Textatelier
BLOG vom: 18.10.2017

Gedanken zu Scheuklappen, dem Tellerrand und den 3 Affen

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Deutschland

 

Pferde, besonders wenn sie einen Wagen oder Sulky ziehen, sollen nicht abgelenkt werden, was dazu führen könnte, auszubrechen oder zu scheuen und dadurch könnten Mensch und Tier in Gefahr geraten. Dagegen helfen Scheuklappen. Es gibt sie schon lange, im 15. Jahrhundert hiessen sie Scheuleder, was auf das verwendete Material hinweist. Scheuklappen versperren dem Tier den Blick nach rechts und links. Es gibt Hinweise darauf, dass schon im 16. Jahrhundert der Begriff als Redensart benutzt worden ist.

Menschen mit Scheuklappen sehen oder finden etwas nicht, ihr Blick ist starr geradeaus gerichtet. Menschen mit Scheuklappen denken in politischer Hinsicht ideologisch, selektiv und bleiben bei der eigenen Meinung, sogar auch noch dann, wenn ihnen der Irrtum bewusst (gemacht) wird. Nicht nur in politischer Hinsicht, auch in weltanschaulicher; auch in Liebesdingen, bei unverrückbaren Meinungen und Auffassungen haben Menschen Scheuklappen auf.

Menschen mit Scheuklappen können oder wollen nicht über den eigenen Tellerrand sehen. Schicksale unbekannter Mitmenschen sind ihnen egal, vor allem, wenn befürchtet wird, dass mit der Anteilnahme an ihrem Schicksal der Teller nicht mehr gefüllt werden könnte, weil sie Hilfe erwarten.

Nicht sehen, nicht hören, nicht sprechen wollen - viele Menschen haben das Bild der 3 Affen vor Augen. Dass diese Aussage den Affen zugeordnet wird, ist, so haben Wissenschaftlicher herausgefunden, aus einem Hörfehler entstanden:
Der Wissenschaftler Archer Taylor und der Japanologe André Wedemeyer entdeckten die Ähnlichkeit in der Sprache bei der Formel mi-zaru, kika-zaru, iwa-zaru. Sie bedeutet nicht sehend, nicht hörend, nicht sprechend. Zaru klingt so ähnlich wie saru, dem japanischen Ausdruck für Affe.

Die Metapher ist aber ebenso ein Synonym dafür geworden, sich einzuigeln, eben nicht weiter zu blicken als bis zum Tellerrand oder nur in eine Richtung, wie mit Scheuklappen.

Dieses Verhalten kann verschiedene Gründe haben:

  • Verbohrtsein in eine Ideologie oder in eine festgezurrte Lebensauffassung
  • Innere oder äußere Verbote oder Hemmungen, sich von anderen Meinungen vom vermeintlich richtigen alternativlosen Weg ja nicht abbringen zu lassen.
  • Angst vor Veränderung, vor neuen Kontakten, vor Fremdem.
  • Ablehnung anderer Meinungen, sich verschliessen vor neuen Argumenten

Es ist also sinnvoll, sich selbst zu fragen, ob man selbst bei bestimmten Dingen mit Scheuklappen durch die Gegend laufe.

Menschen streben nach Sicherheit, nach Festigkeit im Leben. Über den eigenen Schatten zu springen bedeutet offen für etwas Neues zu sein, was immer auch ein gewisses Risiko mit sich bringt.

Bei der persönlichen Einschätzung des einzugehenden Risikos kann eine Scheu davor entwickelt werden, besonders, wenn die Scheuklappen es verhindern, über seinen Schatten zu springen und sich vom eigenen Tellerrand weg zu bewegen.

Neue Erfahrungen machen zu wollen ist nicht jedermanns Sache. Wie oft ist Kindern der Satz eingeprägt worden, wer die Gefahr suche, komme eines Tages darin um?

Angstfrei zu leben ist in der Tat lebensgefährlich. Aber das ist ein Extrem, wie das andere, nur mit Angst zu leben und sich in sein eigenes persönliches Schneckenhaus zurück zu ziehen.

Aber: ist es nicht lebenswerter, den Mut aufzubringen, Unbekanntes zu wagen und in Erwägung zu ziehen? Führt die Begegnung mit anderen Kulturen und Lebensweisen, mit anderen Meinungen und Auffassungen nicht zu einer Erweiterung der eigenen Persönlichkeit? Wird der Gesichtskreis nicht dadurch geweitet? Das ist das Gegenteil vom Scheuklappenträger.

In unserer heutigen Zeit wird die Begegnung mit dem Fremden und mit fremden Menschen so einfach ermöglicht wie nie zuvor. Es wäre schade, davor zurück zu schrecken, mit Scheuklappen durchs Leben zu laufen, einseitig Ideologien anzuhängen, nicht über den Tellerrand hinaus zu gelangen.

(Es ist immer wieder interessant, welche Assoziationen Redewendungen und Metaphern auslösen können! (Wie viele habe ich heute benutzt?)

 


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