Textatelier
BLOG vom: 13.05.2006

Abnabeln und Verknoten: Rund um den Bauchnabel

Autor: Emil Baschnonga
 
Den Anreiz zur nachstehenden Geschichte verdanke ich Leila. Die Perser sind besonders stolz auf ihre Kinder, so auch die Familie Amir-Teymour. Die Eltern und Grosseltern, Tanten und Onkel, mitsamt den weit verzweigten Anverwandten, erfreuen sich immer wieder an den Englisch-Fortschritten des 6-jährigen Parviz.
 
Die Grossmutter tippte auf die Augen, Ohren, Nase, Mund, Hals usf. Der Kleine nannte sie alle schlagartig auf Englisch. „Und was ist das?“ wies sie gegen seinen Bauchnabel. Flugs half sich Parviz aus der Patsche: „Das haben die Engländer nicht!“
 
Der verschwundene Bauchnabel
Nach der Losung „man soll nicht übertreiben“, duschte sich Herr Fischer gewöhnlich einmal wöchentlich. Das ging bei ihm immer sehr rasch. Er seifte sich mit dem Waschlappen ein, und den Rest besorgte die Dusche. Er trocknete sich mit dem Badetuch und rieb sich dabei über den Schlemmerbauch.
 
„Halt!“ stutzte er, „da fehlt etwas.“ Tatsächlich fehlte bei ihm der Bauchnabel. „Seit wann?“ fragte er sich, als er verblüfft die leere Stelle zuerst mit dem Handspiegel, dann vor dem Wandspiegel beäugte. Alles, was er sah, war seine bleiche Bauchhaut: Der Nabel war und blieb verschwunden.
 
„Mensch ärgere dich nicht“, war eine weitere Lebensweisheit, die Herr Fischer befolgte. „In meinem Alter“, murmelte er in den Bart – er war Anfang 50 – „ist der Körper mit oder ohne Nabel längst kein Ausstellungsobjekt mehr. Niemand wird das Manko bemerken“, tröstete er sich und musste sogar lachen, als er sich erinnerte, als Kind diesen Körperteil „Bauchschnabel“ genannt zu haben, sehr zum Gaudium seiner Eltern. „Überhaupt, wer schaut schon den Leuten auf den Nabel“, beschloss er seinen Gedankengang und machte sich beruhigt auf den Arbeitsweg.
 
Erst am Ende dieses entdeckungsreichen Tages, als er ins Bett schlüpfte, wollte er bloss feststellen, ob seine Ehehälfte einen Nabel hatte. „Was machst du da?“ fragte sie ihn halb ungehalten, halb verwundert. „Nichts“, antwortete er und kehrte ihr den Rücken. Sie hatte ihren Nabel genau dort, wo er sein musste.
 
Das Nabel-Thema begann ihn mehr und mehr zu fesseln. Insgeheim missbilligte er, dass seine 16-jährige Tochter Erika, der Welt nicht nur eine Handbreit Bauch unter dem kurzen Trikot zeigte, sondern am Nabel erst noch ein Anhängsel trug. Zwar wusste er, dass heute Bauchnabel-Piercing gang und gäbe ist, aber dennoch … Eines Tages rügte er sie deswegen. „Du bist bloss neidisch, weil du keinen hast!“ antwortete sie schlagfertig. Herr Fischer erbleichte. Das Missverständnis klärte sich aber rasch, wie sie sagte: „Ich meine nicht den Nabel, sondern das da, den tollen Ring am Kettchen dort!“
 
„Hat Jesus einen Nabel gehabt oder nicht?“ fragte er sich am übernächsten Tag. „Schliesslich hat ja Maria unbefleckt empfangen.“ „Jesus“ und „Nabel“, darüber verweigerte ihm Google die Auskunft.
 
Besser war das Ergebnis unter dem Suchwort „Bauchtänzerin“. Diese exotischen Tänzerinnen schmücken ihren Nabel gern mit Halbedelsteinen, die beim Tanz schillern, gleissen und funkeln. Das wollte er sich fürs Leben gern einmal ansehen. Hin und wieder erscheinen Bauchtänzerinnen auf Tournee in der Stadt oder sie treten allabendlich in gewissen Bars auf. Besser in der Nachbarstadt, riet er sich, denn er wollte dabei nicht in seiner eigenen Stadt erwischt werden, des guten Rufs wegen.
 
Einmal in der Woche sang Herr Fischer als Bariton im Männerchor mit und sass nachher gern im Freundeskreis am Stammtisch im „Braunen Mutz“. Dort gelang es ihm eines Abends, geschickt das Thema Nabel ins Gespräch zu bringen.
 
„Man kann nicht unbedingt sagen, dass der Nabel den Körper ziert“, meinte Hermann, der Doktor. „Bald steht er wie ein Furunkel gebeult ab, bald ist er hässlich versenkt oder verschlitzt. Näbel  nehmen noch viele andere Formen an.“
 
„Wahrscheinlich hat jede Hebamme ihre Art, den Knoten zu schlaufen“, gab Fischer zu bedenken, was jedoch nur allseits Gelächter auslöste. „Das heisst bei uns ‚abnabeln’", verbesserte ihn Hermann wichtigtuerisch.
 
„Warum nicht einfach weg damit?“ beackerte Fischer sein Thema weiter. „Schliesslich gäbe das ein Bombengeschäft für Schönheitschirurgen …“
 
„Jetzt schuldet uns dein Nabel endlich eine Runde Bier“, schlug Ammann, der einflussreiche Gerichtsweibel, vor. Lieber eine Runde spendieren, dachte Fischer, statt zu beweisen, dass er nabellos war.
 
Jovial ging Hermann auf Fischers Frage ein: „Ich kenne einen, der das Zeug hätte, daraus ein Geschäft zu machen. Er plagt sich nicht wie ich mit Mandeln, Blinddarm und mehr und mehr auch mit Nabelentzündungen ab, letztere übrigens vom Nabel-Piercing verursacht – ein undankbares Geschäft und obendrein ein Unfug sondergleichen.“
 
Mit in der Runde war auch ein Zahnarzt, der seinen Kollegen gern hochnahm. „Das kann nur zu Komplikationen führen, wegen des ,Plexus solaris’ (Solarplexus, das Sonnengeflecht, eine Verdichtung der Nervenzellen im Bauchnabel-Bereich).“
 
Hermann parierte: „Köbi, ich wusste gar nicht, dass du medizinisch so bewandert bist.“
 
Inzwischen war es spät geworden und Fischers Runde Bier ausgetrunken. Der Sängerkreis verliess das Lokal. Fischer war es schnuppe, ob er einen Nabel oder keinen hatte. „Der wird wohl wieder nachwachsen“, tröstete er sich auf dem Heimweg.
 
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