Textatelier
BLOG vom: 22.03.2007

Sodhubel Safenwil: Friedensengel mit Löwe bei Rütlischwur

Autor: Walter Hess, Biberstein CH
 
Zu den Top-10-Destinationen für Ausflügler gehört Safenwil (Bezirk Zofingen, Aargau) zweifellos nicht. Doch manchmal reizt es mich, eine Gemeinde, die den touristischen Dornröschenschlaf schläft, zu ergründen, immer in der Hoffnung, auf Überraschungen zu stossen. Nach Safenwil gelockt hat mich ein Bericht in der „Aargauer Zeitung“ (AZ) vom 19. Februar 2007, wonach im Nebengebäude des Safenwiler Färbiladens ein „Paradies für Leseratten“ entstanden sei, wie Emiliana Gutzwiller in ihrem einfühlsamen Bericht festhielt. Jedes Buch werde zu einer doppelten Spende, weil mit dem Erlös die internationale Aktion „Ein Dorf für Indien“ unterstützt wird.
 
Es kam mir gelegen, dass man dort Bücher nicht allein beziehen, sondern auch abgeben kann, weil meine bibliothekarischen Platzverhältnisse es erfordern, dass pro gekauftes Buch mindestens ein anderes von ähnlichem Volumen Platz machen muss. Die Bücher kosten im Safenwiler Umschlagplatz 5 CHF pro Stück, Taschenbücher 3,5 CHF. Das Geld wirft man in einen Kasten ein, auf dem „Kasse“ steht. Ich suche im Moment gerade rare, alte Beschreibungen von Landschaften in der Schweiz und Umgebung mit kulturhistorischen Bezügen, die mir helfen, meine Ausflüge nachzubearbeiten.
 
Safenwiler Geschichte
Ich schleppte dann einen Wälzer über die berühmten Glasmalereien im Kloster-Kreuzgang Wettingen mit. Aber leider fand ich nichts über Safenwil, so dass ich bei der Informationstafel an der Dorfstrasse anhielt und mich dort über die Safenwiler Geschichte ins Bild setzte. Zwischen parkierten Autos hindurch konnte ich einen Blick in den Anschlagkasten werfen. Ich erfuhr dabei, dass die noch vorhandenen schriftlichen Zeugnisse über Safenwil im Jahr 893 mit der Erwähnung von „Sabenewilare“ in der Zinsrolle der Abtei Zürich einsetzen. Ein weiteres Dokument aus dem Jahr 1292 berichtet von den Freien von Belp, die sich vermutlich in der Burg Scherenberg, also auf dem Sodhubel, versteckt hielten; vom Sodhubel ist weiter unten noch die Rede.
 
Nach deren Rückkehr ins Burgund erhielt Heinrich von Iffental das Gebiet des heutigen Dorfs Safenwil zugesprochen. Und dann gibt es noch eine jüngere Urkunde vom 27. Januar 1361, wonach Johannes von Iffental, genannt „von Scherenberg“, die Burg Scherenberg und die Vogtei zu beiden Dörfern (Ober- und Untersafenwil) zu Lehen (leihweise) bekam. Das weist bereits auf die dezentrale Struktur des aus verschiedenen Teilen zusammengesetzten Orts am Striegel (zwischen dem Uerkental und Wiggertal) hin. Die Streusiedlung wird durch die Autobahn A1 und die 1877 eröffnete Eisenbahnlinie (ehemalige Nationalbahnlinie Winterthur–Zofingen) deutlich getrennt. Südlich dieser Hauptverkehrsachsen liegen die Ortsteile Striegel, Dorf und Dörfli, im Norden die Ortsteile Fritz, Hard und Holz – insgesamt zählt Safenwil etwa 3100 Einwohner.
 
Der Striegel (Strigel, 506 m ü. M.) gehört übrigens zu den Aargauer Pässen, die man nur als ein solcher erkennt, wenn man weiss, dass das ein Pass ist – und nicht etwa wegen Wintersperren ... Der Striegel gehörte in den Zeiten, als es noch keine Autobahnen gab, zu den wichtigen Verbindungen zwischen der Kantonshauptstadt Aarau und Zofingen; heute hat die A1 dem Striegel den Rang abgelaufen.
 
Jedenfalls gab es früher viele Streitereien wegen Rechtsansprüchen auf Safenwil; insbesondere lagen sich die Berner und Solothurner in den Haaren. 1458 kaufte die Stadt Solothurn die Burg im nahen Gösgen (womit nicht etwa der KKW-Kühlturm gemeint ist) und die dazu gehörenden Dörfer, einschliesslich Safenwil. Alles neu wurde im März 1798, als die Franzosen die Schweiz erobert und die „Gnädigen Herren von Bern“ entmachteten. Die Helvetische Republik wurde ausgerufen, und seit 1803 gehört Safenwil zum Kanton Aargau.
 
