Die Trauer am Leben und Zelebration des Todeskampfs
Autorin: Lislott Pfaff
Eben jetzt, am Sonntagmorgen um 10 Uhr, da ich diese Zeilen schreibe, wird der neue Papst Benedikt XVI. feierlich in sein Amt eingeführt, wahrscheinlich unter den fromm blickenden Augen einer halben Million Gläubigen aus aller Welt – y inclus unser hochwohllöblicher Schweizer Bundesrat Pascal Couchepin.
Die Pressefoto, welche diese Ankündigung der SDA zu diesem heiligen Anlass begleitet, zeigt den Papst im vollen Ornat, das Haupt von der weissen Mitra mit goldenem Kreuz gekrönt, die Rechte zum segnenden Gruss erhoben, in der Linken den vom Gekreuzigten gekrönten Stab haltend: Ein ausgemergelter nackter Leib, die Symbole des Lebens mit einem Lendentuch notdürftig umhüllt, mit leidend gesenktem Kopf, die ausgestreckten Arme am oberen waagrechten Kreuzbalken befestigt, die mit den Füssen am Stab festgenagelten Beine in schmerzvoller Pein verrenkt. So wird er vom höchsten Stellvertreter Gottes öffentlich präsentiert – als was?
Gibt es auf dieser Welt eine andere Religion, die ihre Rituale mit einem derart extremen Sadismus vollzieht – die zwar jede erotische Lebensregung, jeden menschlichen Liebesfunken unterdrückt, aber den Todeskampf zelebriert, die Trauer am Leben zum Glaubenssymbol erklärt? Die auf diese Weise depressive Menschen, die schicksalsergeben zum Gekreuzigten aufblicken, geradezu heranzüchtet?
In Weiss und Gold ist der Papst gekleidet. Weiss ist die Farbe der Unschuld, Gold die Farbe der Macht und des Reichtums. Der Papst hat die Unschuld wohl längst verloren, klerikale Macht und kirchlicher Reichtum hingegen sind ihm sicher. So kann er in Stellvertretung seiner Kirche die Lebensfreude kompensieren, die ihm und seiner Religion abhanden gekommen ist.
Als was wird also der Gekreuzigte den Gläubigen präsentiert? Ich möchte diese Frage offen lassen, ihre Beantwortung jenen überlassen, die theologisch geschult sind. Als Laie brauche ich mir nicht weiter den Kopf darüber zu zerbrechen und kann ruhig den Frühling, die blühenden Blumen, die singenden Vögel, die Lebensfreude tout court geniessen, den Papst einen guten oder schlechten Papst sein lassen, ohne mich weiter um seine Amtseinführung zu kümmern – nach dem Motto: Carpe diem! (Nutze den Tag!).
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