Daisy, Daisy!
Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Deutschland
Vor ein paar Jahren habe ich mir Gedanken über das Phänomen des Ohrwurms gemacht, eine Melodie, die, einmal gehört, lange nicht aus dem Kopf verschwindet und immer wieder "in den Sinn" kommt.
Sie tauchen wie angenehme Erscheinungen auf, solche Ohrwürmer, bei mir sind es meistens Lieblingsmelodien aus der klassischen Musik, aber auch andere.
Manche "pflege" ich über Jahrzehnte. Manchmal wache ich auf, und die Melodie ist in meinem Kopf, obwohl ich sie viele Jahre nicht gehört habe. Und dann werde ich sie nicht so leicht wieder los, und sie "geistert" in meinem Kopf herum.
Dazu gehört "Daisy, Daisy", ein hübsches kleines Liedchen über einen verliebten Mann, der von der von ihm Angehimmelten endlich eine Antwort erhofft, ob sie seine Liebe erwidert. Er kann ihr kein aufwendiges Leben bieten, auch keine teure Hochzeit, dafür aber "ein bicycle built for two", also ein Tandem. Das ist eine hübsche Metapher für die aufeinander abgestimmte Zweisamkeit des Lebens.
Hier ist der Text des Refrains:
"Daisy, Daisy / Give me your answer, do. / I'm half crazy / all for the love of you / It won't be a stylish marriage / I can't afford a carriage / But you'd look sweet upon the seat / Of a bicycle built for two."
Die für mich schönste Interpretation des Liedes, die nicht nur den Refrain beinhaltet, sondern auch die kompletten Strophen und Fotos von Tandems der damaligen Zeit, ist die folgende:
https://www.youtube.com/watch?v=cLlF-fkC2Os
Ganz nett ist auch die Interpretation von Nat King Cole:
https://www.youtube.com/watch?v=78MKBHR3NbU
Für mich war interessant, dass es damals nicht nur die heute bekannten Tandems gab, bei denen die Partner hintereinander sitzen, sondern auch solche mit 2 Lenkern und Satteln nebeneinander.
Es muss eine imposante Frau gewesen sein, die den Komponisten und Autor des Liedchens, Harry Dacre, dazu inspirierte. Nach eigenen Angabe war es eines von 600 Liedern, die er verkauft haben will.
Das eine war die Frau, über die noch zu berichten ist, das andere war das Fahrrad, und auch dazu wurde eine kleine Geschichte erzählt. Dacre wanderte zuerst nach Australien aus, dann ging er für eine Zeitlang zurück nach England, um wiederum auszuwandern, diesmal nach Amerika. Auf dieser Schiffsreise nahm er sein Fahrrad mit, für das er in den USA prompt Zoll bezahlen musste. Sein Freund erzählte ihm danach, hätte er ein Tandem mitgeführt, hätte er zweimal Zoll entrichten müssen.
Ob er die Namensgeberin des Liedchens wirklich selbst kennen gelernt hatte, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Jedenfalls war sie berühmt, ihr Leben bekannt und so kamen zwei unterschiedliche Puzzleteile zusammen, woraus dann eine Melodie entstand, die noch heute, ziemlich genau 125 Jahre später, bekannt und beliebt ist.
Daisy Greville, Countess of Warwick (1861 bis 1938), war eine Dame aus der englischen Oberschicht und hatte ein bewegtes Leben mit Hochs und Tiefs. Trotz ihrer Ehe mit Francis Greville, Lord Brooke, (5. Earl of Warwick), wurde sie (mit Duldung des Ehemannes!) eine Mätresse mehrerer Männer, unter anderem auch des späteren König Edward VII.
Laut Wikipedia nahm man es wohl (in der englischen Oberschicht) mit der ehelichen Treue damals nicht so genau!
https://de.wikipedia.org/wiki/Daisy_Greville,_Countess_of_Warwick
Das Fahrrad mit gleich großen Rädern und luftgefüllten Reifen gab es noch gar nicht so lange.
John Boyd Dunlop erfand es im Jahre 1888 zwar nicht neu, denn schon 1845 liess sich Robert William Thomson einen vulkanisierten Gummireifen patentieren, was aber in Vergessenheit geriet, weil die Entwicklung des Fahrrades hinterherhinkte. Dunlop schliesslich meldete 1888 das erste Patent für den Luftfahrradreifen mit "Dunlop-Ventil" an.
Das Radfahren galt in diesen Jahren für Frauen noch als unschick. Auf dem Tandem war es aber möglich, denn der Mann (Pilot oder Kapitän genannt) lenkte, der oder die Nichtlenkende wurde Stoker oder Heizer genannt.
Das moralisch nicht ganz einwandfreie Leben der Daisy Greville musste wohl auch dem nicht der Oberschicht angehörenden Volk bekannt gewesen sein. Dieses konnte sich eine "carriage", also eine Kutsche, nicht leisten, so kam der Schreiber des Liedes auf das Tandem, das schon eher erschwinglich war.
"Daisy" ist die Bezeichnung für ein Gänseblümchen. Die schweizerische Bezeichnung ist "Magritli", weil es wie die verkleinerte Form der Margerite aussieht. In Deutschland gibt es viele Namen für die Blume.
Die Bezeichnung Massliebchen ist ab dem 14. Jahrhundert als Massleben, Masslieben, Masslieblin belegt und wahrscheinlich vom mittelniederländischen "matelieve" ins Deutsche entlehnt.
Verwendung findet das Gänseblümchen auch als Orakel, indem die einzelnen Blütenblätter einer Blüte verbunden mit alternierenden Abzählreimen (etwa: …liebt mich, liebt mich nicht, liebt mich…) abgezupft werden.
Hat der Protagonist in dem Lied das Gänseblümchen schon um Rat gefragt, ob er bei der Ersehnten Chancen hat?
Ich weiss nicht recht, ob ich mich darüber freuen oder mich ärgern soll, die Melodie hat sich in meinem Kopf zur Zeit richtig festgesetzt. Geht es Ihnen auch so?
Quelle:
www.textatelier.com/index.php?id=996&blognr=4184
und entsprechende Wikipedia-Seiten.
*
* *
Hinweis auf weitere Blogs von Bernardy Richard Gerd
Schreibblockade und Krankheit
Greise, deren Einfluss und der Lauf der Zeit
Wenn der bockige Bock einen Bock schiesst
Sommerhitze
Das Priamel, ein Vierzeiler, den man auch noch heute kreieren kann
Kinderfragen - W-Fragen
Grübeleien eines Insassen in einer deutschen Strafanstalt
Karl Marx und die Globalisierung
Sicherheit und Risiko
Folgen des Konsums
Verbrechen, Ängste, Drang und Fatalismus
Andere Kulturen, andere Denkweisen
Gehört zur deutschen Sprache eine einfache Aussprache?
Gedanken zum Frühling