Textatelier
BLOG vom: 24.10.2007

Wie ich in der Klosterkirche Königsfelden der Polizei entging

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Man sollte sich nie auf krumme Wege begeben, wirklich nicht. 2 Erlebnisse jüngeren Datums haben mir das in Erinnerung gerufen:
 
Ich war im Sommer 2007 in einem Abbaugebiet für Jurakalk und Mergel, um die Landschaft zu erkunden. Dass dies im Gebiet Jakobsberg (bei Auenstein AG) geschah, will ich her verschweigen, weil es nichts zur Sache tut. Um der gründlichen Recherche willen über die geologische Zusammensetzung der Unterwelt verirrte ich mich in ein Gebiet, das für die Öffentlichkeit gesperrt war, auch aus Sicherheitsgründen, woraus sich meine Heimlichtuerei erklärt. Also frass ich auf eigene Gefahr über den Hag, und mein Gewissen ist auch im Nachhinein relativ gut, weil ich nichts gestohlen, nichts kaputt gemacht und auch nichts aufgedeckt habe, was nicht schon lange allgemein bekannt war.
 
Nach dieser harmlosen Exkursion hatte ich furchtbar schmutzige Schuhe. Der Juralehm klebte an den Sohlen, als ob es ihm darum gegangen wäre, mich am Jurahang festzukleben – was ich ja ohnehin tue: Mein Heim in Biberstein am Jurasüdfuss hält mich mit aller Kraft hier fest. Doch ist mir nach rund 45 Ehejahren allmählich bekannt geworden, dass meine angetraute Ehehälfte es gar nicht schätzt, wenn ich in einer Juralehm-Panade auftauche, wie das manchmal nach der Gartenarbeit geschieht.
 
Aufgrund dieser Vorkenntnisse, die an meiner Psyche selbstredend nicht spurlos vorbeigegangen sind, sah ich mich genötigt, meinem garnierten Schuhwerk zu einem besseren Zustand zu verhelfen. Und – wie immer in meinem Leben – das vom Zufall unterstützte Glück verfolgt mich auf Schritt und Tritt: Am Ausgang des unerwähnten Steinbruchs (Materialabbaugebiets) gab es eine den Dimensionen des heutigen Güterverkehrs angemessene Lastwagen- und Erdabbaumaschinen-Waschanlage. Massive Eisenrollen warteten in einem mit Wasser gefüllten Rechteck auf das nächste schwere und hoffentlich verschmutze Fahrzeug. Doch im Moment – es war an einem Sonntag-Spätnachmittag – pflegte alles und jeder seine Sonntagsruhe. Laut meiner eigenen Beurteilung war ich das einzige arbeitende Wesen weit und breit.
 
Ich nahm die Gelegenheit wahr, meine Schuhe bis knapp über die Sohlenhöhe ins Wasser des Waschbeckens zu tauchen, sie darin zu schwenken in der Hoffnung, dass der Lehm abgelöst würde. Das war aber auch alles. Doch unverhofft hob dabei ein gewaltiges Knacken und Rauschen an, als ob ein mechanischer Wasserfall inkl. Getreidemühle in Betrieb gesetzt worden sei. Und genau so war es auch. Ähnlich dem Wahrzeichen der Stadt Genf, dem Jet d’Eau (= Wasserstrahl, Springbrunnen) schossen von unten und von beiden Seiten Fontänen empor –offenbar hatte ich die Waschanlage durch mein Gewicht (im Moment: 90,4 kg, falls meine kaum benützte Waage stimmt) ausgelöst, eine Folge der Automatisierung. Messerscharf schloss ich daraus, dass mein Körpergewicht genügt haben muss, um die Baumaschinenwaschanlage in Betrieb zu setzen – sie schien geradezu darauf gewartet zu haben.
 
Meine Geistesgegenwart, die ich immer mit mir herumtrage und auf die Verlass ist, liess mich einmal mehr nicht im Stich. Mit einem kühnen Sprung, der als „Auensteiner Sprung“ in die Geschichte eingehen dürfte, rettete ich mich vor der Totalwäsche auf den Asphalt, was mir Gelegenheit bot, die Anlage, die nun nur die frische Luft gewaschen hat, zu fotografieren. Die Wasserstrahlen bildeten eine Art Spalier, wie man sie Brautpaaren angedeihen lässt..
 
Soweit ein Erinnerungsstück, das ich bisher für mich behalten habe, und sollten sich daraus nachträglich noch irgendwelche juristische Konsequenzen ergeben, werde ich sie mit Fassung zu tragen wissen und nichts abstreiten.
 
