Schildbürger: Ist dumm gestellt = gescheiter gefahren?
Autor: Emil Baschnonga, London
Erich Kästner hat in „Der Naturgeschichte der Schildbürger“ in seiner Sammlung „Die kleine Freiheit“ (im Zürcher Atrium Verlag erstmals 1952 erschienen) gar knusperig geschildert, wie es wirklich kam, dass die Schildbürger die Dummheit erfolgreich zu ihrer Weisheit erküren konnten, und er hat mir mit seinem Meisterstück beinahe den Wind aus meinem schlichten Blog-Segelschifflein genommen.
Diese Einleitung war der längste Satz, den ich seit langem geschrieben habe, denn ich glaube an die Würze in der Kürze. Lange Sätze sind hoch wirksam, um Dummheiten als gescheit an den Mann zu bringen. „Das ist ein gescheites Haus“, denkt der Leser, wie er mitten im lang gewundenen Satz, den niemand versteht, stecken bleibt und schliesslich den Text seufzend weglegt. Aber dieses "Haus" ist ohne Fenster wie das 3-eckige Ratshaus der Schildbürger.
Ohne (bis leichte) Gewissensbisse gebe ich zu, dass ich diesen Trick selbst öfters in „Wirtschaftsberichten“ eingesetzt habe. Bis Mittag musste mein Text jeweils druckreif vorliegen. Unter Zeitdruck rutschte ich in die gedankenlose Schablonensprache ab und schusterte lange Perioden zusammen. Wer sich in solchen Schachtelsätzen erging, kriegte rasch wunde Zehen im Kopf. Item, ich hatte meine Pflicht erfüllt und hatte wieder Zeit, Besseres besser auf Deutsch zu schreiben als gewisse (gewiss nicht alle!) meiner damaligen Berufstexte auf Englisch. Mit etwas Übung lässt sich die englische Sprache wohl am leichtesten vernebeln, komme ich nachträglich zum Trugschluss.
Wie erreichten die gescheiten Schildbürger als Söldner der Weisheit ihre Kurfürsten in weit abgelegenen Städtchen? Sie fragten sich wohl gespielt dumm-treuherzig durchs Land, wie etwa ich, wenn ich in Paris jemand nach einer Adresse frage: am liebsten einen, der es eilig hat. Damit erwische ich einen Einheimischen statt eines Touristen. Das macht Spass, ausgerechnet einen Pariser aufzuhalten. Er entkommt mir nicht mit einem hastigen „tout droit“, das meistens in die Irre führt.
Die französische Sprache hat den grossen Vorteil, dass sie voller Höflichkeitsfloskeln ist. Der Gekaperte muckt auf und wird nachsichtig, wenn ich mein bestes Welschlandfranzösisch jodle. „Vous êtes Suisse Romand?“, stellt er fraglos fest. 5 Minuten später gehe ich gut gelaunt weiter und rezitiere: 1. Strasse rechts bis zur Ampel, dann wieder links, die 3. Querstrasse, diesmal rechts. „Und dann fragen Sie am besten nochmals“, hatte er zuletzt noch geraten, ehe ich ihn mit Riesendank frei liess. Darauf freue ich mich schon unterwegs in einer Stadt, wo man Lotsen braucht.
Gewiss gelingt mir dieser Streich nicht immer. Dann hole ich meinen „Plan-Guide-Répetoire – Paris – par Arrondissement“ aus der Brieftasche, was zeitaufwändiger ist als sich durchzufragen.
Als wüssten sie Bescheid, so verkauften die Schildbürger ihren Rat teuer. Dies verführt mich zum 3. und letzten Streich: Wer wissen will, mit wem er es zu tun hat, der verzapfe einen Unsinn . . . Das tue ich selten. Der Unsinn muss wohl bemäntelt werden, damit er nicht auffliegt. Jetzt muss ich rasch etwas erfinden − ich erwähne vergleichsweise etwas aus der Pflanzenmorphologie, das hinten und vorne nicht stimmt, zum Beispiel zu den Divergenzen (dem Auseinanderstreben) im Gezweige. „Sie wissen ganz gewiss, was ich damit sagen will“, schwenke ich nach diesem Exkurs wieder ins ursprüngliche Thema zurück. Was war es gewesen?
Jetzt habe ich den Faden verloren, aber ich weiss, mein Gegenüber auch, denn es hat den Unsinn geschluckt. Ein „kluges Haus“ hätte mich am Wickel nehmen sollen. Dann hätte ich wirklich dumm dagestanden. Es ist vorgekommen, dass ich in solch eine missliche Lage kam, besonders wenn ich klug mit der Dummheit umgehen wollte.
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