Textatelier
BLOG vom: 11.06.2005

Wie lustig ist ein Abend mit berühmten Karikaturisten?

Autor: Walter Hess

Wir kennen uns seit langem: Jürg Furrer aus 5703 Seon illustrierte mein Buch „Natürlich leben“ (1988), das längst ausverkauft ist. Er zeichnete seinerzeit auch fürs „Natürlich“, ebenso René Fehr aus 8053 Zürich, der heute u. a. Texte aus dem Textatelier illustriert. Beide gehören zur Crème de la Crème der Schweizer Karikaturisten: Jürg Furrer erzählt mit ein paar Strichen ganze Geschichten, kennt keine Zeichenblockaden. Und René Fehr arbeitet hintergründig, philosophisch. Er wartet etwas länger auf seine Ideen, die, wenn sie umgesetzt sind, gleichzeitig in verknappten Darstellungen ganze Romane erzählen. Beide sind auf ihre Art die besten ihres Fachs und seit je befreundet. Gleich und gleich gesellt sich gern.

Wir wollten uns wieder einmal treffen und wählten das vorzügliche Familien-Restaurant „Bänziger“ an der Seetalstrasse 43 in Seon, wo Martin Bänziger wirtet und mit Hingabe sowie Sinn fürs Machbare kocht. Mit ihm und Jürg zusammen war ich einmal 2 Wochen in den Everglades-Sümpfen in Flordia, die zu Jürg Furrers 2. Heimat geworden sind. Wir wateten bis zur Taille im Wasser, sahen seltene Orchideen, Schlangen und Alligatoren, die in Jürg Furrers Zeichnungen oft eine wichtige Rolle spielen und menschliche Eigenschaften angenommen haben. Man kennt sich. Und dann tranken wir einen Gin Tonic.

Wie lustig ist ein Abend mit 2 visuell veranlagten Künstlern, die aus abgeklärter Distanz diese Welt deshalb als vollkommen gelungene Sache betrachten, weil diese ja unendlich viel Stoff zum Karikieren bietet; für sie kann es nicht überdreht genug zu und her gehen. Im Notfall helfen sie selber gern etwas nach.

Jürg Furrer erschien im "Bänziger" in seinen traditionellen Clownhosen und mit Rundungen, die einen gewissen Wohlstand nicht verheimlichen lassen, ein Naturbursche. René Fehr seinerseits, eine feingliedrige Persönlichkeit mit naturgewelltem weissem Haar und feinen städtischen Manieren, trug einen farbigen karierten (nicht karikierten) Veston. Die Stimmung war von der ersten Sekunde an gut, locker. Man erzählte sich, wie es so geht, was man so macht und dass die Zeitungen heute lieber „Instant-Zeichnungen“ (Fehr) haben, deren Aussage „von Anfang an völlig klar“ sind: Platsch. Paff. Damit man nicht mehr lange nachdenken muss. Ich fügte bei, dann würden sie wieder zum Inhalt der meisten Zeitungen passen. Die Zeiten sind nicht mehr, was sie einmal waren. Und die Zeitungen auch nicht.

Und dann erzählten sie beide von einer unvergesslichen Karikatur, die Peter Hürzeler vor 35 oder vielleicht mehr Jahren geschaffen hatte. Vermutlich auf der Kleinen Scheidegg steckte ein Jumbo-Jet mit der Nase wie ein riesiger Baum im Boden. Die 300 Passagiere standen darum herum, ein Bild, das an eine Schulreise erinnerte. Und der Flugkapitän sagte: „Abgemacht, das bleibt unter uns.“ Wir hielten uns die Bäuche, die wir gerade mit einem Currygericht zu Strohkartoffeln beziehungsweise einer Kaninchenleber zu füllen im Begriffe waren. In den hausgemachten Nudeln war übrigens das Gelb von Enteneiern, Eier-Jumbos.

Bevor Jürg Furrer jeweils eine lustige Story zum Besten gibt, leitet er sie jeweils mit einem kräftigen Lachschwall ein, damit sich rundum rechtzeitig Vorfreude ausbreiten kann. Und dann wird er selber zu einer Karikatur, wie er sie zu zeichnen pflegt. Und sage einmal jemand, eine Furrer-Zeichnung sei nicht lustig!

Beide Karikaturisten-Grössen erzählen genauso wie sie zeichnen, bildhaft und gestikulierend, den Worten Form verleihend. Sie denken in Bildern, schaffen verbale Bilder, und es ist deshalb faszinierend, ihnen zuzuhören. Vor dem geistigen Auge des Zuhörers laufen Filme ab. Als René Fehr den spanischen Wein „Abadia Retueto“ degustiert hatte, stellte er fest, der Weinberg, auf dem dieses Gewächs gewachsen sei, müsse ein ehemaliges Schlachtfeld mit alten Kanonen gewesen sein. Er schmecke nach Rossen und Metall. Und so war es auch; wir genossen den Tropfen, fühlten uns wie alte Krieger. Und René bezeichnete das Essen als „eine Bombe“.

