Die verschiedenen Medien sprechen ihre eigene Sprache und bringen ihre eigenen "Realitäten" hervor, z.B. die spezielle Tele-Logik. Sie sind die Manipulationsinstrumente der Bewusstseinsindustrie, ohne als solche erkannt zu sein. Der Nutzer verschmilzt mit den Botschaften; er vervollständigt die Bilder und bleibt in dieser virtuellen Welt gefangen.
Der Physiker und Philosoph Georg Christoph Lichtenberg hat einst auf die Frage, wie das Leben eines Menschen als Biografie in Buchform zu bringen sei, geantwortet: Es müsste sich von Anfang an zwischen 2 Buchdeckeln abspielen. Tatsächlich können wir die Welt nicht in objektiver Form wahrnehmen, sondern wir erfahren die Wirklichkeit immer nur zu den Bedingungen des Mediums. Wenn der Pfarrer die Bibel erläutert, interpretiert er sie aus seiner persönlichen Sicht; wenn der Arzt einen Ratschlag erteilt, hat er seine eigenen individuellen Begründungen dafür, die auf seinem Wissen basieren. Die Druckmedien zerhackstückeln das Weltgeschehen nach dem Schema der Buchstaben und der fotografischen Möglichkeiten, nach dem typografischen Prinzip. Das Fernsehen baut Kulissenlandschaften und eignet sich nur für Vorgänge mit "Action", aber nur in Ausnahmefällen für geistige Prozesse.
Im Mittelalter - und auch schon früher - waren die Menschen die Medien höchstpersönlich; sie verkörperten sozusagen die Elemente der Kommunikation und wurden kaum konkurrenziert. Sie sprachen, erzählten, erzählten weiter, sie zeichneten vielleicht und malten. Dann breitete sich die "Gutenberg-Galaxis"[1] aus, das auf Papier endlos Vervielfältigte. Die Überlieferungen erfolgten zunehmend schriftlich. Die elektrotechnischen und elektronischen Medien, die sich in jüngster Zeit enorm ausbreiteten und digital vernetzten, nahmen weitere Amputationen am Medium Mensch vor. Dieses hat noch die Möglichkeit, entweder als aktiver Unterhaltungsstar seine Produktionen verbreiten zu lassen, oder - was auf die breite Masse zutrifft - sich passiv unterhalten zu lassen, um die medialen Phantomschmerzen zu vergessen. Der Inhalt des Unterhaltungsangebotes ist unbedeutend oder überhaupt nicht mehr vorhanden; nur der Unterhaltungs- und Beachtungswert zählen.
Durch ihre blosse Existenz verändern auch die Medien die Welt, jedes Medium auf seine Art - von subtil bis breitwürfig:
Gespräche von Mensch zu Mensch sind die höchste Form medialer Kultur - eine Ehrenrettung für das Wirken auf persönlicher Ebene durch Lehrer, Pfarrer, Ärzte usf. ist in dieser Feststellung inbegriffen; allerdings werden jetzt auch diese Bereiche allmählich digitalisiert. Die Sprache hat sich zu einer eigenen Form von Wirklichkeit auf teilweise abstrakter Ebene verfestigt: Sie besteht aus mehr oder weniger ausgeklügelten Beschreibungen, etablierten Ausdrücken und hohlen Modewörtern, ferner aus Bildern und mehrdeutigen Symbolen.
Das Lesen folgt bedeutungsmässig gleich nach dem Gespräch: Es ist eine anspruchsvolle, anregende, Gelehrsamkeit vermittelnde, weiterbildende und erbauende Art der Teilnahme am Denken und Wissen anderer Menschen, wenn solches im Text enthalten ist.
Das Radiohören fordert die mitwirkende Phantasie, vermittelt akustische Stimmungsbilder, wenn das Wörtchen wenn auch hier nicht wär': Wenn das Angebot nicht vor allem aus Geplätscher oder Technolärm bestünde.
Das Fernsehen ist das Medium für Menschen, die keine Ruhe ertragen, die nichts denken und sich nur unterhalten lassen wollen. Daraus erklärt sich, dass Niveausenkungen hier die Einschaltquoten erhöhen. Viele Druckmedien, die das Fernsehen kopieren, erfahren das Gegenteil; die Leser laufen davon. Zwischen Ansprüchen von Lesern und jenen von Zuschauern sind Welten. Das hat nur noch kaum jemand gemerkt.
Das Internet wirkt durch Schnelligkeit, Gleichzeitigkeit, Vernetzbarkeit und Grenzenlosigkeit globalisierend, gelegentlich nivellierend, je nach Nutzung aber auch bereichernd - ein diffuses, unergründliches, wandelbares Medium, das Kontakte erleichtert, beschleunigt und noch in den Kinderschuhen daherkommt.
Der moderne Mediennutzer müsste sich in die Lage versetzen, die Zubereitungsmethoden des Informations- und Verführungsangebotes zu durchschauen, um dieses richtig zu werten, es gegebenenfalls für seine Zwecke nutzbar machen zu können und um nicht zur Manipuliermasse zu werden. Es geht, mit McLuhans Worten, darum, die "übliche Nachtwandlermentalität", die künstlich herbeigeführte Betäubung oder Benommenheit, zu überwinden. Es geht um Medienkompetenz. Die grundlegende Aufgabe besteht somit darin, das eigene Bewusstsein und die eigene Beurteilungskraft daraufhin zu trainieren, dass die nach medialen Gesichtspunkten verwandelte Welt als solche einigermassen in ihrer wahren Gestalt erkannt werden kann. Wenn wir diese Kunstfertigkeit erlangt haben, können wir wieder die richtigen Distanzen und Dimensionen herstellen und Bezüge schaffen.
Die veröffentlichte Meinung beeinflusst die öffentliche Meinung, ohne mit ihr identisch zu sein. In Demokratien trägt die öffentliche Meinung wesentlich zum politischen Geschehen bei, zur Gestaltung der gesellschaftlichen Ordnung. Diese öffentliche Sache braucht kompetente Mitwirkende in allen Sektoren.
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[1]"The Gutenberg Galaxy" ist neben "Die magischen Kanäle" der Titel eines weiteren Buches von Herbert Marshall McLuhan, 1962 erschienen. Die Thesen des Autors sind aktuell geblieben; er gilt als "Orakel des elektronischen Zeitalters".