New York Times: „Seht euch das an, das sind wir!“
Autorin: Lislott Pfaff
Eine Bemerkung voraus: Der Österreicher Manfred Nowak ist Uno-Sonderberichterstatter gegen die Folter. In einem gestern Dienstag, 5. April 2005, veröffentlichten Bericht beklagte er die Aufweichung des Folterverbots und laut der in Wien erscheinenden „Die Presse“ das Zerbröseln des breiten Konsenses gegen die Folter: „Dass erstmals seit dem 2. Weltkrieg von westlichen Staaten die Absolutheit des Folterverbots in Frage gestellt wird, macht mir Angst.“ Die „Presse“ berichtete im Weiteren: „Ob er auch einmal eine fact-finding-mission in die USA unternehmen möchte? ‚Ich habe den Antrag gestellt, alle Gefängnisse unter US-Hoheit − überall auf der Welt − zu besuchen. Angeboten hat man mir ein Briefing in Washington.’ Das war Nowak zu wenig: ‚Als Tourist muss ich mir Washington nicht mehr ansehen.’“
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Und hier nun das Tagebuchblatt, das zufällig am gleichen Tag aus Liestal im Blogatelier eingetroffen ist:
Beim Ordnen von Papier sind mir einige Notizen von einer Radiosendung „Die US-Gesellschaft zwischen Folter und Moral“ mit Bernd Greiner, Amerikanist/Historiker am Hamburger Institut für Sozialforschung (DRS2, 14. 5. 2004) in die Hände gekommen. Die Folter-Diskussionen sind inzwischen wohl abgeebbt, die Aktualität des Themas aber ist erhalten geblieben.
Dazu einige Fakten: In den US-Gefängnissen sitzen mehr Gefangene als in der ganzen EU.
Die Folter ist an der Tagesordnung. Gefängnisse sind Privatunternehmen; das Personal ist unterbezahlt und lässt seine Wut an den Gefangenen aus.
60 % der US-Bevölkerung sind einverstanden mit den Geschehnissen im Irak. Für George W. Bush ist die Folter eine anerkannte Praxis. Dem haben sich auch US-Intellektuelle angeschlossen: Die Folter sei legitim. Die Verantwortung liegt also nicht allein beim Weissen Haus. Es gab Handbücher, in denen die Folter nicht nur als Mittel beschrieben wird, sondern wo dargelegt wird, wie Folter ausgeübt werden soll, inklusive sexuelle Gewalt. Das hat also System.
Sexuelle Gewalt wird bewusst als Foltermittel eingesetzt, weil die arabische Kultur als die schlimmstmögliche Form von Folter dargestellt wird. Dass folternde Soldaten durch das Kriegsgeschehen gestresst gewesen seien usw., ist ein Märchen. Das Gefängnispersonal war keine Kampftruppe, sondern wurde frisch aus den USA eingeflogen. Es wurden Machtphantasien ausgelebt. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Bigotterie und der völlig verklemmten Sexualmoral, die sich (zum Beispiel) austoben darf.
Seit den 90er-Jahren wird in den USA die Männlichkeit auf obszöne Art inszeniert (z. B. Militärfahrzeuge zum zivilen Gebrauch – Humbys).
In der Film-„Kultur“ herrscht ein sehr altes Motiv: Vorstellung der moralischen Überlegenheit der Amerikaner gegenüber weniger zivilisierten Gesellschaften. Seit 200 Jahren wird diese Arroganz in die Bevölkerung „eingebrannt“.
Die US-Administration glaubt sich über alles erhaben, überlegen. Die Mittel der Regierung sind nicht mehr demokratisch (Anmerkung: Sind sie es je gewesen?). Der Präsident ist überzeugt, in Gottes Auftrag zu handeln. (Anmerkung: Das hatten wir doch auch schon einmal?).
Für Bush gibt es immer noch die Kategorien „Gut“ und „Böse“. Ist eine unbestechliche Justiz unter dem ehemaligen Justizminister John Ashcroft noch gültig? Was bei den bekannt gewordenen Folterungen geschehen ist, hallt nach, ist ein langfristiges Erbe.
Gemäss der „New York Times“ muss sich Amerika vom Selbstbild der kulturellen Überlegenheit über andere Völker verabschieden. Aber damit tun sich viele Amerikaner unglaublich schwer. Bush habe gesagt: „Folter ist unamerikanisch.“ Damit erhebt er sich selbst über den Rest der Welt.
Die „New York Times“ ist nachdenklich geworden und hat sich zur Selbstkritik aufgeschwungen: „Seht euch das an, das sind wir!“
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