Textatelier
BLOG vom: 07.12.2013

Ist die Hausmusik eigentlich ausgestorben? Sie lebe!

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Ja, es scheint, dass die Hausmusik ausgestorben ist. Im 19. Jahrhundert unterhielten sich Leute oft musikalisch zuhause, sangen und spielten Instrumente – zu Zeiten, als es weder Radio noch TV gab. Heute sind unzählige neue  Unterhaltungsmedien elektronischer Art verfügbar, die uns dauernd ablenken, nicht selten ohrenbetäubend.
 
Während meines 1. Aufenthalts in London wurde ich regelmässig zu privaten Darbietungen von Musikern und Sängern eingeladen, etwa zu einem Zyklus von Schubert-Liedern, gar artig gesungen und präsentiert von einem Sänger mit angenehmer Stimme.
 
Das Haus gegenüber, dessen oberstes Stockwerk wir über 30 Jahre lang bewohnten, teilten wir mit 2 Violinisten im Parterre, Herr und Frau Katona. Sie luden uns immer wieder zu Auftritten ihrer Studenten ein. Wer gut spielt, braucht ein Publikum, im Gegensatz zu mir, der es mit der Geige nicht so weit gebracht hat. Lily und ich genossen ihre gut eingeübten Stücke, gefolgt von einem Glas Wein mit belegten Brötchen. Dies war unser letztes Erlebnis von Hausmusik.
*
Gestern wurde ich zur Hausmusik bei meinem Freund Stefan eingeladen; er ist ein Pianist. Nach vieljähriger Pause haben wir einander wieder entdeckt, nachdem unsere berufliche Wege auseinandergegangen waren. Die alte Freundschaft hat wieder aufgelebt. Auch er ist mit einer Perserin (Koloratursopranistin) verheiratet. An diesem Anlass wurden ein Dutzend Piano-Kompositionen auf Stefans Konzertflügel gespielt, altbekannte von Frédéric Chopin und neuere. Stefan spielte u. a. eine „morische Melodiefolge“ eines spanischen Komponisten, die mir angenehm in die Ohren flutete.
 
Die Musik wurde teils von erprobten Pianisten, teils von Studenten von Musikakademien gespielt. Gavin spielte eine Sequenz von 1-minütigen „Miniaturen“, alles Eigenkompositionen. Ich kann sie am besten als musikalische Aphorismen bezeichnen. Über ein Glas tauschten wir unsere Gedanken aus, als wir musikalische und aphoristische Einfälle hatten. Wir kamen zum Schluss, dass beide aus dem gleichen Quellboden der Kreativität schöpfen.
 
Dieser Nachmittag zerrann sachte in die Abenddämmerung hinein. Ein Wind umspielte die Äste einer jungen Birke – wie mir schien, mit der Musik schwingend.
 
Ich sass als Zuhörer auf einem Stuhl hinter einer Marmorsockel, den 2 Putti besetzt hielten, und beobachtete das Spiel der Hände, die bald zärtlich über die Tasten streichelten und dann wieder mit kräftig abgewinkelten Finger eingriffen. Auch die wechselnde Physiognomie der Spieler fiel mir dabei auf, wenn sie sich den Melodien hingaben.
 
Und ganz zuletzt griffen die ernsten Musiker zu anderen Instrumenten, spielten auch auf der Trommel herzhaft Unterhaltungsmusik anderer Art – Schlagermelodien, Jazz und Tanzmusik. Das war ein würdiger Abschluss des musikalischen Nachmittags. Lebe solche Hausmusik wieder auf!
 
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