Der Ziertisch - oder: Die chinesische Geduldsprobe
Autor: Emil Baschnonga
Meine Frau schaute mich krumm an, als ich vor 4 Wochen schwer beladen vom nahen Flohmarkt („car boat sale” in England genannt) heim kam. Das sei "ein Sommerprojekt", erklärte ich ihr und veranstaltete draussen im Patio (Innenhof) eine erste Auslegeordnung, freiwillig diesmal und nicht unter Zwang wie einst in der Rekrutenschule. Das Zubehör stimmte: Der sechseckige Ziertisch in schwarzem Ebenholz, mit geschnitzten Blumenmotiven beinahe barock überladen, war vollständig und bestand aus 32 − genau genommen − 33 Teilen, wegen eines gebrochenen Standbeins.
Seit gestern Samstag steht er prunkvoll und schwungvoll zusammengefügt vor der weiten Glastüre zum Patio und wackelt nicht einmal. Er ist 80 Zentimeter hoch, sechseckig, die Zierplatte oben mit Perlmutt (Perlmutter sagt man in der Schweiz) eingelegt. „Was habe ich daraus nicht gemacht“, bewunderte ich den Tisch und mich. „Du hast es fertig gebracht“, lobte Lily, „und erst noch deinen Spass gehabt . . .“ Ich war sehr erleichtert, dass meine Frau dieses Möbel ins Haus liess. Sie lässt bei weitem nicht alle meine Fundstücke über die Schwelle. Der voll gestopfte Schuppen bezeugt es.
„Spass? Der kommt erst jetzt, nachdem die Heidenarbeit vorbei ist.“ Dieser Ziertisch, wohl rund 200 Jahre alt, war stark verstaubt und von alter Wichse verkrustet. Der Händler hatte die Teile aus einer Garage entsorgt. Allerlei Versuche, die Teile mit Leim aneinander zu kleben, waren vor vielen Jahren gescheitert. Auch beschränkte Versuche mit Schrauben waren im harten Ebenholz fehlgeschlagen.
„Man muss eben die chinesische Mentalität verstehen“, prahlte ich euphorisch. „Die chinesischen Möbelkünstler benutzen von alters her nur Holzdübel. Die Leute waren viel unterwegs und konnten ihre Möbelstücke einfach zerlegen und am neuen Wohnort wieder zusammenfügen.“ Das war viel einfacher als das Zusammensetzen von Ikea-Möbeln, besonders wenn man ein Chinese ist − oder es zu diesem Zweck eigentlich hätte sein sollen.
Wie brachten die Chinesen es nur fertig, so viele Blumen und Ranken in dieses steinharte Holz zu schnitzen? wunderte ich mich, als ich mir die Fingerbeeren wund rieb, um das Kunstwerk vom angesammelten Dreck zu befreien und meine Schwierigkeiten hatte, den verhärteten Leim aus den Fugen zu meisseln. Anders war diesen hartnäckigen Krusten nicht beizukommen. So verbiss ich mich in eine selbst auferlegte Heimarbeit oder, was andere zu Recht als Strafaufgabe empfunden hätten, wie schon so oft zuvor − mit unterschiedlichem Erfolg. Zusammengerechnet kostete diese „Büetz“ etwa 4 bis 5 Tage. Nachher musste ich noch die fehlenden Dübel aus Weichholz schnitzen und mühselig einige von alten Dübelresten verstopfte Löcher ausbohren. Das war der mechanische Teil meiner Mühe, und ich konnte dabei meinen Gedanken nachhängen, wie bei der Gartenarbeit auch.
Gestern setzte ich das chinesische Wunderwerk zusammen. Jeder Bestandteil musste seinen Platz am alten Ort finden: eine Aufbauarbeit, die keine streunenden Gedanken mehr zuliess. Auch die richtige Reihenfolge galt es peinlich zu beachten: oben zuerst die Zierleisten einbauen, wenn die unteren Teile ihre alte Heimat gefunden haben. Das lernte ich so nebenbei nicht ohne Pein. Klugerweise trieb und schlug ich die Dübel nicht sofort ganz durch die Löcher. Das sicherte dem wackeligen Tisch ausreichend Spielraum, damit ich ihm die Krone aufsetzen konnte, die 6-Eck-Platte mit dem Perlmutt-Zierrat. Ganz vorsichtig, ich fieberte fast vor Aufregung, drehte ich die Platte, bis die Gruben auf hölzernen „Stiftzähnen“ richtig auflagen. Sachte klopfte ich herum, bis sie sich nach und nach festbissen. Nochmals eine Tasse Kaffee, ehe ich die Dübel verankerte, von der Rauchpause ganz zu schweigen. Da und dort musste ich mit etwas Holzleim, vermischt mit „Wood Filler“ (Holzfüllmaterial) mogeln, um wankelmütigen Dübeln Vernunft beizubringen.
Vernunft? Kein vernünftiger Mensch hätte sich dieser Geduldsprobe freiwillig ausgeliefert.
Als Lohn hatte ich die Genugtuung, wieder einmal etwas aus der Vergangenheit gerettet zu haben. Ich stellte eine Vase mit Rosen auf den Tisch und entschloss mich, diese Tagebuchseite als wohlverdiente Abwechslung zu schreiben, hoffentlich ohne Sie damit zu langweilen.
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