Geheimnisvolle Skulpturen
Beim Studium solcher geschichtlicher Fakten stiess ich auf eine Fotografie mit den Sandsteinskulpturen auf dem Sodhubel. Selbstverständlich wollte ich diese 1:1 sehen. Am westlichen Dorfausgang, wenig oberhalb des Färbiladens, zweigte ich links von der Striegelstrasse ab und parkierte den Prius beim Schützenhaus, bei dem offenbar gelegentlich ein riesiger Schiessverkehr herrschen muss, wie aus der umfangreichen asphaltierten, leicht abfallenden Parkfläche zu schliessen ist. Ich folgte zu Fuss der mässig ansteigenden Hubelstrasse am Waldrand, die sich spiralförmig um den Sodhubel-Hügel windet. Die Mergelstrasse war offenbar mit einem Schneepflug ausgeebnet worden – wenn es schon an Schnee fehlt, wird eben der Strassenbelag gepflügt. Das Profil von Traktorrädern hatte sich in den Seitengraben eingetragen und stimmte auf die Skulpturen auf dem Sodhubel ein.
 
Die Landschaft im unteren Sodhubelteil erinnerte mich wegen seiner einem Kessel nachempfundenen Form an ein Creux-du-Van (im Val de Travers) im Kleinformat – allerdings fehlt oben der Felsenkranz. Nach etwa 10 Minuten Spaziergang erreichte ich, wo die Hügelköpfe sind, eine Holzstammbeige und einen mit einem Plastikband gesperrten Weg. Ich umschritt die Absperrung und fand wenige Meter später einen Wanderwegweiser, der mir bekannt gab, bis zu den Skulpturen seien es noch 100 m. Wo einst die Burg Scherenberg stand, sind nur noch wenig Fundament-Fragmente erhalten. Dort befindet sich eine offene Feuerstelle, flankiert von 2 wuchtigen, auf verschiedenen Seiten behauenen Sandsteinfelsen, die je nach Lage, Wind- und Regenrichtung unterschiedlich erhalten beziehungsweise verwittert sind: Tiere, Menschen und Symbole (ein Löwe mit Friedensengel, Gänselieschen und Rotkäppchen bis hin zum Rütlischwur, Pflanzenarrangements, Wappen und die Schweizer Fahne) sind dort aus den Felsen herausgeschält, sozusagen ein biblisch untermauerter märchenhafter Patriotismus. Im höheren Sandsteinhügel sind ein eingekerbter Weg und ein bald einmal aufgefüllter, wahrscheinlich nur noch knapp 2 m tiefer Sodbrunnenschacht-Oberteil zu finden, welch letzterer dem Sodhubel den Namen gegeben haben dürfte. Auch eine mit einem Eisentor abgeschlossene abfallende Höhle mit einem über 8 m tiefen Schacht an ihrem Ende findet sich dort ebenfalls. Und als ich vom höheren Hügel wieder zur Feuerstelle abstieg, erkannte ich im grossen behauenen Sandsteinblock ein etwas wehmütig dreinschauendes Gesicht, das die filigrane Arbeit überlagert. Eine Frage der Wahrnehmung.
 
Sauenwil
Was hat es mit diesen Skulpturen auf sich? Ich fand keine Erklärung, und das richterliche Verbot vom 15.8.2003 bei der Feuerstelle half mir auch nicht weiter: „Das Braten von Spanferkeln sowie vergleichbaren grossen Grilladen ist verboten.“ Zudem hatte ich nicht im Sinne gehabt, ein unschuldiges Schweinchen auf Feuer knusprig zu braten, was man mir bitte glauben mag.
 
Allerdings erinnerte ich mich noch, dass das Safenwiler Gemeindewappen (gemäss Blasonierung = offizieller Beschreibung) so aussieht: „In Blau weisser Eberkopf, überhöht von sechsstrahligem gelbem Stern.“ Das Wappen wurde 1811 erstmals auf einem Gemeindesiegel festgestellt. Infolgedessen muss diese Gemeinde eine besondere Affinität zu den liebenswürdigen und intelligenten Schweinen haben. Aber wahrscheinlich ist diese Beziehung bloss auf einen mittelalterlichen Irrtum zurückzuführen. Historiker vermuten nämlich, dass man damals mit den keltischen Eigennamen und Wörtern nicht ganz zurecht kam. Nach ihrer Ansicht ist das Wappen mit dem Eberkopf von „Sauenwil“ abgeleitet. Der Fehler dürfte darauf zurückzuführen sein, dass früher „f“ und „v“ oft wechselten und anderseits „u“ und „v“ gleich aussahen – das war ein zusätzlicher Nährboden für Verwechslungen.
 
