Textatelier
BLOG vom: 09.03.2006

Der Milchmann kommt bei uns in London täglich

Autor: Emil Baschnonga
 
Bei uns in London kommt er noch immer täglich frühmorgens und stellt 1 oder 2 Milchflaschen, die beliebte „daily pinta“ (tägliche Pinte), vor der Gartentüre ab, und sammelt die ausgespülten leeren Flaschen ein.
 
Jeden Freitag läutet der Milchmann. Ein älterer Mann trabt auf dem Gartenweg mit der Milch vors Haus. Ich gebe ihm die abgezählten Münzen und wir wechseln einige Worte. Auf seine Wettervorhersage ist Verlass. Heute fragte ich ihn: „Wann kommen Sie wieder in kurzen Hosen?“ Er antwortete mir: „Etwa in 3 oder 4 Wochen, wenn das Wetter besser ist.“
 
In seinem elektrischen Vehikel (in England liebevoll „milk float“ genannt) klimpern die Milchflaschen, wenn er weiterfährt. 10 km pro Stunde ist etwa die Höchstgeschwindigkeit des Milchkarrens. Auf den Hauptstrassen ärgert sich mancher Automobilist, weil er deswegen abbremsen muss. Aber er ist machtlos und muss sich gedulden, ehe er überholen kann. Ausser Milch liefert der Milchmann auch Fruchtsäfte, Eier, Butter, Brot, Kartoffeln und Mineralwasser.
 
Dieser Heimdienst des Milchmanns ist gratis und obendrein sehr umweltfreundlich. Mir selbst schmeckt die Milch besser aus Glasflaschen als aus dem Karton, wie er in den Selbstbedienungsläden verkauft wird.
 
Als Bube, erinnere ich mich, erschien auch bei uns in Basel der Milchmann mit Pferdegespann vor der Haustür und schöpfte mit der Kelle, mit der kleineren einen halben, mit der grossen einen ganzen Liter in die Milchkanne. Ich glaube, er hat sogar eine ganz kleine Kelle für den ¼-Liter gehabt.
 
Wiewohl das Litermass schon seit Jahren als offizielle Masseinheit in England eingeführt ist, bleibt es bei der alten „Imperial pint“ (0,568 Liter). Die Kampagne „Save the Pint“ dauert an. Im Pub wird jeweils eine „half pint“ oder eine „pint“ Guinness oder Ale vom Fass ins Glas abgezapft.
 
In Basel kam das Pferd manchmal mit seinem Habersack vorgehängt: Der Gaul bekam sein wohlverdientes „Znüni“ und liess zum Dank einige Pferdeäpfel fallen. Das erfreute mich ungemein. So frisch von der Quelle dufteten sie sogar. Bald wurden die Kellen durch ein Abfüllgerät mit Hebelausschank ersetzt. Das klimperte nicht mehr so lustig wie zuvor die Kellen.
 
Eines Tages verschwand der Milchmann aus dem Strassenbild. Warum? Die Antwort liegt auf der Hand: Sparmassnahmen. Die Milch brauchte, dank des Eisschranks, nicht mehr täglich gekauft zu werden. Von solchen Sparmassnahmen habe ich wirklich die Nase voll. Die Milch musste im Konsum oder in der Migros gekauft werden. Obschon der Laden um die Ecke war, hasste ich es, dorthin geschickt zu werden, bloss um die Milch zu holen!
 
Heute wird alles mit dem Stichwort „Convenience“ verkauft, ein Wort, das mit Komfort übersetzt werden kann. Das ist Blödsinn. Alles kommt vorverpackt in den Verkauf, sogar Gemüse und Obst. Längst fehlt der Milch die „Nidel“ (der Rahm), der sich oben auf der Milchflasche ansammelt und den ich einst gern aufschleckte. Jetzt kommt sie halb oder ganz entrahmt in den Handel. So sei die Milch viel gesünder, wird dem Konsumenten eingehämmert. Zum Glück wurde ich nicht mit entrahmter Muttermilch gesäugt …
 
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