Textatelier
BLOG vom: 03.02.2007

Folge des US-Sprithungers: Tortilla-Krise im Maisland Mexiko

Autor: Walter Hess, Biberstein CH
 
Mexiko hat wiederum einen ausgesprochen neoliberalen, US-hörigen Präsidenten, Felipe Calderón, der sein Amt auf Ende 2006 angetreten hat (und etwa laut dem Zapatistenführer Subcomandane Marcos durch Wahlmanipulation [fraude] ans Ruder kam). Er ist Nachfolger von Vicente Fox Quesada, der seit 2000 regiert hatte. Das mittelamerikanische Land galt seit Jahren als neoliberales Modell für Lateinamerika – und die Globalisierung funktioniert ausgerechnet dort am allerwenigsten (siehe insbesondere Kuba, Venezuela, Ecuador).
 
Bei den jüngsten Wahlen 2006 wurde der Linkskandidat André Manuel López Obrador, der sich zum Gegenpräsidenten küren liess, nur knapp geschlagen. Seit 1994 leisten auch die Zapatisten Widerstand gegen die Neoliberalisierung (Globalisierung) nach US-Muster, welche den Reichen in die Taschen wirtschaftet und das Volk tief und tiefer in die Armut treibt. Das neueste Resultat ist die exorbitante Preiserhöhung für Mais, dem Grundnahrungsmittel der in bescheidenen Verhältnissen lebenden Mexikaner, den sie meistens zu fladenartigen Tortillas verbacken.
 
Die Tortillas („Vitamin T“) sind das „Brot von Mexiko“. Die ziemlich festen und wohlschmeckenden, biegsamen Mais-Rondellen dienen zudem als Teller, Gabel und Löffel. Man kann sie leicht herstellen: Auf 350 Gramm Maismehl kommen etwa 2 Teelöffel Salz und zirka ein halber Liter Wasser. Die Zutaten werden in einer Schüssel vermengt und dann geknetet, bis die Masse fest ist und nicht mehr an den Händen klebt. Dann werden Teigstücke auf etwa 2 mm Dicke ausgewallt und (allenfalls mit Hilfe eines umgestülpten Tellers) zu Kreisen von 10 bis 15 cm Durchmesser ausgeschnitten und dann zum Beispiel in einer Eisenpfanne gebraten, bis sie eine zartbraune Farbe annehmen.
 
Dazu werden häufig im grössten Land Mittelamerikas verschiedene scharfe Saucen gegessen, oder auch Bohnen. „Heisse“ Chilischoten bringen Pfiff in die Gerichte und auf die Tortillas, die sonst etwas langweilig wären. Es heisst, dass sich etwa 8 von 10 mexikanischen Haushalten von Mais und den erwähnten einfachen Beilagen ernähren, von dem für sie einzig Erschwinglichen also.
 
Mexiko trat unglücklicherweise 1994 dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA bei, zu dem auch die USA und Kanada gehören. Solche Globalisierungsschritte hatten die Auswirkung, dass die Fehlentwicklungen und die nationalen Egoismen insbesondere beim nördlichen Nachbarn USA auch Mexiko zu spüren bekam; da nützt auch die Schandmauer von George W. Bushs Gnaden nichts, mit der sich die USA nach DDR- und Israel-Beispiel gegen das ausgehungerte Mexiko abzuschotten versuchen.
 
Die USA weigern sich beispielsweise standhaft, den Energiebedarf durch intelligente Techniken zu senken. Sie lassen lieber die eigene Autoindustrie verkümmern, statt sich um sparsame Motoren zu bemühen, und sie sichern sich das zur beliebigen Verschwendung nötige Erdöl (wie andere Rohstoffe auch) durch Eroberungskriege und sinnen auf andere Energien, die das Energiesparen unnötig machen, wie etwa die Gewinnung von Äthanol (Ethanol) als alternativer Treibstoff (Biotreibstoff) für die Benzinfresser amerikanischer Prägung, und mag dessen Energiebilanz noch so negativ sein: Eine Dummheit wird auf die andere gepfropft, wie es dem US-Stil auch bei den Eroberungsfeldzügen entspricht.
 
