Winterdepressionen
Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen, Deutschland
Mehr als einen Monat auf einer fremden Insel, eine mit „ewigem Frühling“,
einige Wochen voller Aktivitäten gingen ins Land. Die Tage waren gefüllt mit neuen Impressionen aller Art, unbekannter Flora, neuen Kontakten, einen Blick zu den Sternen.
Dann war die Zeit zu Ende. Wir sind wieder zu Hause in der gewohnten Umgebung.
Schwere legt sich aufs Gemüt. Lustlosigkeit lässt jedes Ansinnen schwinden. Es ist wie eine Leere im Kopf. Kein Thema interessiert mich in diesen Tagen.
Ich sitze in meinem Sessel und döse vor mich hin. Auf dem Tisch liegen unbekannte Bücher und Schriften. Ich kann mich nicht dazu aufraffen. Alles ist so zäh, mühsam verlaufend, der Antrieb gedämpft.
Zugleich entsteht ein Drang nach Naschereien, nach heissem Kaffee und Tee, nach Kuchen, nach alkoholischen Getränken. Wärmeenergie in jeder Form.
Anrufe gehen mich nichts an. Die elektronischen Medien, wie Emails und andere Nachrichten werden zwar von mir abgefragt, doch das Antworten darauf fällt so schwer. Es ist leichter, Kontakte zu ignorieren.
„Was wollen die alle von mir?“
Es scheint, als ob der Körper einfach eine Ruhepause verlangt. Ausserhalb spielt sich das Leben wie immer ab, hektisch, mit pausenlos einprasselnden Eindrücken. Sie erreichen die Neuronen im Gehirn nicht. Sie werden abgewehrt, erscheinen als Flimmern vor den Augen, ein flackernder unregelmässiger Halbring, Blitze als leuchtende Stäbchen, auch wenn ich die Augen schliesse.
Wie eine Schutzmauer legt sich Undurchlässigkeit um die Sinne. Jetzt eben nicht.
Abwehr. Blockade.
Was getan werden muss, aufstehen, waschen, ankleiden, essen, geschieht mechanisch, träge, lustlos.
„Du bist so in dich gekehrt! Machst du dir über irgendetwas Sorgen?“
„Nein, keine Sorgen, ich geniesse, wieder daheim zu sein!“
„Geniesse?“ Eine Schutzbehauptung. Ich will nicht über meinen Gemütszustand reden. Er geht niemanden etwas an.
„Alles in Ordnung.“
Sie sagt nichts mehr. Er hat seine depressive Zeit, die geht vorbei, denkt sie.
„Sollen wir etwas unternehmen? Unter die Leute gehen? Die Wintersonne geniessen?“
Ich spüre die Kälte in meinen Gliedern. Lieber die Heizung höher drehen.
„Muss das sein?“
Alles hat seine Zeit. Jetzt ist jetzt.
Wie lange es dauert, bis wieder alles so läuft wie vorher?
Erst muss der Winter vorbei sein.
Vielleicht ist es ja das andere Wetter! Hier friere ich, ich werde einfach nicht warm. Meine Hände fühlen sich immer kalt an.
Wann ist es endlich wieder 25 Grad? Die Lebensgeister brauchen spürbare Wärmestrahlen der Sonne, um wieder geweckt zu werden!
Dann werde ich auch wieder Ideen bekommen, mich für Politik interessieren, meinen Hobbys nachgehen! Mit Freunden und der Familie telefonieren.
Wie heisst es in dem Lied?
„Winter adé, scheiden, tut weh. Aber das Scheiden macht, dass mir das Herze lacht!“
Wann ist es endlich so weit?? Das Herze schlägt, wie es immer schlägt. Aber noch lacht es nicht.
Wir haben erst Februar. Mich schaudert’s. Der Winter ist längst nicht besiegt:
„Nun will der Lenz uns grüssen……“
Wie heisst die letzte Zeile der ersten Strophe:
„und lädt im Festtagskleide zum Maientanze ein.“
Noch 10 Wochen! Ich glaube, ich verkrieche mich ins Bett!
Siebenschläfer müsste man sein, seine Ruhephase dauert oft von Anfang September bis zum Mai des nächsten Jahres!
„Was wollen nur alle von mir? Ich will meine Ruhe, lasst mich doch einfach in Ruhe!“
„In meinem Schneckenhaus ist nur für mich Platz!“ „Tüüür zu!“
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