Das Ja-Wort. Und noch einmal: "Ja, ich will, jaa"
Autor: Walter Hess
Mit mir hatte die Sache herzlich wenig zu tun. Meine Frau und ich spielten Statistenrollen, die jedermann hätte spielen können, vorausgesetzt, er sei volljährig. Und die Zivilstandsbeamtin, Vera Ries, nahm uns die Volljährigkeit ohne weiteres ab. Unsere ergrauten Haare und die Falten im Gesicht waren Beweis genug. Wir brauchten uns nicht einmal auszuweisen. Wir amteten als Trauzeugen. Eine grosse Ehre für uns.
Im Zentrum des Geschehens stand ein gross gewachsenes, gut aussehendes, vor Gesundheit und Lebensfreude strahlendes Paar, stilvoll gekleidet, im Innern vielleicht ein bisschen aufgeregt. Die Braut im bodenlangen, luftigen Kleid mit einigen Blumen als Farbtupfern, der Bräutigam im dunklen Anzug, beide um die 40, sie etwas darunter, er etwas darüber. Sie hatten schon bis anhin zusammengelebt, gingen kein Risiko ein und wollten jetzt auch im eherechtlichen Sinn und Geist Mann und Frau werden beziehungsweise Frau und Mann in liebender Verbundenheit bleiben.
Die Braut hatte sich im letzten Moment noch entschlossen, ihren angestammten Familiennamen zu behalten und den Namen des Mannes hinten anzufügen, nicht etwa aus einer feministischen Allüre heraus, sondern weil sie plötzlich gespürt hatte, dass ihr dieser Name etwas bedeutet. Ein Markenzeichen, etwas, das zu ihr gehörte und auch weiterhin gehören soll. So änderte sich für sie noch weniger. Und auf eine Änderung war dieser Trauungsakt ohnehin nicht ausgerichtet, sondern auf eine Festigung der guten Beziehungen. Alles sollte in aller Stille geschehen, und dem trage ich hier Rechnung, indem ich die Namen nicht nenne.
Das Zivilstandsamt Aarau befindet sich im oberen Stockwerk eines Bankgebäudes, aus dem kurz vor dem Eintreffen des Paars gerade ein schwer beladener gepanzerter Geldtransporter weggefahren war, irdische Güter, die immer in Bewegung sind und an sich wenig mit Glück zu tun haben. Manchmal kommen sie ans richtige Ort, manchmal auch nicht. Das Glück ist von subtilerer Gestalt, wie die Zivilstandsbeamtin Ries in ihrer kurzen philosophischen Betrachtung sagte. Man sollte einander mit den Augen, mit den Ohren und mit allen weiteren Sinnen feinfühlig wahrnehmen, auf einander eingehen, sich kennen lernen, die Bedürfnisse des anderen erkennen und zu erfüllen suchen. So ähnlich. Und man solle immer miteinander reden, nur dann lernt man die Gedanken und Empfindungen des Partners kennen.
Die gut gelaunte, vitale Zivilstandsbeamtin ersetzte den Pfarrer, ohne in höhere Sphären abzuheben. Sie gab ihre Ratschläge unaufdringlich, eine liebenswürdige Zugabe, wohl unter dem Titel der weitreichenden behördlichen Mitwirkung bei der Eheschliessung oder aber aus einem persönlichen Bedürfnis heraus. Eigentlich hatte sie nur einen amtlichen Akt zu vollziehen, eine Beurkundung, damit alles seine staatsrechtliche Form bekam. Sie gab pflichtgemäss eine Zusammenfassung des Eherechts aus dem Schweizerischen Zivilgesetzbuch (ZGB), ein höchst persönliches Recht, das auf einer übereinstimmenden Willenserklärung beider „Parteien“, wie der juristische Begriff lautet, beruht. Und darauf wiederum basiert denn auch die berühmte Frage nach dem Einverständnis zur Ehe und die Antwort: „Ja. Ich will.“ − „Ja. Ich will, jaa.“
Es tönte überzeugend, das Ja wurde von beiden Seiten sogar bekräftigt und von einem herzhaften Kuss gekrönt, den ich zu fotografieren verpasste, weil das zu unserer Zeit im Zivilstandsamt nicht üblich gewesen war und wahrscheinlich auch, weil mich dieser eindrückliche Akt der Trauung in meine eigene Vergangenheit zurückversetzt hatte.
Ich erlebte noch einmal, was ich selber vor über 40 Jahren empfunden hatte. Ich habe eine gute, umsorgende Frau gefunden, führe eine gute Ehe. Unser Versprechen, für einander da zu sein, war kein leeres. Wir hielten uns durch dick und dünn daran. Ich weiss (und meine Frau weiss es auch), was es bedeutet, ein Leben mit einem Menschen zusammen zu verbringen, seine Eigenheiten zu akzeptieren. Es ist ein grosses Geben und Nehmen, eine gewaltige Übung in Toleranz, in Hilfsbereitschaft. Charakterzüge prägen sich aus, Einflüsse von aussen bringen Beunruhigungen, Gefahren und – wenn es gut geht – vielleicht auch einmal einen Beitrag zur Harmonie. Vieles, was einmal wichtig war, verflacht, anderes erhält Bedeutung. Der Prozess ist nie abgeschlossen, solange 2 Menschen zusammenleben dürfen. Jeder Tag bringt neue Gefahren, neue Chancen, neue Annehmlichkeiten, neue Überraschungen.
Ich war ganz in meine Gedanken versunken, hatte im Prinzip selber noch einmal geheiratet. Ein Film raste vor meinem geistigen Auge vorbei, wenige Sekunden nur. Doch wurde ich aus meinen Erinnerungen sofort aufgeschreckt: Es war Zeit für Gratulationen, Glückwünsche. Ich stotterte Unüberlegtes daher. Macht es gut – ich wünsche ein langes schönes Leben, ein gemeinsames Leben, damit 1 + 1 viel mehr als 2 werden und nicht ein Bruchteil davon.
Das Brautpaar erhielt von der Stadt Aarau eine gläserne Karaffe als ein sinnvolles Geschenk, das nicht wie ein Blumenstrauss rasch verwelkt. Und immer wenn man sich gegenseitig aus der Karaffe Wasser einschenkt, sollte sich jeder Partner an den schönen Trauungsakt an der Laurenzenvorstadt 1 erinnern – und vielleicht auch ans Versprechen, für einander da zu sein. Solch eine Karaffe hält ein Leben lang, wenn man dazu Sorge trägt.
Die lieben Menschen, die uns einluden, sie bei ihrem riesengrossen Schritt zu begleiten, werden die Folgerungen aus dem Sinnbild Glas selber zu ziehen verstehen.
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