Textatelier
BLOG vom: 07.04.2005

Da fehlte nur die Webcam am Sterbebett des Papsts

Autor: Heinz Scholz

Die Welt hat so etwas noch nicht erlebt: Ein unglaublicher Medienrummel um den toten Papst. Thomas Fricker, der am 5. April 2005 in der „Badischen Zeitung“ einen Leitartikel schrieb, erklärte seinen Lesern, warum die Medien schier ausflippten: Der Papst war eine Kultfigur und Pop-Ikone und „sein Tod ist ein Medien-Ereignis von globaler Dimension“. Er fragt sich auch, warum eine Gesellschaft „einen solchen Durst nach Identifikationsfiguren entwickelt, dass ein Papst zur Ikone wird“. Dies überrascht tatsächlich, weil es in den letzten Jahren, besonders in der katholischen Kirche, viele Austritte gab und der Papst in manchen menschenverachtenden Entscheidungen auch Kritik einstecken musste. Aber es könnte auch sein, dass gerade die Jugend verzweifelt nach Vorbildern, die sie in der Politik und anderswo nicht mehr findet, sucht. Und im Papst sahen sie ein grosses Vorbild.

Ich finde den Medienrummel um den toten Papst Johannes Paul II. unwürdig. Aber solche persönlichen Betrachtungsweisen spielen im Informationszeitalter keine Rolle mehr; es hat seine eigenen Gesetzmässigkeiten. Da berichteten Fernsehsender skrupellos rund um die Uhr über das langsame Sterben eines Kirchenoberhauptes. Der oben erwähnte Redakteur sieht die Schuld nicht bei der Kirchenführung in Rom, sondern bei den Nachrichten-Regisseuren, die aus dem Tod des Papstes ein Spektakel (und wohl auch Quote) machten.

Alle, die ich in den letzten Tagen zu diesem Thema befragte, sagten einhellig, dass in der Berichterstattung des Guten zuviel gemacht worden sei. Es hätte mehr als genügt, wenn in den stündlichen Nachrichten Berichte gesendet worden wären.

Auch ein Wanderfreund, der des Öfteren die 3. Fernsehprogramme ansieht, war höchst verärgert, als am Tage vor dem Tod und danach rigoros Fernsehsendungen unterbrochen wurden, um über den Todeskampf eines Menschen minutiös zu berichten.

Ganz scharf gingen Leser der „Badischen Zeitung“ mit der Berichterstattung ins Gericht. So schrieb Werner Völkle aus Emmendingen D Folgendes: „Was war das nun? Marketing der katholischen Kirche? Weltweiter Voyeurismus? Festhalten an der Macht? Aufrichtiges Mitgefühl oder Heuchelei? Fehlte nur noch die Kamera, die Webcam, am Bett des Papsts, damit wir auch den letzten Atemzug noch hätten live miterleben können. Es war entwürdigend – für den Menschen und das Amt.“

Und Robert R. Dorner aus Bonndorf D schrieb: „Papst und Vatikan predigen Menschenwürde, Ethik und Moral. Was aber medial mit dem Papst ‚veranstaltet’ wurde, wer auch immer dafür verantwortlich sein mag, hat mit diesen 3 Eigenschaften nicht annähernd etwas zu tun. Schon dieses Vorführen eines dem Tod näher Seienden als dem Leben war mehr als unwürdig.“

Als ich heute unter www.spiegel.de nachsah, traf mich fast der Schlag: Auf einem Video (Installation über einen Media-Player) kann man den Papst-Leichnam rund um die Uhr ansehen. Die „Reality- und Leichenschau“, wie Walter Hess den Presserummel um den toten Papst mir gegenüber in treffender Weise bezeichnete, ist nicht mehr zu stoppen. Er wirkt zunehmend widerlicher.

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