Auf dem Rückweg zum Schützenhaus über den Bodenweg schlug mir bereits im verfichteten Stangenwald ein Geruch entgegen, den ich eher mit einem Schweinemastbetrieb denn mit einer feuchten Walderde in Verbindung brachte. Das stellte alle meine Schweine-Theorien wieder etwas in Frage; der Leser mag dafür bitte Verständnis haben.
 
Ich begab mich an jenem Exkursionstag (16. März 2007) also ins Gemeindehaus; denn Gemeindekanzleien sind unerschöpfliche Informationsquellen. Die nette Gemeindeschreiberin drückte mir den Ortsprospekt „Safenwil“ in die Hand und verwies mich in Bezug auf meine Fragen nach der Sodhubel-Geschichte an Ernst Zimmerli, Dorfstrasse 33, und druckte mir noch freundlicherweise dessen Telefonnummer aus. Die Kanzlerin schenkte mir auch noch die neueste Ausgabe der Dorfzeitung „Striegel-Nachrichten“ (Februar 2007), in der Ernst Zimmerli, Inhaber eines Abbruchbetriebs, für sein über 20-jähriges kulturelles Wirken (im „Kulturchreis Sodhubel“) auch für das Museum im Dorf geehrt wird.
 
Hans Widmer
Ich telefonierte dann mit dem hilfsbereiten Herrn Zimmerli (78), der mir Unterlagen über die Sodhubel-Skulpturen zukommen lassen wollte, zumal sich selbst das allwissende Internet bisher darüber ausschweigt; dieser Bericht dürfte also eine Weltpremiere sein. Prompt kam Post aus Safenwil: die Fotokopie eines Separatdrucks aus der Heimatkunde des Wiggertals 1993 (Heft 51): „Steinskulpturen bei Sodhubel in Safenwil“ von Ernst Lüscher. Darin erwähnt der Autor das Vorhandensein einer Burg auf dem Schlosshubel (Schlossweyden, Schlossboden), von der nur noch ein kurzes Mauerstück sichtbar ist. Rund um den Sandsteinhügel wurden von den Leuten im 17. und 18. Jahrhundert Steine abgetragen und für Bauzwecke genutzt.
 
Und die dabei entstandenen senkrecht abfallenden Sandsteinflächen wurden vom Safenwiler Bürger Hans Widmer (4.9.1887–23.2.1964, Sohn eines Bäckers aus Schönenwerd) genutzt, um Skulpturen hineinzuhauen, wie ich Ernst Lüschers Schrift entnehme. Darin wird Widmer als ein „unauffälliger, zurückgezogener Mann von grüblerischer, merkwürdiger Natur und einem schwärmerischen Drang zum Weltverbesserer“ beschrieben. Er war in Schönenwerd SO aufgewachsen, absolvierte eine Gärtnerlehre in Kilchberg ZH. Dann wirkte er als Mechaniker bei seinem Bruder Emil Widmer, der eine kleine Fabrik für Schuhschnallen in Schönenwerd betrieb, ein Zulieferer für die Bally-Werke.
 
Hans Widmer erlitt beim Turnen am „Pferd“ eine Rückenverletzung und litt in der Folge starke Schmerzen. Er suchte nach einem neuen Lebenssinn und wirkte als Prediger der Zeugen Jehovas, und aus diesen Kreisen stammte auch seine Frau Amalie Hilfiker (1890–1967), eine herrscherische und gleichzeitig wohltätige Frau mit guter Einkommenslage (sie arbeitete als Prokuristin in der Brauerei Senn in Zofingen), so dass ihr Mann für missionarische Tätigkeiten frei wurde. Dabei lernte er im Hirzen in Safenwil einen Kunstschreiner und Holzschnitzer namens Reck kennen, der dem umherziehenden Hans Widmer das Schnitzen beibrachte. Zuerst wandte dieser seine Kunst an den Seitenflächen grosser Seifenstücke an, und in den Jahren 1939 bis 1945 meisselte er Figuren von Fabeltieren, Menschen und Schweizer Symbolen in die weichen Sandsteinfelsen auf dem Sodhubel, die sich dafür ausgezeichnet eigneten. Hier brachte er seine Gefühle zum Ausdruck. Und für Regenwetter hatte er einen Unterstand eingerichtet, damit er seine Arbeiten auch bei schwierigen Wetterlagen weiterführen konnte. Er liess von seinen Skulpturen Postkarten anfertigen, verkaufte diese und hatte dadurch kleine Einnahmen.
 