In der Klosterkirche Königsfelden
Die Sache vom Samstag, 13.(!) September 2007, scheint mir gravierender zu sein. Am frühen Nachmittag brach die Sonne mit Gewalt durch den herrlichen herbstlichen Hochnebel über dem Aaretal. Und weil man aus jeder Situation das Beste herausholen soll, dachte ich, das Licht sei günstig, um die und in der Klosterkirche Königsfelden (Windisch bei Brugg AG) zu fotografieren. Ich bereite für eine berühmte Zeitschrift eine Reportage über dieses Grossod (meine persönliche Ableitung von Kleinod) vor. Den Namen der Zeitschrift nenne ich hier nicht, weil ich keinerlei Einblicke in Redaktionsprogramme geben will, aus Konkurrenzgründen, versteht sich. Denn ich möchte nicht Journalisten Inspirationen für die Reportagenplanung geben; sie mögen sich bitte selber etwas einfallen lassen.
 
Jedenfalls näherte ich mich an jenem 13. dem weltberühmten Bauwerk in Windisch, nahe bei der Psychiatrischen Klinik; die Klosterkirche war mir wegen ihrer Schlankheit und Eleganz schon immer aufgefallen – und zwar nicht etwa negativ. Als ich ehrfurchtsvoll den Haupteingang ansteuerte, öffnete sich das Holzportal mit den Eisenbeschlägen wie von Geisterhand lautlos, wobei ich nicht glaube, dass das etwas mit dem berühmten Heiligen Geist zu tun hat. Es war die übliche Türautomatik, wie sie sich selbst profane Einkaufstempel zunutze machen. Ich trat andächtig ein, bezahlte an der Kasse die Eintrittsgebühr von 5 CHF und kaufte einige Publikationen.
 
Dann liess ich die dreischiffige, flachgedeckte Basilika des Schiffs, laut dem „Schweizerischen Kunstführer“ eine „kastenhafte Predigtscheune“, auf mich einwirken, ebenso die auf Achteckpfeilern ruhenden Obergadenwände. Wie ein Prozessionsteilnehmer schritt ich andächtig, wie es mir von Kindsbeinen an in Bezug auf Kirchenbesuche beigebracht worden war, zum Chorbogen mit den spätgotischen Wandmalereien (von 1430): Christus als Pantokrator (d. h. als auferstandener Christus) mit der fürbittenden Maria und dem alt vertrauten Johannes, umgeben von den 4 Evangelistensymbolen. Ich liess mich von dieser ehrenwerten Gesellschaft nicht zurückhalten, sondern bewegte mich behutsam in den Chor weiter. Dort sind in beachtlicher Höhe die weltberühmten Glasmalereien, welche die neutestamentarische biblische Geschichte und die Heiligenlegenden erzählen. Vom Westen her trug das Sonnenlicht zur Leuchtkraft dieser detailreichen und kunstvollen Darstellungen bei, die sich wie eine Reihe von farbig leuchtenden Bildertürmen nebeneinander reihen. Sie gehören zu den bedeutendsten europäischen Kunstwerken des 13. Jahrhunderts. Voller Bewunderung schaute ich zu diesen Chorfenstern empor, zu diesem Bildprogramm von wunderbarer Geschlossenheit.
 
Ich erinnerte mich bei dieser Gelegenheit an den ermordeten Habsburger König Albrecht I., der als geizig beschrieben wird und von seinem Neffen Johann von Schwaben ermordet worden ist – zu dieser Bluttat kam es angeblich wegen einer unterlassenen Entschädigungszahlung. Die Witwe Elisabeth von Görz-Tirol gedachte mit der Gründung eines fürstlichen Hausstifts des Seelenheils des Verstorbenen, und sie setzte gleichzeitig ein Denkmal habsburgischer Macht. So wurde die Klosterkirche zwischen 1310 und 1330 erbaut und anschliessend durch Berner Landvögte, die eher dem Irdischen zugetan waren, zweckentfremdet und zeitweise als Kornlager benützt. Für Seelennahrung brauchten sie nicht besorgt zu sein.
 
Von alledem sind Spuren in der Kirche zu sehen, und ich besann mich auf meinen publizistischen Auftrag des Wahrnehmens, Sehens und Fotografierens. Meine digitale Nikon-Kamera schien vor solchen Schönheiten zu kapitulieren. Die Glasfenster waren zu weit oben, und, von unten betrachtet, spitzten sie sich nach oben zu; das war selbst mit einem Perspektivkontrollobjektiv nicht zu schaffen. Doch zwischen Schiff und Chor, oberhalb des habsburgischen Erbbegräbnisses, gibt es den Lettner, der das Langhaus (Schiff) vom Chor trennt: eine hohe Schranke wie eine brückenartige Empore, von der aus ich die richtige Höhe zum Fotografieren der Glasfenster gehabt hätte.
 
