Predigten und monotone Gebete: bewährte Schlafmittel
Autor: Heinz Scholz
Im Blog vom 25. 4. 2005 berichtete ich über die positiven Wirkungen des Büroschlafs („Aufgewerteter Büroschlaf: „Wer schläft, schafft gut . . .“). Aber es gibt noch eine andere Form des erquickenden Abschaltens: den Kirchenschlaf. Über diese Form des Schlummerns liegen noch keine Studien vor. Wohl deshalb, weil dann die geistlichen Herren, die langweilige Predigten von der Kanzel aufs Kirchenvolk herunterrieseln lassen, schlecht wegkämen. „In der Kirche soll man nicht schlafen, sondern beten und zuhören“, bemerkte einmal ein Priester. Aber dieser verkannte wohl die wahre Bedeutung des Kirchenschlafs für die Volksgesundheit: Müde Menschen (Männer) gehen zur Messe und kommen erfrischt wieder heraus. In einer Mussestunde habe ich mich gestern Sonntag daran erinnert.
Solche „Verwandlungen“ habe ich selber mehrmals beobachtet. Ich erinnere mich noch gut an diverse Ereignisse in den bayerischen Gemeinden Buchdorf und Kaisheim. Als regelmässiger, von den Eltern angetriebener, damals noch sehr junger Kirchgänger sah ich den einen oder anderen Landwirt während der langweiligen Predigten oder monotonen Gebeten in Morpheus Arme sinken. Besonders auffallend verhielt sich ein vor mir sitzender Bauer. Wohl von seiner schweren Arbeit ermüdet, nutzte er jedes Mal den Kirchenbesuch zu mehreren Nickerchen. Es war immer nur ein Sekundenschlaf, denn sobald sich sein Kopf nach unten bewegte, brachte er ihn wieder ruckartig in die Ausgangsstellung zurück. Das wiederholte sich einige Male. Aber es gab noch andere Schläfer. Wurde der Pfarrer in seiner Predigt etwas lauter, richteten sich einige Köpfe aufgeschreckt wieder nach oben.
Ich konnte natürlich nur die schlafmützigen Männer genauer beobachten, weil diese streng von den Frauen getrennt waren. Die Frauen mussten in den Bänken auf der linken Seite der Kirche Platz nehmen, während die Männergesellschaft rechts in ihren Bänken dahinschlummerte. Die Frauen waren wohl mit dem Beten oder etwas anderem beschäftigt, denn hier wurden keine hochfahrenden Köpfe gesehen.
Seltsamerweise waren die eingenickten älteren Knaben hinterher, als sie die Kirche verliessen, ziemlich munter. Wohl deshalb, weil ihnen ein Frühschoppen in der nahegelegenen Wirtschaft bevorstand. Nun konnten sie ausgeruht ihre Bierkrüge stemmen, während die Frauen „vergeistigt“ nach Hause strebten, um das Mittagsmahl vorzubereiten.
Mit dem Phänomen Kirchenschlaf wurden die Pfarrer schon früher konfrontiert. Hierzu 2 Episoden:
Der Pfarrer von Ensingen (heute Stadtteil von Vaihingen D) forderte die Eisenbahnbediensteten auf, den Gottesdienst zu besuchen. Ein Rangiermeister, der eine Nachtschicht hinter sich hatte, nickte während der Predigt ein. Der Pfarrer bemerkte dies und meinte unwirsch: „Ach, wie weit, wie weit ists noch ins Himmelreich.“ Der Eisenbahner schreckte auf und erwiderte: „Drei Wageläng!“
In Sitzungen des badischen Kirchenzensurkonvents in den Jahren 1713 und 1714 wurde bitter beklagt, dass immer mehr Leute im Gottesdienst einschliefen. Sogar Richter begaben sich in diese Traumwelt. Es wurde deshalb beschlossen, diese Unsitte abzuschaffen. 3 Männer wurden beauftragt, während der Messe herumzugehen, um die Schläfer zu ermitteln und zur Anzeige zu bringen.
Das waren noch unmögliche Zeiten. Heute würden solche Aufpasser wohl das Gegenteil erreichen. Die Erwischten würden wohl nie mehr eine Kirche betreten und lieber zu Hause schlafen.
Noch eine andere Episode aus meinem Erfahrungsschatz. In den 50er-Jahren wurden die Schüler während einer Messe in Buchdorf streng von den Lehrern beobachtet. So kam es manchmal vor, dass ein besonders schlagkräftiger Lehrer in die vorderen Bankreihen ging und die schwätzenden Knaben ohrfeigte. Ich wunderte mich, warum der Lehrer die schlafmützigen Erwachsenen nicht auch so behandelte oder diese zumindest aufrüttelte. Denn schliesslich störten die Schnarchgeräusche mehr als das Gemurmel der Heranwachsenden. Schon damals lernte ich die Ungerechtigkeit dieser Welt kennen.
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