Textatelier
BLOG vom: 30.12.2006

Olten (03): Verwehte der Möhlin-Jet die Herren von Ifenthal?

Autor: Walter Hess, Biberstein CH
 
Die Herren von Ifenthal sind mir bei der Nachbearbeitung unseres Besuches bei den beiden Wartburgen auf der Säli-Anhöhe südöstlich von Olten begegnet (Blog vom 29. Dezember 2006). Laut Werner Meyer in „Die Burgruine Alt-Wartburg im Kanton Aargau: Bericht über die Forschungen 1966/67“ („Burgen der Schweiz“, Band 8, Kantone Luzern und Aargau. Zürich 1982. S. 44−54) „ist davon auszugehen, dass die Herren von Ifenthal um 1200 die Alt- und um 1260 die Neu-Wartburg als Mittelpunkt einer kleinen Rodungsherrschaft auf Eigengut gegründet haben. Ihre Beziehung zum Dorf Ifenthal am Unteren Hauenstein ist unklar, und die Echtheit von Urkunden, in denen Vertreter der Familie bereits ab 1145 aufgeführt werden, wird angezweifelt. Ab 1201 wird jedoch ein Werner von Ifenthal in Quellentexten fassbar. Offenbar versuchte die Familie damals, sich aus der Abhängigkeit der Grafen von Frohburg (Froburg) zu lösen, von denen sie einige Lehen besass.“ 1274 wurde laut dieser Quelle erstmals ein Ritter von Ifenthal ausdrücklich als Herr der Wartburgen genannt, und zwar „Johannes von Ifenthal, miles dictus de Wartberg“. Die Familie habe es geschickt verstanden, als Dienstleute verschiedener starker Hochadelsgeschlechter aufzutreten und ihren Besitz durch systematische Zukäufe zu mehren.
 
Die Jura-Überwindung
Die (Doppel-)Gemeinde Hauenstein-Ifenthal SO (knapp 300 Einwohner, 680 m ü. M.) kannte ich vom Vorbeifahren (aus dem Baselbiet) flüchtig, vor allem die für ländliche Verhältnisse auffallend grosse Kirche St. Katharina an schöner Lage auf einem Plateau am Südhang des Ifleter Bergs ist mir aufgefallen. Und als wir am 26. Dezember 2006 hier unten im Aaretal unter einer Hochnebelglocke festsassen, beschlossen wir familienintern, uns ins Gebiet des Unteren Hauensteins zu begeben, immer in der Hoffnung, dem Nebel zu entfliehen und dort wandernd etwas für unsere Beweglichkeit tun zu können. Nach einer kurzen Fahrt durchs solothurnische Niederamt waren wir bald in Trimbach, das mit Olten verschmolzen ist, und wir befanden uns sogleich auf der Hauensteinroute, die nach meinem Empfinden beim Restaurant „Eisenbahn“ beginnt. Die gut ausgebaute Strasse führt von dort nicht allzu steil aufwärts und kommt bis ins Dorf Hauenstein mit einer einzigen Spitzkehre aus. Dadurch kann der recht steile Hang („Graben“) problemlos überwunden beziehungsweise grossräumig umfahren werden, wie man in der modernen Verkehrsterminologie sagen würde.
 
Der Untere Hauenstein einst
Doch diese Eleganz bei der Überwindung des Juras in diesem Gebiet trügt. In früheren Zeiten hatte man noch nicht die technischen Mittel, um durch weitschweifige Strassenverlängerungen das Überwinden von Höhenunterschieden zu vereinfachen, so dass am Unteren Hauenstein der Kettenjura in einem steilen Anstieg bewältigt werden musste. Manchmal benutzte man zu diesem Zwecke während der trockenen Zeiten die Bachbetten. So sind zum Beispiel auf der Nordseite dieses Juraübergangs bei Läufelfingen BL (Bezirk Sissach) noch Wegspuren (Karrengeleise) im Homburgerbach zu erkennen, oder aber man stieg an Engnissen vorbei auf das Plateau, wo immer das möglich war.
 
Beim felsigen Rüteli, wo die direkte Verbindung zwischen Trimbach und dem Dorf Hauenstein durchführt und das jetzt durch die erwähnte Strasse in einer 2 x rund 1 km langen Haarnadel umfahren wird, gibt es einen Felsdurchbruch mit starkem Gefälle. Hier mussten früher Haspel und Seilwinden eingesetzt werden, um schwer beladene Fahrzeuge über die kritischen Stellen zu bringen (Quelle: „Pässe. Brücken. Pilgerpfade. Historische Verkehrswege der Schweiz“ von Max Mittler, Artemis Verlag, Zürich 1988). Der Name Hauenstein ist vom mittelhochdeutschen houwen = in Fels gehauen abgeleitet. Das Entfernen von Fels war damals noch eine mühsame Handarbeit; heute werden schwere Baumaschinen mit jedem Hindernis fertig.
 
