Textatelier
BLOG vom: 04.12.2014

Der Rätselhafte aus Einsiedeln: Theophrast von Hohenheim

Autor: Pirmin Meier, Historischer Schriftsteller, Beromünster LU/CH
 
 
Je länger ich mich mit Paracelsus befasse und mit Einsiedeln SZ, mit Egg, dem Etzel, mit dem bei Theophrastus von Hohenheim benannten „Haggen" (wohl: Mythen), seinem Weg nach Schwyz und das Urnerland bis hinauf zum „Gothartsgletscher", wie er einen Wintermarsch ins Tessin und nach Italien andeutet, desto rätselhafter kommt er mir vor. Kaum gibt es einen Fussweg, wo nicht eine Spur von Paracelsus zu finden und gleich wieder zu verlieren wäre.
 
Der Nachweis, dass Theophrast von Hohenheim über seine früheste Erinnerung aus dem Jahre 1499 hinaus, „ein gross Wasserguss", je wieder in seiner Heimat etwas selber erlebt hat, ist nicht zu erbringen. Es spricht aber mehr für als gegen spätere Einsiedler Erfahrungen des nach Kärnten Ausgewanderten. So etwa seine radikale Kirchenkritik, besonders an den Orden. Sie erfolgte zu einem Zeitpunkt, da sich das Kloster Einsiedeln personell auf einem Tiefpunkt befand. Es war fast nichts anderes mehr als eine grosse Pfründe für einen Abt und wenige hochadlige Mönche. Unter diesen glänzte der Frühhumanist Albrecht von Bonstetten (1443–1505). Dass er mit Paracelsus‘ Vater Wilhelm von Hohenheim in den 1490er-Jahren in Kontakt getreten ist, kann als sicher gelten. Es waren die beiden damals gelehrtesten Menschen im Raum Einsiedeln. Der eine, ein deklassierter Niederadliger schwäbischer Herkunft; der andere aus einer der besten Familien aus dem Säuliamt, die sich noch 1499 von Kaiser Maximilian für die Bonstetten den Freiherrentitel bestätigen liess.
 
Aus der besagten Familie sind habsburgische Reichsvögte, auch ein Abt von St. Gallen hervorgegangen. Albrecht von Bonstetten hat nachweisbar Bruder Klaus besucht, wie der von Paracelsus als sein Lehrer gerühmte Abt Trithemius von Sponheim. Sehr wahrscheinlich aber stammt das Wissen von Paracelsus über Klaus von Flüe, wie fast alles, was er aus der Überlieferung mitbekam, von seinem Vater und damit aus der Quelle des Einsiedler Stiftsdekans Albrecht von Bonstetten. Derselbe gehört zu den wichtigsten geografischen Chronisten der für Paracelsus wichtigen Rigi. Bonstetten hat von dort eine Art Karte gemacht mit den Landschaften Aargau und Thurgau, die von der Bergeshöhe aus sichtbar wird, mit Perspektiven bis nach „Urania", Uri. Damit ist die Landschaft der Kindheit des Paracelsus aufgezeichnet.
 
Bonstetten war ein breit abgestützter Gelehrter, ein Polyhistor. Er vertritt im ersten Lebensjahrzehnt von Theophrast von Hohenheim die humanistische Substanz von Einsiedeln. Wenn einer damals mit dem Namen „Theophrastus" etwas anfangen konnte, dann war es Bonstetten. Ich glaube mich nicht zu sehr auf die Äste zu versteigen, wenn ich diesem Mann, für Wilhelm von Hohenheim der einzige Gelehrte auf Augenhöhe vor Ort, zudem Priester, die Berufung des Täufers von Theophrast von Hohenheim zutraue. Vielleicht taufte er auch noch andere Kinder des Ehepaares Wilhelm von Hohenheim und der mutmasslichen Grätzerin, der Mutter des Paracelsus. Zu deren Verwandten gehörte der bekannte Abgesandte des Abtes nach Salzburg im Dezember 1541, Peter Wesener. Er rühmte sich der Verwandtschaft mit einem Mann, der früh zur Sagenfigur wurde und in Einsiedeln fast nur in der Volkserzählung weiterlebte.
 
Um es zusammenzufassen: Ich sehe in Wilhelm von Hohenheim, Theophrast von Hohenheim und Albrecht von Bonstetten drei Humanisten. In diesen drei Namen kulminiert um die Jahrtausendmitte und Jahrhundertwende um 1500 der Geist Einsiedelns.
 
Theophrast von Hohenheims Andenken schwirrt durch die Landschaft Etzel und Einsiedeln wie durch ein Labyrinth. Das umstrittene Denkmal von Alfons Magg, einem Freund von Linus Birchler und ehemaligen Ministranten von Heinrich Federer, wobei jener als Knabe vor der Kantonspolizei Zürich beteuerte, von Federer nie unanständig betastet worden zu sein, ist dank den schönen, von Erwin Jaeckle ausgewählten Inschriften und dem mütterlichen Bezug nicht als Kitsch abzutun: „Das Kind braucht weder Planet noch Stern. Die Mutter ist sein Planet und sein Stern“ (Denkmalinschrift nach Paracelsus).
 
Der Begriff der Mutter ist bei Paracelsus, über die leibliche Mutter hinaus und allgemein als „Gebärmutter“ verwendet, ein umfassender Bildbegriff, eingeholt im Namen „Matrix“. Damit ist umfasst, was einer in Einsiedeln abholen kann: Die vier Elemente, am stärksten Wasser und Luft, die drei Prinzipien des Stabilen, des Verflüssigenden und des Verflüchtigenden, dazu drei Gaben gemäss dem „Liber de officiis": "gaben der zungen, gaben der weisheit, gaben der gesundmachung.“
 
Von diesen drei Gaben war Paracelsus die erste nur mühsam verliehen. „Meine Zunge ist zum Schwätzen nicht gerichtet, allein zum Werken und der Wahrheit." Der Satz steht für das, was dem „Waldesel von Einsidlen“ vorenthalten blieb, entgegen der Gabe der Gesundmachung, also dem ärztlichen Genie, wie es Paracelsus-Kritiker Johann Georg Zimmermann aus Brugg nannte. Was erst spät entdeckt wurde, vielleicht steht es noch bevor, ist Paracelsische Weisheit. Wann wohl „blühet, was da grünet, mit der Zeit?“ Einsiedeln wird Paracelsus kaum je vergessen, so wenig wie den heiligen Meinrad. Für diejenigen, die sich seiner Geistes- und Geisterwelt öffnen, kann sich jeden Tag eine Überraschung offenbaren: Vom Geheimnis der Geburt über Gesundheit und Krankheit bis hin zu den Mysterien des Todes und der Auferstehung.
 
 
Literaturhinweis
Pirmin Meier: „Paracelsus, Arzt und Prophet, Annäherungen an Theophrastus von Hohenheim", 6. Auflage, dem Andenken an Bundesrat Otto Stich gewidmet, Unions-Verlag Zürich 2013.
 
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