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BLOG vom: 26.10.2014

Ein Sonntag in all seinen Facetten ist wie ein Lebenslauf

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Deutschland
 
Der Himmel jenes dritten Oktobersonntags 2014 ist am frühen Morgen kurz vor halb acht strahlend blau, ein paar Wolken präsentieren sich durch die aufgehende Sonne in prachtvollem leuchtenden Rot. Der Tag sollte laut Wetterbericht der vermutlich letzte Sonnentag in diesem Monat werden, der wahrlich ein „goldener Oktober“ war. Die Sonne verscheucht die leichten Nebelschwaden und die Feuchte der Nacht. Die Temperatur steigt langsam bis auf 25 Grad C.
 
Der Flohmarkt in Meerbusch ist schon um 8 Uhr gut besucht, die Anbieter in bester Laune. Nicht alle hatten ihre Schätze bereits ausgelegt. Es ist ein kleiner monatlich stattfindender Flohmarkt in einem kleinen Ort ausserhalb von Düsseldorf/D. Das Durchschnittseinkommen der Bewohner dieses Städtchens ist das höchste im ganzen Bundesland. Das ist auch am Angebot auf diesem Flohmarkt zu merken. Das Bücherrepertoire ist hochwertig; die Waren sind oft antiquarisch. Es wird keine Neuware angeboten und wenig Kitsch. Es macht Spass, von Stand zu Stand zu schlendern, ein wenig mit den Verkäufern zu plaudern, die ausgelegte Ware durchzusehen.
 
Nach 2 Stunden schliessen wir den Besuch mit einer guten Tasse Kaffee ab und fahren einige Kilometer zu einem Naturschutzhof, auf dem ein „Erntedankfest“ veranstaltet wird. Auch hier haben sich schon viele Besucher eingefunden. Es werden mehr als 20 Apfelsorten präsentiert, von vielen hatte ich vorher noch nie gehört. Eine Obstsaftpresse verarbeitet mit etwas Getöse die Früchte, die die Besucher mitgebracht haben. Das Restaurant ist gut besucht. Wir bekommen einen Platz im Innenhof. Die Sonnenstrahlen sind für diese Jahreszeit überraschend kräftig.
 
Eine Dame mit einem kugelrunden Bauch fragt, ob bei uns am Tisch noch 2 Plätze frei seien, organisiert Stühle und setzt sich zu uns. Sie macht nicht den Eindruck, dass ihre Schwangerschaft ihr eine Last ist. Ich spreche Sie an und erwähne, dass sie die Frage von mir, wann es denn so weit sei, vermutlich schon oft beantworten musste. Sie bejaht und sagt, sie sei morgen „ausgezählt“.
 
Wir bestellen ein Getränk und etwas zu essen. Der Ehemann unserer Tischnachbarin kommt hinzu. Wir reden über die bevorstehende Geburt. Er sagt, das Kind werde „übermorgen“ geboren, dann müsse er nicht nach Hamburg. Dort sei für 3 Tage in der Woche sein Arbeitsplatz bei einer Bank.
 
Wir plaudern über dies und das. Das Ehepaar berichtet, sie sei mit ihrem Neubau beschäftigt, der nur 300 m von der Stadtgrenze entfernt entstehe. Leider wird das Haus erst im Januar fertig werden, und die Monate bis dahin müsse man noch ein wenig beengt überbrücken.
 
Der Ehemann ist aus dem Ort hinter der Stadtgrenze beheimatet, die Frau kommt aus der Gegend von Frankfurt am Main. Wir erfahren, dass die Schwägerin der Frau ebenfalls in den nächsten Tagen niederkommt. Es wird schwierig für die Mutter der beiden Geschwister, die sich entscheiden muss, wen sie besucht, denn dieses Paar wohne in München und Frankfurt liegt genau in der Mitte.
 
Ich frage, ob sie denn bereits wissen, ob es ein Junge oder ein Mädchen werde. Die werdende Mutter sagt, es werde ein Junge. Wie er denn heissen soll? Man habe sich auf einen Kompromiss geeinigt. Weder der Wunschname der Frau soll es werden, noch der des Mannes. Die werdende Mutter konnte sich nicht für den Namen „Oskar“ erwärmen, und er auch nicht für „John“. So habe man sich auf „Vincent“ verständigt. Wir reden darüber, wie solche Entscheidungen zustande kommen, welche Modenamen zurzeit aktuell sind, etwa „Leo“ oder „Leon“ und „Lion“. „Hoffentlich schneidet er sich nicht später auch ein Ohr ab!“ meint der werdende Vater schmunzelnd in Gedanken an den berühmten Namensträger Vincent van Gogh.
 
Endlich kommen die Getränke und danach auch das Essen. Der Ehemann berichtet über Hamburg und das häufige nasskalte Wetter dort, das von der Nordsee aus über die Stadt ziehe. Hier am Niederrhein wohnen wir in einem sehr gemässigten Klima, so anders als einige hundert Kilometer nördlich.
 
So verfliegen 2 angenehme Stunden im Gespräch, bis wir uns voneinander verabschieden. Auf dem Naturschutzhof treffen wir noch Freunde, unter anderem eine Nachbarin, deren Ehemann vor 16 Monaten verstorben war.
 
Der Tag war wie die Metapher eines Lebenslaufes, nicht chronologisch, aber übertragbar. Menschen jeder Altersstufe zu jeder Tageszeit, ausgemusterte Trödel am Morgen, ein Gespräch über das beginnende Leben am Mittag bei wärmendem Sonnenschein und die Erinnerung an den Tod am Nachmittag inmitten von gerade geernteten reifen Früchten.
 
Ein herrlicher Tag! Am Spätnachmittag ziehen langsam dunkle Wolken auf, die Ankündigung auf die kommende Schlechtwetterperiode. Auch sie gehört dazu!
 
 
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