In der Mitte des 12. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts haben die Grafen von Froburg dieses Gebiet im solothurnischen Bezirk Gösgen beherrscht. Denn 1263 sollen die eingangs erwähnten Herren von Ifenthal ihren angestammten Besitz im Raume Ifenthal an die Herren von Eptingen (hinter dem Ifleter Berg) abgegeben haben. Im 15. Jahrhundert starben die beiden Linien der Ifenthaler aus. 1458 erwarb Solothurn die Vogtei Gösgen und damit auch die niedere Gerichtsbarkeit dort oben in Hauenstein. Noch zwischen 1250 und 1263 sollen die Herren von Ifenthal eine Kirche mit dem Katharina-Patrozinium gestiftet haben, genau dort, wo die heutige Kirche neben einem kleinen Friedhof steht (Quelle: „Historisches Lexikon der Schweiz“).
 
Eine Strasse über den Unteren Hauenstein wurde 1220 im Zusammenhang mit dem Aufschwung des Verkehrs über den Gotthard gebaut, und der Verkehr, der bis dahin über den Erlimoospass im Osten oder die Challhöchi am Westende des Ifleter Bergs gewählt hatte, verlagerte sich. Ein weiterer Strassenbau erfolgte in den Jahren 1582 bis 1589; aber auch dieser Verkehrsweg war wenig komfortabel; schwere Wagen mussten, wie erwähnt, mit Ablassseilen gebremst werden. Die heutige verlängerte und damit weniger steile Strassenführung wurde 1827/29 gewählt.
 
Die Froburger – eine Übergangsdynastie
Die Froburger waren es, die die beiden Hauensteinpässe lange Zeit beherrschten und auch dadurch zu Reichtum kamen. Sie führten einen üppigen, prunkvollen Hofstaat mit Marschalken (Hofbeamte und militärische Anführer), Truchsessen (Verwaltungsbeamte), Kaplänen (dem Pfarrer untergeordnete Hilfsgeistliche) und Notare. Ihr Territorium war vortrefflich organisiert, bis um 1240 ihr Geschlecht zu zerfallen begann und die Froburger nach der Teilung ihres Besitzes nicht mehr imstande waren, nach aussen als Gesamthaus aufzutreten und ihr Besitztum im Griff zu behalten. Zudem verschlangen Waffendienste Unsummen; und diese Schwächezeichen nutzten die Habsburger brutal aus. Sie bedrängten die Froburger finanziell, so dass diese 1299 gezwungen waren, Zofingen, Aarburg und die hintere Wartburg, die längst eine Ruine ist, zu verkaufen. Am 19. Oktober 1367 erlosch das Haus Froburg mit dem Tod des Grafen Hermann, Abt zu St. Urban, nachdem dessen Bruder, Graf Johann, ein Jahr vorher ohne Nachkommen auf dem Schloss Waldenburg gestorben war.
 
Der Obere und der Untere Hauenstein
2 Hauensteinpässe sind es, die in Nord-Süd-Richtung den Jura queren, neben dem erwähnten Unteren Hauenstein (zwischen Trimbach und Läufelfingen−Buckten−Sissach) gibt es den Oberen Hauenstein zwischen Holderbank SO und dem Waldenburgertal. Die Autobahn A2 von Deutschland/Basel nach Chiasso/Italien bewältigt den Jura im Untergrund zwischen den beiden Hauenstein-Pässen und hat diese Übergänge in ihrer Bedeutung auf hintere Plätze verwiesen, was ihnen und der dortigen Erholungslandschaft gut tut.
 
Den überzuckerten Ifleter Berg hinan
Bei unserer Exkursion vom Stephanstag 2006 brannten in der Kirche Ifenthal einige Kerzen vor der vom Weihnachtsstern beleuchteten Krippenszene, und auf dem Friedhof daneben waren ebenfalls einige rote Windlichter angezündet worden. An diesem Kirchenstandort („Chilchenfeld“) hatte früher möglicherweise die Stammburg der edlen und wohltätigen Herren von Ifenthal gestanden; allerdings wurden keine Überreste gefunden.
 
Wir überquerten die Strasse, die zum Dorf Ifenthal bzw. Hauenstein führt und wählten den Weg hangwärts gegen den Ifleter Berg (Ifleterberg) durch den von Raureif verzuckerten Wald zum Chesselberg (blauer Wegweiser: „Kesselberg“). Meine Tochter Anita sprach entzückt von einem „Märliwald“. Auch nach meinem Empfinden ist der Raureif eine der schönsten Schmuckvarianten für die Landschaft, welche die Natur in ihrer unendlichen Phantasie bereithält. Fast alljährlich kann ich dieses Naturwunder im Jura geniessen, das mit Hilfe von Wind aus dem Wasserdampf durch Resublimation gegen den Wind entsteht. Die dichte Ansammlung nadelförmiger Eiskristalle wecken den Eindruck, es handle sich um besonders fein gehäkelte, zarte Schneedecken, die neue Formen, neue Strukturen schaffen und zauberhafte, flüchtige Bilder hervorrufen.
 