Die Lösung dieses Standortproblems schien mir in Reichweite zu sein, zumal genau hinter der Zwischenwand (chorseitig) eine Wendeltreppe auf diesen sich über die gesamte Kirchenbreite erstreckenden Lettner führt. Der Eingang in diese moderne Wendeltreppe war leider mit einem etwa 1 m hohen Eisentor abgeriegelt. Das Überwinden dieses kleinen Hindernisses wäre für mich, der ich eine erstaunliche Berggängigkeit über die zeitlichen Runden gebracht habe, kein Problem gewesen, eine turnerische Flanke hätte genügt. Und zudem war dieser Bereich vom Kiosk beim Eingang aus nicht einsehbar.
 
Ich war nahe am Entschluss, diesen Stützsprung zu wagen, als mich meine unüberwindliche Korrektheit daran hinderte. Ich begab mich zum Kiosk, wo ich bereits ausgiebige Gespräche mit der fachkundigen und freundlichen Judith Hasler geführt hatte. Sie wusste seither, dass ich hier eine publizistische Aufgabe wahrnahm. Ich bat sie höflich, mir den Aufgang zur Empore zu öffnen, auf dass ich aus erhöhter Warte aus mit der richtigen Perspektive meine Aufgabe, die Glasfenster zu fotografieren, wahrnehmen konnte. Sie sagte spontan und bestimmt: „Ich darf leider niemanden hinauf lassen.“ Befehl ist Befehl. Und mir wurde schmerzlich bewusst, dass ich ein Niemand bin. Da fiel mir die rettende Lösung ein: „Ich könnte doch einfach über den kleinen Hag klettern, die Treppe emporsteigen und meine Bilder schiessen – und Sie sehen nichts, wissen von nichts.“
 
„Das wäre noch schlimmer. Der Aufgang ist gesichert, und wenn Sie die Schranke überschreiten, gibts Alarm.“ Ich stellte mir den Lärm vor. Ein Besucher musste im Chor niesen. Das echote wie in einem Konzertsaal – eine grandiose Akustik. Und Sirenen würden hier einen Riesenklamauk veranstalten.
 
„So viel Lärm möchte ich nicht veranlassen“, sagte ich kleinlaut. Judith Hasler, ebenso geschichts- wie sicherheitskundig: „Meines Wissens handelt es sich um einen ‚stillen Alarm’“.
 
Das bedeutete mit anderen Worten, dass noch während meines Fotografierens auf dem Podest die Kriminalpolizei heimlich, still und leise eingetroffen wäre und mich wahrscheinlich aus diesen heiligen Hallen heraus verhaftet hätte. Selbstredend hätte das ein lustiges Tagebuchblatt initiiert. Doch ich verzichtete darauf und fügte mich den Vorschriften der Einfachheit halber.
 
Und so ist wieder alles gut ausgegangen. Frau Hasler bat mich bei der Verabschiedungszeremonie, ein Formular auszufüllen, das der Besucherforschung dient. Ich lobte auf dem Formular ihre nette, einfühlsame Art. Sie sagte mir auf meine entsprechende Frage hin noch, dass vor allem ältere Menschen zum Besucherpotenzial gehören (obschon das Alte Testament bei den Glasmalereien praktisch keine Rolle spielt) – ich war also hier richtig. Oft seien es auch Studenten, Kunsthistoriker und -interessierte, Schulklassen, Vereine, auch religiöse Organisationen, selbst aus dem Ausland, und manchmal wird sogar ein Geschäftsausflug hierhin unternommen. Häufig würden auch Menschen aus der Psychiatrischen Klinik Königsfelden hier verweilen und die Kirche als „Ort der Kraft“ verspüren. Vielfach gehört „Königsfelden“ zudem in den Rahmen einer Habsburg-Exkursion (also mit Schloss-Besichtigung auf dem Wülpelsberg bei Brugg, also in der Nähe). Die Klosterkirche wolle sich in Zukunft wieder besser ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rufen und vermehrt Veranstaltungen durchführen, sagte Frau Hasler noch. Wenn es mir gelungen wäre, den Alarm auszulösen, hätte das sicher auch einen gewissen Werbeeffekt entfaltet.
 
Für Tanz- und andere kulturelle Veranstaltungen ist das ein wirklich grandioser Raum. Darin sind keine Bänke, sondern ausschliesslich mobile Stühle, so dass der Boden nach den besonderen Bedürfnissen eingerichtet werden kann.
 
Und so hoffe ich, wenigstens auf diese bloggerische Weise einen gewissen Alarm auszulösen – nicht zur Anlockung der Kriminalpolizei, sondern der allgemeinen Öffentlichkeit nach Königsfelden, zu der natürlich auch Kriminalpolizisten und Angehörige von Sicherheitsdiensten aller Art gehören dürfen.
 
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Reproduktionsfähige Fotos zu all diesen Beschreibungen können beim Textatelier.com bezogen werden.
 
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