So kam es nun, dass der Maispreis in Mexiko wegen der gestiegenen Nachfrage für Bioäthanol (im Interesse der US-Mobilität) seit Dezember 2006 um 54 % angestiegen ist. Ein Kilo Tortillas kostet heute umgerechnet etwa 1 CHF, zirka 1 Drittel dessen, was armen Leuten pro Tag zur Verfügung steht. Laut dem mexikanischen Autor Carlos Fazio sind die Kosten für Tortillas in Mexiko seit dem 1. Januar 1994 (dem NAFTA-Beitritt) gar um 740 % gestiegen, bei entsprechender Vergrösserung des Elends. Dass etwa hunderttausend Menschen am 31. Januar 2007 auf dem grossen Platz vor dem Präsidentenpalast in Mexiko-Stadt, dem Zócalo, und in anderen Städten ihre Verärgerung protestierend zum Ausdruck brachten, ist mehr als verständlich. Das war ein so genannter „Kreuzzug zur Verteidigung der Tortilla“.
 
Der bald kaum noch erschwingliche Mais ist seit der Maya-Kultur ein Symbol der nationalen Identität: Die Mexikaner fühlen sich als „Kinder des Mais“ weil sie nach der Überlieferung einst von Göttern erschaffen worden sind, die ihr Blut mit gemahlenem Mais vermischten – wir glauben eher an den aus Lehm geformten Adam.
 
Auch andere Lebensmittel wie Reis, Zucker und Tomaten verteuerten sich in Mexiko stark. Der bewährte Globalisierungstrick bestand darin, dass die USA zuerst einmal durch Exporte von hoch subventionierten Lebensmitteln die mexikanischen Kleinproduzenten in den Ruin trieben (dies geschieht im Zeichen des Neoliberalismus überall, auch in der Schweiz, wo Kleinbauern ebenfalls mit offiziellem Segen ruiniert werden). Etwa 500 000 mexikanische Bauern wanderten, von der Not getrieben, in die USA aus, und ihr Agrarland wird seither kaum mehr bewirtschaftet. Und dann, als Mexiko von den USA genügend abhängig war, wurden die Preise für Landwirtschaftsprodukte sprunghaft und rücksichtslos erhöht.
 
Die US-hörige neue mexikanische Regierung kündigte dieser Tage an, dass zusätzlich 450 000 Tonnen Mais aus den USA importiert würden – statt die einheimische Produktion von weissem Mais zu fördern. Mexiko produziert inzwischen nur noch etwa 20 Mio. t Mais pro Jahr; in den USA sind es 282 Mio. t, fast lauter risikobehafteter Gentech-Mais, versteht sich. Das ist eine Chance für die USA, selbst das traditionelle Maisland Mexiko mit ihrem Genmais zu verseuchen und die Menschen in die spezielle Genmais-Abhängigkeit zu bringen und die vielen alten, standortangepassten Sorten aus den Feldern zu fegen.
 
„Tortillas wollen wir, Pan nicht“ war der Schlachtruf der Demonstranten in Mexiko-City: Pan bedeutet Brot, ist aber auch das Kürzel der konservativen Regierungspartei von Calderón (Partido Acción Nacional, Partei der Nationalen Aktion). So füllt denn der Mais die Tanks der automobilistischen Fehlkonstruktionen statt die Mägen der Mexikaner. Dabei wird darüber hinweggesehen, dass (laut dem Publizisten Manuel Jáuregui) der Tortilla-Preis für Mexikos Arme eine „Frage von Leben und Tod“ ist.
 
