Textatelier
BLOG vom: 23.01.2007

Kochsalz- und Pfeffer-Degustation im Badener Amtshimmel

Autor: Walter Hess, Biberstein CH
 
Den klaren Beweis dafür, dass Kochsalz nicht einfach Salz ist und ganz unterschiedlich schmeckt, trat der Gastro-Journalist Patrick Zbinden aus Rüschlikon ZH im Amtshimmel, dem obersten Geschoss eines städtischen Verwaltungsgebäudes an der Rathausgasse in CH-5401 Baden, überzeugend an: Die Salzigkeit variiert, ebenso Bitterkeit und Mundgefühl. Währenddem sich das in der Deutschschweiz handelsübliche Jurasalz (Jura Sel®) bestenfalls fürs Teigwarenwasser eignet, sind die delikateren Salze wie etwa das (grobkörnige oder mittelfeine) Luisenhaller Tiefensalz aus Göttingen D, wo sich die einzig übrig gebliebene, noch arbeitende Pfannensiederei befindet, und das mittelkörnige Fleur de Sel (Le Guérandais®) aus dem französischen Guerande zum Nachwürzen ideal. Bei den erwähnten Salzblumen, die sich in der Wasseroberfläche in der Meersaline bilden und von Hand mit einem länglichen Schieber („lousse“) abgeschöpft werden, handelt es sich um eines der besten Meersalze zum Bestreuen von Speisen. Die Salzigkeit ist leicht bis mittel, das Mundgefühl nicht stechend. Die Algenart Dunaliella salina verleiht ihm ein unverkennbares Aroma. Man wird dieses Salz zum Bestreuen von Fischgerichten verwenden, währenddem das Luisenhaller Tiefensalz mit ähnlichen Eigenschaften zum Nachwürzen von Fleisch, Gemüse, Salaten und anderen Landprodukten angezeigt ist.
 
Salz ist ein Gewürz und Geschmacksverbesserer zugleich, und je nach Salzart, Körnung usf. vermittelt es den Speisen eigenwillige Noten: „Sie erleben beim Salz-Degustieren Welten“, sagte Zbinden, „genau dasselbe wie beim Puderzucker und Kristallzucker, die ebenfalls ganz unterschiedlich schmecken“ – wegen der verschiedenen Kristallformen. Und man könne Salz auch nach Jahrgängen beziehungsweise erdgeschichtlichen Zeitaltern degustieren – vom Präkambrium vor etwa 4,6 Milliarden Jahren bis zum Quartär vor bloss 2,3 Millionen Jahren, sagte Zbinden; auf ein einzelnes Jahr (wie beim Wein) kommt es da also nicht so sehr an ...
 
Salz kann man mit halbierten Cherrytomaten degustieren, die im vorliegenden Fall unreif und geschmacksarm waren; im irdischen Bereich ausserhalb des Amtshimmels herrschte in der vorangegangenen Reifephase offenbar ein Sonnenmangel.
 
Terra Madre
Die Exkursion in die Welt des Salzes fand im Anschluss an die Mitgliederversammlung der Vereinigung Slow Food Aargau/Solothurn unter der angenehmen Leitung der Co-Präsidenten Ursula Haller und Giuseppe Domenicioni statt. Man erfuhr, dass es in der Schweiz in 16 Conviven (Tafelgruppen, Sektionen) etwa 2000 Mitglieder gibt, die sich im Rahmen des Terra-Madre-Projekts gegen die Standardisierung der Ernährung und damit des Geschmacks einsetzen. Weltweit ist die Vereinigung in etwa 150 Ländern präsent, und sie führt Produzenten, Köche, Forschungseinrichtungen, Vertriebsorganisationen und Konsumenten zusammen, denen die vereinheitlichende, rein auf Geschäftemachereien ausgerichtete neoliberale Globalisierung mit ihren Kulturverlusten und Vereinheitlichungstendenzen derart auf den Wecker geht, dass sie mithelfen möchten, dass deren Zeit endlich abläuft.
 
Aus diesem Grunde werden Kleinproduzenten, die noch einen Bezug zur Mutter Erde haben, unterstützt. Sie sollen eine Existenz haben, und ihre individuellen Produkte sollten nicht durch Massenware überlagert werden.
 
Persönliche Weine
Bei verschiedenen Degustationen rund um die Mitgliederversammlung in Baden AG erlebte man den Wert des kunst- und liebevoll Produzierten am 20. Januar 2007 nicht allein beim Speisesalz, sondern auch beim Wein und beim Olivenöl. So war für mich der Barrique-Chardonnay aus dem Rebgut Goldwand von Michael Wetzel an der Badstrasse 50 CH-5408-Ennetbaden eine Offenbarung. Dieser traditionsbewusste Weinbaubetrieb lässt sogar Holzfässer bei den letzten einheimischen Küfern – es gibt in der Schweiz noch etwa deren 2 – aus geeigneten, astarmen Eichenbäumen („Fasseichen“) aus dem Juragebiet anfertigen. Zu diesem exklusiven Wein wurden Parmesancrackers mit grünem Pfeffer (150 g Mehl, 180 g kaltes Wasser, 100 g Parmesan, 1 EL gehackter, eingelegter grüner Pfeffer, kneten, formen und 20 bis 25 Minuten backen) genossen.
 
