfache Familienvater und Grossvater Toni Schaller war mit Antoinette Künzli, die ihm im Tode vorausgegangen ist, verheiratet und lehrte u.a. an den Kantonsschulen von Beromünster und Sursee sowie in Luzern. In keiner Weise zu unterschätzen ist seine Freiburger Dissertation von 1969 über die Rezeption von Meister Eckhart im 20. Jahrhundert, die ihm eine Assistentenstelle an der McGill-Universität in Montreal eintrug. Biographisch denkwürdig bleibt, dass Schaller, geboren am 5. Januar 1935, als Mitglied einer grossen Bauernfamilie zeitweilig ein Verdingbub-Schicksal erlebte und nur dank dem beherzten Einsatz seiner Schwester dann am Benediktinerkollegium Sarnen studieren durfte. Er hatte diese soziale wie auch religiöse Prägung nie vergessen und blieb in diesem Sinn sein ganzes Leben lang ein authentischer, tief im Heimatlichen verwurzelter und doch kritischer Innerschweizer Geistesmensch.
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