Zu Bushs Salve von Irrungen gehört die Zuflucht zum Ethanol – die USA würden kurz vor dem entsprechenden Durchbruch stehen, sagte der Grossartige. Und die Weltöffenlichkeit staunte vor so viel Innovation und Weitblick. Doch die Herstellung von Ethanol zu Beimischungszwecken zum Benzin hat nach den meisten bisher vorliegenden Studien eine höchstens knapp positive Energiebilanz; meistens wird das Gegenteil davon festgestellt. Das heisst, viele Fachleute gehen davon aus, dass für die Ethanolproduktion (die z. B. auch aus Getreide und Zuckerrüben möglich ist) etwa die gleiche Menge an fossiler Energie aufgewendet werden muss wie zurückgewonnen werden kann. Wenn nur in grosstechnischen Anlagen eine Wirkungsgrad-Verbesserung herbeigeführt werden kann, wird diese durch längere Zufahrtswege wieder aufgehoben. Günstigere Verhältnisse ergeben sich bei der Erzeugung von hofeigenem Biogas aus Abfällen.
 
Laut dem Institut für Weltwirtschaft in D-24105 Kiel zeigen die Energiebilanzen für Ethanol aus Weizen und Zuckerrüben nur geringe Einsparungen an fossilen Brennstoffen. Für andere Rohstoffe wie Kartoffeln, Roggen etc. ist, wie méo-Consult (2002) zeigt, die Situation allerdings noch ungünstiger. Die Förderung von Bio-Ethanol wird auch dort als „keine gesamtwirtschaftlich effiziente Strategie“ beurteilt.
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Das Fazit: Die neoliberale Globalisierung macht die Armen immer ärmer, und der Unfug der masslosen Energieverschwendung wird bei diesem US-Modell nicht unterbunden, sondern durch folgenschwere Fehlentscheidungen unfähiger Politiker auf Kosten der Nahrung der Ärmsten befriedigt.
 
Laut den am 2. Februar 2007 veröffentlichten 4. Uno-Klimabericht, an dem 500 Autoren mitgewirkt haben und der trotz US-Einwirkungen kaum noch um die Feststellung herumkommt, ist die Zerrüttung der gasförmigen Schutzschicht unserer Erde „sehr wahrscheinlich“ anthropogen (menschengemacht); wahrscheinlich ist die Einschränkung eine Konzession an die USA.
 
Bis zum Ende dieses 21. Jahrhunderts dürfte sich das Klima um bis zu 6,4 °C erwärmen. Der zweifellos eher zurückhaltend abgefasste Uno-Bericht zeigt, was auf uns alle zukommen wird: ein weiterer Anstieg des Meeresspiegels mit den damit verbundenen definitiven Küstenüberschwemmungen, zunehmende Dürreperioden und vermehrte Wirbelstürme. China und die USA lehnen nach wie vor die Gründung einer Uno-Umweltorganisation ab, wie sie der französische Staatspräsident Jacques Chirac vorgeschlagen hat, um die Wirtschaft zu schonen. Neoliberale Idioten an den zentralen Schaltstellen, die nur auf Macht und rasche Gewinne aus sind, kennen eben keine Rücksicht. Sie sind die Vorbereiter des Klima-Kollapses.
 
Mir tun nicht allein die sympathischen Mexikaner Leid, sondern alle, die unter den Folgen einer hoch kriminellen Weltpolitik zu leiden haben. Wäre ich Mexikaner und noch etwas jünger an Jahren, würde ich mich dem Subcomandante Marcos, dem feinsinnigen Poeten, Sprecher und geistreichen Strategen der Aufständischen, anschliessen und mit ihm den Kopf riskieren, um mich gegen die mächtigen Ausbeuter und ihre Helfershelfer zu wehren.
 
Hinweise auf ein weiteres Blog zu Mexiko
 
Empfohlene Lektüre zum Thema Mexiko
Huffschmid, Anne (Hrsg.): „Subcomandante Marcos. Ein maskierter Mythos“. Elefanten Press, Berlin 1995.
Subcomandante Insurgente Marcos: „Botschaften aus dem Lakandonischen Urwald“, Edition Nautilus, Verlag Lutz Schulenburg, D21031 Hamburg 2005.
Hinweis auf weitere Blogs von Lang Günther
DES MENSCHEN-KINDES BESTER FREUND
In aller Freundschaft: Stammbuchblätter und Poesiealben aus über 200 Jahren
Keltische Münzen und ein Schatz unterm Taufbecken
Kinderbuch-Ausstellung in Müllheim