Aber es ist im Übrigen nicht das Martialische, sondern das Sanfte, Liebenswürdige, Einfühlsame, das bei den beiden Zeichnern vorherrscht, ihre Persönlichkeit prägt. Bei ihnen beiden spielen Haustiere eine wesentliche Rolle; wahrscheinlich sind diese für sie eine ständige Quelle der Inspirationen. Ich weiss von einem früheren Besuch bei Furrers, dass ihr Anwesen fast einem Freilandzoo gleicht; die 4 Hühner haben 1800 Quadratmeter Auslauf; das sind tierschützerisch unerreichte Vorbilder. Jürg stellte aufgrund langjähriger Beobachtungen fest, dass Hühner eigentlich keine ausgesprochenen Körnerpicker sind, sondern Fleischliebhaber: Schnecken, Würmer und allerhand anderes Kleingetier, das gerade über den Hof läuft, fressen sie von Herzen gern. Über ausgestreute Körner machen sie sich nur anstandshalber her, um dann gleich wieder auf Eiweiss-Jagd zu gehen, das Grundmaterial für die Eierproduktion. Einleuchtend. Wenige Tage zuvor hatte gerade „der Fuchs“ (der wahrscheinlich zur Furrer-Familie gehört) 10 Küken und die Henne gefressen, weil sich diese an jenem traurigen Abend nicht in den Stall zurückgezogen hatten, dessen Tor automatisch schliesst. Jürg kamen fast die Tränen, doch der Fuchs müsse ja auch gelebt haben, fügte er mit Sinn für ökologische Zusammenhänge bei. Schensi-Hunde, die nicht dressiert werden und ihren Lebensstil selber bestimmen, gibt es bei Furrers ebenfalls, Katzenhunde. Unter anderem Getier wie kleine exotische Fische.

Und bei René Fehr, der bis vor kurzem an der Trittligasse in der Zürcher Altstadt gewohnt hatte, nun an die Stodolastrasse 10 umgezogen ist und die Aussicht von seinem Heim aus voller Begeisterung mit allem beschrieb, was von den Alpen bis zum Jura Rang und Namen hat, spielen 2 Katzen eine wichtige Rolle. Da eines dieser Büsi ein Auge verloren hat und am anderen unter dem grünen Star leidet, praktisch also kaum noch etwas sieht, hätte er den Domizilwechsel fast unterlassen, weil er befürchtete, das hoch betagte Tier könnte sich in der neuen Umgebung nicht mehr zurechtfinden. Seine Frau Zita („Zipfeli“) und er machen regelmässig Spaziergänge mit den Katzen und wundern sich, an welch unwirtlichen Plätzen sie sich wohlfühlen, etwa bei einem Garagentor oder beim Reifen eines parkierten Autos. Der Umzug aber war ein voller Erfolg, auch aus Sicht der Katzen. Das erblindende Büsi hat sofort herausgefunden, wo es zu fressen gibt und wo die weichen Plätzchen sind. Und so vertiefte sich die allseitige frohe Stimmung.

Doch der Mensch lebt nicht von Haustieren allein. Wir unterhielten uns auch über Honorarfragen: Was ist ein Einfall wert, und was seine Ausführung? Was sind Erfahrungen, Wissen und Können wert, die in eine Karikatur, eine Zeichnung oder in einen Text einfliessen? Soll man bescheidene Forderungen stellen und den Preis bis an die Schmerzgrenze, wo die Gemütlichkeit selbst bei Karikaturisten aufhört, drücken lassen? Jeder Fall ist individuell wie die beiden Persönlichkeiten, die eine starke Aura haben und gute Schwingungen verbreiten. „So lang ich lebe und geistig fit bleibe, möchte ich arbeiten“, sagte René Fehr, und die allseitige Zustimmung war ihm sicher. Die Freude an der Arbeit ist die dominante Grösse. Den Menschen Trost zu spenden und bei guter Laune zu halten, ist zudem eine hehre Aufgabe.

Um 22 Uhr ging René auf den Zug Seon–Lenzburg–Zürich. Er dürfte auf der nächtlichen Heimreise wieder auf einige anregende Motive gestossen sein, die zum Schmunzeln Anlass geben. Am Morgen hatte er Spatzen beobachtet, die von der Frontseite von Lokomotiven im Hauptbahnhof Zürich Insektenkadaver pickten. Und Jürg hatte nur einen kurzen Fussmarsch vor sich, vielleicht an einem gut getarnten Fuchs vorbei. Doch diese Tarnung ist unnötig, wenn der Jürg auftaucht. 

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