Eine Apéro-Neuentdeckung war für mich übrigens ein Samendip aus leicht angerösteten 4 EL Sesam, 2 EL Koriander, 1 ½ EL Kreuzkümmel, 25 g Haselnuss (geröstet und zerstossen), 1 EL Fleur de Sel und ½ TL schwarzer Pfeffer, alles gut zerstossen und vermischt. Man taucht dann einen Teil einer Baguette-Scheibe in ein gutes (z. B. palästinensisches) Olivenöl und bestreut das ölgetränkte Brot mit etwas vom Samendip und geniesst dieses geschmackliche Fest zum Wein.
 
Salz, Öl und Wein passen sehr gut zusammen. Und man kann damit selbstverständlich beliebig variieren. Salzspezialitäten gibt es etwa bei H. Schwarzenbach, Kolonialwaren, Münstergasse 19, CH-8001 Zürich (www.schwarzenbach.ch) oder im Salzladen der Schweizer Rheinsalinen in Schweizerhalle bei CH-4133 Pratteln 1 zu kaufen (www.salzladen.ch). Ausser den erwähnten Sorten findet sich dort auch andere Sorten wie (bei Schwarzenbach) das Trüffelsalz Casina Rossa (Italien), eine aromatisierte und damit schmackhafte Salzkreation, die vielleicht Anregungen gibt, eigene Haussalze herzustellen.
 
Umgang mit Salz
Patrick Zbinden vermittelte auch verschiedene Tips zur Anwendung von Salz. So sollten Saucen und Suppen erst am Schluss der Kochzeit gesalzen werden, weil sonst das (reduzierte) Endkonzentrat oft übersalzen ist – Wasser verdunstet, aber Salz nicht. Fleischmarinaden sollten nie gesalzen werden, und auch Fleisch sollte erst am Ende der Garzeit das nötige (und richtige) Salz erhalten. Auch zum Rührei gibt man das Salz erst am Schluss, damit die Eimasse nicht wässrig wird. Beim Spiegelei gehört das Salz ausschliesslich aufs Eiweiss und nicht etwa auf den Spiegel, weil dieser sonst fleckig, trübe würde (und meines Erachtens ohnehin genügend Eigengeschmack hat). Eine Prise Salz lässt das Eiweiss beim Schlagen steifer werden.
 
Beim Garen von Hülsenfrüchten wie Linsen oder Kichererbsen gibt man das Salz erst am Ende zu, damit die Garzeit nicht verlängert wird. Beim Teigwarenkochen hat das Salz im Wasser kaum Einfluss auf die Kochzeit (auch wenn Salz im Wasser den Siedepunkt leicht erhöht). Maiskolben kocht man ohne Salz, weil die Körner sonst hart werden. Und beim Aufsetzen einer Fleischbouillon wird das Wasser niemals gesalzen, damit der Fleischgeschmack ungestört in die Bouillon abwandern kann.
 
Von Salzmühlen hält Patrick Zbinden wenig. Nur eine Salzmühle mit verstellbarem Mahlwerk bringt einen wirklichen Nutzen; sie ermöglicht, die Körnung zu variieren. Im Übrigen verwenden auch Köche vorgemahlenes Salz in 2 oder 3 verschiedenen Körnungen.
 
Eine Pfeffer-Lektion
Die rund 30 Slow-Food-Teilnehmer erhielten von Zbinden auch eine Lektion über „Pfeffer in der Küche“. Beim Einsatz von Pfeffer, um den ja wohl niemand herum kommt, haben Mühlen eine wichtige Funktion. Gute Pfeffermühlen haben einen Knopf, der eine gute Feineinstellung der Körnung garantiert. Er sitzt allerdings häufig auf dem Kopf der Mühle, was sich deshalb als Nachteil erweisen kann, weil er beim Drehen des Mahlwerks leicht verstellt wird. Man kann dieses Problem ausschalten, indem man den Kopf der Mühle fest in der rechten Hand hält und nicht ihn, sondern den Mühlenkörper dreht. Das spart zudem Kraft beim Drehen.
 
Pfeffer sollte immer im letzten Moment gemahlen oder im Mörser zerstossen werden, denn gemahlener Pfeffer verliert sein Aroma schnell. Grundsätzlich verwendet man weissen Pfeffer für helle und schwarzen Pfeffer für dunkelfarbige Speisen. Süssspeisen und Obst wie Früchtebrot, Lebkuchen, Erdbeeren, in Butter gebratene Ananasscheiben, Konfitüren und Fruchtgelees kann man mit weissem oder schwarzem Pfeffer verfeinern.
 
