Textatelier
BLOG vom: 04.06.2020

Schreibblockade und Krankheit

Richard Gerd Bernardy


Einige fleissige Leser dieser Website können sich vielleicht noch an ein paar meiner Texte erinnern. Am Anfang habe ich noch manchmal 2 in der Woche geschrieben, seit dem 19.08.2018 herrscht Funkstille. Mein letzter Text hatte den Titel: Greise, deren Einfluss und der Lauf der Zeit.

In mir war es wie ein erloschenes Feuer. Mir fiel einfach nichts mehr ein, und was mir einfiel, gefiel mir nicht, war in meinen Augen nicht interessant genug für die Leserschaft oder war vom Thema her schon von vielen Schreibern behandelt worden. Ich habe es Schreibblockade genannt.

Der innere Wunsch, meine Gedanken, Überlegungen, Einfälle, Kurzgeschichten, Versuche zur deutschen Sprache zu veröffentlichen, erlahmte.

Zuerst dachte ich, das geht vorbei, aber der Impuls kam nicht wieder. Was mich überraschte war, ich dachte zwar noch ab und zu daran, aber im Grunde vermisste ich es nicht.

Vor einiger Zeit fiel mir ein Zitat von Thomas Mann aus seinem Buch: Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull auf, das ich hier - leicht gekürzt - wiedergebe:

Vergänglichkeit entwertet nicht.
Gerade sie ist es, die allem Wert Würde und Lebenswürdigkeit verleiht.
Nur das, was einen Anfang und ein Ende hat, ist interessant.
Es erregt und ist beseelt von Vergänglichkeit.

Wir alle leben in einer Gegenwart, die schon eine Minute danach Vergangenheit ist. In der Zukunft können wir nicht leben. Niemand von uns weiss, wie lange uns Gegenwart und Vergangenheit noch bleibt. Irgendwann werden die meisten von uns von der Nachwelt vergessen sein. Das eine oder andere bleibt einige Zeit im Gedächtnis.

Kurz nachdem meine Schreibblockade begann, stellten die Ärzte bei mir eine Krankheit fest, nicht heilbar, deren Verlauf zwar verzögert werden kann, aber deren Nebeneffekte im Körper sehr schnell zum Tode führen können. Ein Nebeneffekt durchlebte ich etwa ein Jahr später, ich fiel alle paar Tage, manchmal für 24 Stunden, ins Koma.
Es waren die Auswirkungen einer Ammoniakvergiftung, und führte zu Gedächtnisverlust, Schreibunfähigkeit, Konzentrationsprobleme und zu starker körperlicher Schwäche. Ich konnte meinen Namen nicht mehr schreiben, nicht mehr laufen, eigentlich nichts mehr ohne Hilfe machen.

Das dauerte etwa 2 Monate an und ich konnte mich langsam erholen. Noch heute, fast ein Jahr später, überfallen mich täglich Phasen der Müdigkeit, ich vermisse Spannkraft und Energie.

Diesen Text zu schreiben kostet mich viel Kraft.
Mit so einem Ereignis ändert sich bei mir meine Gedankenwelt, meine Wünsche treten zurück, ich lernte, dass viele Dinge nicht mehr relevant sind. Eine innere Ruhe und Gelassenheit erfüllt mich.

Natürlich denke ich an den Tod, kein Arzt sagt mir, wie viel Zeit ich noch habe. Ich lebe von neuen und auch von bekannten Ereignissen, die in meinem Körper stattfinden, unvorhersehbar und lebensgefährlich. Schon mehrmals musste mich der Rettungswagen ins Spital bringen.

Ich habe eine Patientenverfügung, die besagt, dass ich nicht in jedem Fall vor dem Tod bewahrt werden muss, wenn sich zeigt, dass das Leben nicht mehr lebenswert ist. (Was besonders auch in der Coronakrise wichtig ist, ich will nicht an eine Beatmungsmaschine!)

Ich informiere mich über Sterbehilfe.

Ich erkundige mich über Bestattungsmodalitäten, Kremation, Ascheverstreuung im Meer.

Ich bin aber noch lange nicht dort angelangt. Meine Nachbarin, auch sehr krank, sagt mir bei jedem Treffen, dass wir uns nicht so schnell unterkriegen lassen. Wir leben noch.

Und wir haben noch Pläne. Urlaubsfahrten, Besuche bei den Enkelkindern. Bücher, die ich noch lesen, Filme, die ich noch sehen, Musik, die ich noch hören möchte.

Das Leben hat noch einiges, was mich interessiert. Es wird nicht mehr alles möglich sein, aber das muss es auch nicht.

Krankheit ist ein Lehrmeister für Bescheidenheit.

Dieses ist mein letztes Blog. Bleiben Sie dem Textatelier treu und leben Sie wohl!

 


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