Verloren im wuchernden Labyrinth der Billigsttelefonie
Autor: Walter Hess
Früher, ja da war das Telefonieren noch eine einfache Sache. Im umfassenden Sinne. Man hatte auf einer Wählscheibe die passende Nummer einzustellen oder aber beim Ertönen eines schrillen Signaltons einfach sofort den Hörer abzunehmen, um diesen Lärm möglichst schnell loszuwerden. Basta. Aber die Sache war teuer, sobald man die Wählscheibe eigenhändig zum Rotieren gebracht hatte. Unerbittlich läpperte sich Minutenpreis an Minutenpreis, und irgendwann traf dann eine saftige Rechnung ein.
Inzwischen ist die Telefonie-Infrastruktur privatisiert und dadurch ausnahmsweise billiger geworden. Aber einfacher als früher ist es heute nicht. Ich muss mich jetzt unter den komplexen Angeboten der verschiedenen Anbieter wie Swisscom, Sunrise, Econophone und Tele2 zurechtfinden, die alle gnadenlos um meine Gunst buhlen, seit Jahren schon. Soeben hat mir ein jovialer Telefonverkäufer telefonisch den „Tele2 Business Turbo“, eine unschlagbare Lösung, wie er sagte, offeriert. Es sei eine speziell auf mein Unternehmen zugeschnittene Lösung, wie mir der freundliche Anrufer sagte. Selbstverständlich fühlte ich mich geehrt, dass Telefonunternehmen ihre Sparangebote genau auf meine Firma ausrichten. Dafür möchte ich ihnen in aller Öffentlichkeit einmal meinen aufrichtigen Dank aussprechen. Offensichtlich handelt es sich beim Textatelier.com und dem angegliederten Verlag Textatelier.com GmbH in all ihren Ausprägungen um ein besonders zukunftsweisendes Geschäftsmodell, was ich ja schon immer gesagt habe – ein Business-Turbo eben, um es sprachlich auf der Höhe der Zeit auszudrücken.
Der freundliche Herr von Tele2 sagte dann noch, während der Bürozeiten (von 08.00 bis 17.00 Uhr) könne ich mit diesem Angebot für unschlagbare 5 Rappen pro Minute herumtelefonieren. Da wurde ich allerdings etwas stutzig. Meine Bürozeit beginnt meistens vor 8 Uhr morgens und endet abends gegen Mitternacht; am Nachmittag werke ich gern im Freien. Das ist offenbar bei dem massgeschneiderten Angebot nicht berücksichtigt worden. Merkwürdig!
Und dann sind in meine bestehende Lösung noch einige Pferdefüsse eingebaut. Ich habe günstige Paketlösungen (Pauschalangebote), die mir unter der Voraussetzung gewährt wurden, dass ich während eines Jahres nicht abtrünnig werde; ich bin gewissermassen also mit Sunrise auf Zeit verheiratet. Natürlich hat jede Ehe einen Endlichkeitscharakter, wie alles auf dieser schnelllebigen und entsprechend baldsterbigen Welt. Deshalb gilt es für die Zeit des Nachher Vorsorge zu treffen, wie es fromme Menschen mit Blick auf das Jenseits sicherheitshalber auch tun.
Der Herr von Tele2 lobte mich in höchsten Tönen, weil durch meine Gesamtpäcklipolitik zweifelsfrei bewiesen sei, dass ich mich um Kostenoptimierungen bemüht hätte. Mein Geschäftstalent derart ausgezeichnet zu sehen, versetzte mich in eine beinahe euphorische Stimmung. Das tat gut. Für jene Zeit nach Sunrise, das heisst nach dem Gesamtpäckli-Vertragsablauf, wurde ich vorsorglich eingeladen, das spezifische zusätzliche Sparpotenzial meiner Firma in Erfahrung zu bringen. Aufgrund meiner bestehenden Telefonrechnungen könnten ein differenzierter, genau auf mein Telefonverhalten abgestimmter Preisvergleich ausgearbeitet werden, sagte der Berater, mir die Gelegenheit zur zusätzlichen Optimierung auf dem Servierbrett zuschiebend.
Mein Geschäftstalent erhielt beim Bedenken der Folgen Schlagseite: Lohnt sich der Aufwand für den Preisvergleich und die Umstellungen mit all den verschiedenen Anschlüssen, ISDN und dergleichen. Soll ich ein Technikstudium mit besonderer Berücksichtigung der Kommunikationstechniken und besonderer Ausrichtung auf Ökonomie absolvieren, um mich da besser zurechtzufinden?
Mein auf den Philippinen lebender Bruder Rolf lädt mich immer wieder ein, mit ihm übers Internet gratis zu telefonieren. Warum soll ich also 5 Rappen pro Minute ausgeben, wenn es noch viel, viel günstiger geht, dem Gratis verblüffend nahe? Man kennt das ja schon von der elektronischen Briefpost her, die nicht nur vollkommen gratis, sondern auch noch blitzschnell ist (im Unterschied zur teuren Papierpost). Doch die E-Post versagt, wenn man seinem Brief noch ein hausgebackenes Brot beilegen möchte. Dann steigen die Portokosten ins Astronomische.
Früher war das Porto viel billiger – die Entwicklung verlief also gegenüber der Telefonbranche in jüngster Zeit genau umgekehrt. Der Grund ist bekannt: Innerhalb der seligen schweizerischen PTT (Post, Telephon, Telegraph) wurden finanzielle Telefonüberschüsse zur Post-Subventionierung eingesetzt. Und damals kam dann auch niemand mehr draus, wie jetzt in Bezug auf die Telefontarife. Die Sache wurde gemanagt, zerlegt, entflochten, ausgegliedert, umstrukturiert. Neoliberalismus.
Ich habe den Fall so gelöst, dass ich einfach möglichst wenig telefoniere, ob es nun billig oder noch billiger ist. Meine Kunden und Bekannten schätzen es, wenn sie nicht wegen jedem Gix und Gax durch Alarmglocken aus ihrem Nachdenken und ihrem kreativen Wirken gerissen werden. Und wenn ich einmal anrufe, besteht für sie Gewähr, dass der Anruf seinen guten Grund hat. So kann ich es mir leisten, die Anbieter nicht ständig wechseln zu müssen. Und das bringt überall etwas Ruhe ins Haus.
Bis zu einem gewissen Grad ist also auch heute noch, trotz Privatisierung der 1., 2., 3. und letzten Meilen, noch so etwas wie ein friedliches Leben möglich, bei dem sich nicht alles um Telefonitis und die damit verbundenen Sparmöglichkeiten dreht … und das hat …
… Entschuldigung … ich muss hier abbrechen. Das Telefon läutet gerade. Es hat immer Vorrang.
Vielleicht hat Econophone gerade eine neue Aktion für Neukunden parat. Tatsächlich! Da geht es noch billiger, und die Bussen, die aus einem vorzeitigen Wechsel erwachsen, werden von diesem Billigstanbieter übernommen.
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