Pfeffer harmoniert besonders gut mit Basilikum, Ingwer, Kardamom, Knoblauch, Kokosmilch, Koriander, Kreuzkümmel, Kurkuma, Limetten, Muskat, Nelken, Rosmarin, Thymian, Zimt und Zitronen.
 
Wie Salz nicht gleich Salz ist, so ist Pfeffer nicht gleich Pfeffer. Malabar-Pfeffer (Piper nigrum, gewöhnlicher Pfeffer) ist fruchtig-würzig und erinnert etwas an Piment. Brasil-Pfeffer lässt an Muskat und Pfeifentabak denken (und gewinnt in den rauchfreien Zonen der Restaurants an Bedeutung ...), Sarawak-Pfeffer ist fruchtig mit einem Hauch von Kardamom und Nelke, vietnamesischer Lampong bringt einen Hauch Vanille- und Curryduft ins Gericht. Der Kamerun-Pfeffer ist nussig. Ein vorgemahlener McCormick-Pfeffer erwies sich als geschmackliche Pleite. Es lohnt sich schon, etwas wählerisch zu sein.
 
Wein-Beurteilungen
Das gilt auch hinsichtlich der Weine, wie sie zu einem Essen im Zeichen der Vielfalt im Restaurant Roter Turm an der Rathausgasse in Baden blind degustiert wurden. Dem Humagne Rouge (2005) von Maurice Zufferey, Muraz-sur-Sierre VS, haben wir meines Erachtens Unrecht angetan (ich auch): das ist eben ein ungehobelter, rustikaler Wein. Er widersetzt sich (meines Erachtens positiv) dem gängigen Anforderungsprofil hinsichtlich Harmonie und Ausgewogenheit, das man sich bei Degustationen im Verlaufe der Jahre eingeprägt hat. Man muss sich schon bemühen, auch das Besondere wieder hochzuhalten. Ich verspreche, das in Zukunft noch vermehrt zu tun.
 
Ein Pinot noir (2005) aus dem Schlossgut Bachtobel von Hans Ulrich Kesselring in Ottoberg hielt nicht ganz, was der stolze Preis (26 CHF pro Flasche) versprach; es fehlte da etwas an Volumen. Auch der Merlot (2003) von La Brüga, CH-6943 Vera, schaffte es nicht auf die vordersten Plätze, wo sich der „Gamaret du Domain Les Perrières“ (2004) von Brigitte und Bernard Rochaix in CH-1242 Peissy GE und „Stickel’s Syrah“, Barrique (2005), von Hermann, vulgo: Stickel, Schwarzenbach aus CH-8706 Meilen ZH am Zürichsee fest etabliert hatten: wuchtige, runde, harmonische Weine, kräftig in der Farbe und anhaltend im Abgang. Da hinsichtlich der Weinsorten sozusagen Kraut und Rüben miteinander verglichen wurden, war diese Blinddegustation nicht repräsentativ; sie vermittelte höchstens einen Eindruck von den Empfindungen der Geniesser.
 
Das 5-Gang-Essen bei gedämpftem, etwas neonlastigem Licht war ebenfalls eher eine Auslegeordnung von teilweise wenig Bekanntem denn eine stringente Komposition: 1. Pfefferrösti mit hausgebeiztem Gravlax (Gravlachs) aus Norwegen mit Crème fraîche und Kapernäpfeln; 2. Stachis (Knollenziest, Crosne du Japon) und Feldsalat mit Rosa-Pfeffer-Sauce (Rosapfeffer ist ein „falscher“ Pfeffer, das heisst er gehört nicht zur engeren Pfeffer-Familie), 3. Topinambursuppe mit Chili-Brombeerschaum, 4. Gebratene Tafelente (laut Speisekarte, die aber eine Barbari-Ente aus Frankreich war, eine Kreuzung zwischen einer südamerikanischen Wildgans und einer Hausente) mit Rotwein-Pfeffersauce, chinesischer Senfkohl und rotem Reis aus Madagaskar, alles in allem eine etwas gewagte Kombination; 5. Vanille-Pistazien-Eis mit schwarzem Pfeffer.
 
Es ging da offenbar darum, einen Eindruck von den unendlichen gastronomischen Möglichkeiten der Biodiversität zu vermitteln, für die sich Slow Food ja in verdienstvoller Weise einsetzt. Ich habe das jedenfalls so interpretiert und war dementsprechend von all den neuen Erkenntnissen, die ich mitnehmen durfte, vollauf befriedigt, als wir den Heimweg antraten.
 
Um Mitternacht in der Nacht zum Sonntag, 21. Januar 2007, war die Badener Altstadt noch beleuchtet und belebt; eine laue Nacht hielt vor allem junge Leute vom frühen Untertauchen unter die Bettdecke ab. Die sprichwörtliche Badener Lebens- und Festfreude kann also auch an einem gewöhnlichen Wochenende in der Praxis beobachtet werden. Deshalb dominiert hier wahrscheinlich auch der Amtshimmel mit seinem Holzdachstuhl über den Amtsschimmel. Nur eingeborene Badener können beurteilen, ob dem wirklich so ist.
 
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