Diese Puderzuckerlandschaft liess uns die eisige Kälte vergessen, die sich allerdings beim weiteren Aufstieg nach dem Gebiet Chesselberg markant durch Windböen zurückmeldete – kein winterlicher Hauch, sondern eine aktive Tiefkühlung. Windstösse peitschten ins Gesicht, ein Gefühl, wie man sich am Morgen mit kaltem Wasser erfrischt, nur anhaltender. Wir bewegten uns zuerst innerhalb des Waldrandes, von dessen Bäumen es leicht zu schneien schien, und folgten der durchgehend weiss strukturierten Waldkulisse, die uns hinter einem zarten Nebelschleier von wechselnder Intensität begleitete und aus deren Wipfeln Eiskristalle zum Boden schwebten und ihn weiss färbten. Wir wanderten dort, wo die Erdgasleitung der Transgas AG, Zürich, unterirdisch den begehrten Energieträger über Länder hinweg befördert, über gefrorene Wiesen und Ackerschollen. Orangefarbene, nummerierte Schilder in Form eines kleinen Satteldachs auf Stangen („T 258“) erklären, was im Boden vergraben ist.
 
Gruss vom Möhlin-Jet
Als wir uns, ständig Höhe gewinnend, mit eiskalten Ohren und Nasen der Krete näherten, wechselte der Himmel vom Grau stellenweise zum Graublau. Ein ziemlich kräftiger Wind blies vom Fricktal her Nebelschwaden nach Nordosten hinüber – ich hoffte immer, es würden die letzten sein. Das gegenüberliegende Gebiet Buen war bereits von einigen Sonnenstrahlen erfasst, und die Raureiflandschaft erhielt eine zusätzliche Farbdimension, blühte im Licht nochmals auf.
 
Der Wind spielte mit dem Nebel, den er zu grossen, unförmigen Bällen zu formen und über den Grat zu blasen schien – er ging uns durch Mark und Bein. Anita und ihre Mutter hielten sich tapfer.
 
Thomas Bucheli sagte gleichentags im Rahmen des Wetterberichts am Schweizer Fernsehen, der Möhlin-Jet habe über den Jura geblasen. Dieser Jet (was so viel wie Düsenstrahl bedeutet) ist ein Ostwind aus dem Rheintal, der sich bildet, wenn Kaltluft aus dem Aaretal zusammen mit dem Aarewasser ins Rheintal und das Rheintal hinunter fliesst und dann den Nebel wegbläst. Normalerweise macht er sich in Richtung Burgund davon, aber wenn dort die Luft standhält oder entgegendrückt, kann er durchaus den Weg über niedrige Stellen im Jurahügelzug zurück ins Mittelland nehmen. So stelle ich es mir jedenfalls vor, und so muss es bei unserer Kältewanderung gewesen sein. Vielleicht sind auch die Herren von Ifenthal von diesem Winde verweht worden – oder es war einfach der Lauf der Zeit.
 
Der Möhlin-Jet sorgt insbesondere in den Wintermonaten dafür, dass der Raum Basel und Fricktal schönes Wetter haben, wenn auf der anderen Juraseite (am Jurasüdfuss) die zauberhaften, verträumten Dauer-Nebel verbreitet sind. Der Möhlin-Jet ist ein Starkwindsystem, das auf dem Möhliner Feld zwischen Möhlin und Wallbach AG besonders deutlich wahrgenommen werden kann – daher der Name. Aber laut meiner eigenen Wahrnehmung könnte man ihm gelegentlich ebenso gut Hausenstein-Jet sagen ... Der Name „Möhlin Jet“ tauchte in der so genannten Climod-Studie 1981 erstmals auf. Bei dieser Studie ging es um die Ermittlung der Einflüsse der KKW-Abwärme auf das regionale Klima (sie widerlegte die Befürchtungen). Der Möhlin-Jet wird darin als kräftiger winterlicher Ostwind beschrieben, in dem sich wegen der höheren Temperatur der Nebel auflöst.
 
Für mich war das Spiel des Windes mit dem Nebel eine ähnliche Sensation wie das Raureif-Erlebnis. Wir kehrten um, als sich eine grössere Wolke näherte, kamen nochmals an einem Einzelgehöft mit einem älteren, friedlichen Berner Sennenhund vorbei, der sich wenig um Wind und Wetter scherte, sondern sich auf dem Rücken wälzte und uns zum Mitspielen aufzufordern schien, wozu wir keine Lust hatten. Dann nahmen wir einen kurzen Augenschein im Dorf Hauenstein, das im Raureifschmuck dahindöste. Hinter Fenstern brannten Kerzen.
 
Beim Hinunterfahren ins Aaretal Richtung Olten luden sich die Batterien unseres Prius auf, so dass genügend Energie auch für die Heizung zur Verfügung stand. Mutter und Tochter waren allerdings immer noch durchgekühlt, als wir in Biberstein ankamen. Ein etwas wärmender Aaretal-Jet muss erst noch erfunden werden.
 
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