Nur eine weisse ist eine gute Weihnacht
Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
Weihnachtslieder, Weihnachtserzählungen und das Dekorationsgewerbe mit seinen Silberfäden und der Watte haben uns darauf eingeschworen, dass nur eine weisse Weihnacht eine gute Weihnacht sein kann. Eine dicke Schneedecke dämpft den Lärm etwas und sieht gut aus, solange sie noch keine graue Patina hat.
Aber an diesem Weihnachtsvormittag 2004 herrscht Tauwetter, 12 °C zeigt das Thermometer hier im schweizerischen Mittelland. Die Sonne scheint; der Wetterfrosch kündigt frohlockend Regenwolken von Westen her an. Fast ein Trost. Aber bis es schneit, sind diese Weihnachtstage mehr oder weniger gelaufen.
Vorher haben wir uns über den Nebel empört, jetzt über die Sonnenwärme. Diese Aufteilung aller Lebenslagen in Gut und Böse nennt man Manichäismus, und diese Lehre ist, passend zur Weihnacht, religiösen Ursprungs. Der Manichäismus geht auf Mani (zirka 215−275 nach Beginn unserer Zeitrechnung) zurück. Er war ein Babylonier persischer Abstammung, stammte aus einer adligen, täuferischen Kreisen ergebenen Familie und wollte die Menschen aus der Finsternis zum Licht führen. Wer nicht Manichäer werden wollte, verfiel als „Laie“ der Finsternis. Die Aufgabe dieser uneinsichtigen Laien bestand neben einer streng asketischen Lebensweise vor allem darin, für die „Erwählten“ zu sorgen. Wir Laien haben das Problem mit der Finsternis inzwischen mit einer Überfülle an Kunstlicht blendend gelöst.
Der Manichäismus trennt in absolut Gutes und absolut Böses auf, wie das auch in der heutigen Weltpolitik mit ihren Schurkenstaaten wieder der Fall ist. In den Märchen trifft man diese Aufteilung ebenfalls an: die gute Fee und die böse Hexe. Solch dipolare Denkstrukturen sind im Menschen offenbar verankert, je unreifer die Denkweise, umso fester. Ein Schwarz-Weiss-Denken.
Wer eine Nebelstimmung als faszinierend empfindet, das Weihnachtstauwetter als normale meteorologische Erscheinung wie jede andere auch akzeptiert und sich darauf einstellt und gerade auch noch die Auffassung vertritt, es gebe Schurkereien in allen Staaten, verstösst gegen das klare manichäische Aufteilungsbedürfnis. Das kann kein Erwählter sein.
Mein eigenes Bedürfnis geht ohnehin nicht in diese Richtung. Als bekennendem Laien (Ungläubigen) waren mir Erwählte schon immer suspekt.
Doch aufgepasst: Bin ich mit dieser verallgemeinernden Feststellung vielleicht wieder einmal in eine Manichäismus-Falle getappt?
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