Hans Widmer betätigte sich auch als Möbelschnitzer: Tische, Holzleuchter, Uhren, Teller, Schatullen verzierte er. Einige seiner Werke sind im Safenwiler Dorfmuseum ausgestellt. Der ehemalige Konservator des Aargauer Kunsthauses, Heiny Widmer, ordnete die Reliefs auf dem Sodhubel irgendwo zwischen „Sculptures naives“ und frühromantischen Plastiken ein und attestierte seinem Namensvetter netterweise ein „echtes plastisches Empfinden“.
 
Hans Widmer wollte aus den gesellschaftlichen Sachzwängen ausbrechen und ein ewiges Werk in den Molasse-Sandstein meisseln. Doch daran nagt der Zahn der Zeit in Form der Verwitterung. Und so war denn all diese Liebesmüh’ vielleicht nichts Weiteres als eine vergängliche Naturinszenierung.
 
Karl Barth
So weit die Skulpturen-Geschichte. Doch damit sind noch nicht alle Safenwiler Spezialitäten abgetragen: Im alten Pfarrhaus (Haus Fellenberg) mit seinem vorspringenden Krüppelwalmdach unter der 1867 eingeweihten Pfarrkirche residierte von 1911 bis 1921 der bekannte reformierte Theologe Karl Barth (1886–1968), der als Pfarrer von Safenwil tätig war. Hier schrieb er in seiner Zeit des Meditierens und Reifens seinen „Kommentar zum Römerbrief“ von Paulus, der auch in Deutschland viel Beachtung fand. Barth ortete darin „lapidare Dinge in ein paar verworrenen Brocken“. Und Barth wurde Honorarprofessor in Göttigen. Er gründete später die „Bekennende Kirche“ (BK), die auf das Wort Gottes ausgerichtet war und kirchliche Weisheiten ablehnte.
 
Weitere bedeutende Bauten
Heute dient das 1828 erbaute und 1979 renovierte Karl-Barth-Haus als Kirchgemeindehaus; im rückwärtigen Teil wurde nach modernen architektonischen Kriterien ein Anbau hingeklotzt, den neuen Bedürfnissen entsprechend. Und noch anderes hat Safenwil zu bieten: Im neuen „Kunstführer durch die Schweiz“ (Band 1) gibt es Hinweise auf das Bauernhaus (1826) an der Bärengasse, die ehemalige Mühle als breit gelagerter Ründeriegelbau (1791) am Mühlerain, auf das Fabrikgebäude (1313–1315) von Heinrich Meili-Wapf, das Oberstufenschulhaus (1999) und den gediegenen spätgotischen Mansarddachbau (1820–22, das Stammhaus der Textilfabrikantenfamilie Hüssy an der Striegelstrasse und das Châlet Jurablick (1865), ein früher Vertreter des Schweizer Holzstils.
 
Am Rande von Safenwil ist auch der grosse Autowagenpark der Emil Frey AG, und fährt man etwas talabwärts, erreicht man Kölliken, wo die Sondermülldeponie (SMDK) gerade mit riesigen Bögen (Spannweiten: 90 und 150 m) festzeltartig überdacht wird, bevor die archäologischen Grabarbeiten beginnen. So setzt sich jede Zeit ihre Denkmäler. Die Funde in der Kölliker Deponie werden wohl kaum Käufer finden. Und nicht einmal Schweinen kann man sie verfüttern.
 
Hinweis
Das Ortsmuseum Safenwil an der Dorfstrasse 2, das seit dem 16. Mai 1992 besteht, ist jeden 2. Sonntag im Monat von 10 bis 12 Uhr geöffnet.
 
Hinweis auf weitere Ausflugsberichte von Walter Hess
Hinweis auf weitere Blogs von Scholz Heinz
Ein bärenstarkes Museum in Gersbach
Barfuss über die Alpen
Foto-Blog: Auf geht`s zur Hohen Möhr
Foto-Blog: Vom Kleinen Rhein zum Altrhein
Fotoblog über den Schönauer Philosophenweg
Rote Bete (Rande), eines der gesündesten Gemüse
Hermann-Löns-Grab im Wacholderhain
Lüneburger Heide: Salzsau und Heidschnucken
Kutschenmuseum in Wiechs ist ein Schmuckstück
Canna verleihen einen Hauch karibisches Flair
Artenreiche Streuobstwiesen stark gefährdet
Liebe zu den Kräutern in die Wiege gelegt
Eine Hütte mit Fleischsuppe im Namen
Rätsel um die Russenbänke in Präg gelöst
Altes Giftbuch entdeckt – Wurde Mozart vergiftet?