Textatelier
BLOG vom: 23.03.2007

Driving Center Veltheim AG: Wo das Schleudern gefragt ist

Autor: Walter Hess, Biberstein CH
 
Am Montag, 19. März 2007, zeichneten sich geradezu ideale Verhältnisse ab: Schnee und Unter-Null-Temperaturen waren vorhergesagt. Und genau das schienen mir zweckmässige Verhältnisse zum Besuch eines Autofahrkurses mit Schleudereinlagen im Verkehrssicherheitszentrum Veltheim AG zu sein. Für den nächsten Tag war gerade noch ein Last-Minute-Angebot (200 statt 290 CHF) zu haben, und ich gab Gas, meldete mich telefonisch an.
 
Meinen Fahrausweis habe ich seit fast 50 Jahren (seit dem 13.12.1958), und in dieser langen Zeit hatte ich manchmal mehr Verstand als Glück und dann wieder mehr Glück als Verstand. Jedenfalls hatte ich noch nie einen Unfall, und ein paar Beulen im Kofferraumbereich meines ehemaligen Mercedes 190E rührten von schweren Steinen her, die innerhalb des Kofferraums in Kurven ihre Auslaufmöglichkeiten testeten. Inzwischen habe ich mir den Toyota Prius zugelegt, einen der wenigen vernünftig konstruierten Mittelklassewagen, was den Umgang mit der Energie anbelangt, indem er die Abwärts- und Bremsenergie nutzt und die Kolben in den Zylindern automatisch ruhen lässt, wenn das Auto still steht. Inzwischen sind ja die Zustände auf unserem Strassennetz meistens so, dass das beste Auto jenes ist, das beim Staufahren den höchsten Komfort bietet. Die Freude am Rasen (auf Strassen und nicht im Garten) machen einem ja bereits die unzähligen Blechpolizisten genannten Radarfallen, die keinen Geburtenrückgang kennen und sich wie Kaninchen vermehren, zunichte. Allein auf der Autobahn Lausanne–Genf soll es ihrer 11 geben, ohne dass sie optisch störend in Erscheinung treten. So kann man sich auf ein und derselben Fahrt gleich mehrere Bussen sichern.
 
Da der Prius wie alle moderneren Autos mit einem ABS (Antiblockiersystem) ausgerüstet ist, schien es mir angezeigt zu sein, einmal sein Fahrverhalten in schwierigen Situationen kennen zu lernen – die entsprechenden Erfahrungen wollte ich nicht erst im Ernstfall sammeln. Die Pisten des Driving Centers in Veltheim (Motto: „Mehr Sicherheit – mehr Fahrspass“) schienen mir der idealere Ort zu sein.
 
Spasskultur beiseite: Am Dienstagmorgen, 20. März 2007, um 9.45 Uhr versammelten sich 10 Personen im Kursraum 3, worunter eine jüngere Dame und ich selber. Dann erschien Ruedi Schwarz, der Kursleiter, forschen Schrittes, ein gross gewachsener Draufgängertyp in den reiferen Jahren mit kurz geschorenem Haar, der ebenso als Bodyguard oder Rausschmeisser eine gute Figur machen würde. Er gab einleitend bekannt, er habe als Autofahrer Freude daran, wenn es Schnee oder sogar Eis habe und alles so schön rutsche. Ich fühlte mich bestätigt, und er war mir sogleich sympathisch. Es gehe darum, so sagte er bei überschäumendem Tatendrang, die Möglichkeiten und Grenzen von Fahrzeug und Fahrer zu erfahren. Wobei der Mensch der limitierende Faktor sei, der nur etwa 35 bis 40 % dessen ausnütze, was das Fahrzeug zu bieten habe. Also gelte es, den Verkehrssinn für kritische Situationen zu schärfen und mit der modernen Technik vernünftig umzugehen – um Gefahren zu erkennen, zu vermeiden und zu bewältigen. Ich hatte das Gefühl, hier am richtigen Ort zu sein.
 
Tatsächlich haben elektronische Fahrhilfen wie die Fahrdynamikregelung vieles von dem, was ich bei meinen damaligen Fahrstunden in den 1950er-Jahren in Basel gelernt habe, über den Haufen geworfen. Beim Bremsen musste früher immer dem Schleuderverhalten Rechnung getragen werden, und gelegentlich musste man den blockierten Rädern durch einen befristeten Rückzug vom Bremspedal wieder eine Möglichkeit geben, etwas Tritt zu fassen. Inzwischen besorgen das elektronische Systeme weit einfühlsamer. Wir Kursteilnehmer konnten das zufällig auf der Übungspiste beobachten, wo gleichentags Chauffeure der Zürcher Verkehrsbetriebe (VBZ) ihre riesigen Busse, worunter besonders lange Gelenkbusse, auf einer glitschigen Piste mit Vollbremsungen zum Stehen bringen mussten. Die Busse hielten die Spur, die Räder drehten sich bis auf die letzten 1 bis 2 Meter; erst dann blockierten sie. Das war ein guter Anschauungsunterricht für das, was ein Antiblockiersystem (ABS) zu leisten vermag. Es sei für die gelandeten Flugzeuge entwickelt worden, liess ich mir sagen.
 
Der Prius ist mit einem solchen ABS mit elektronischer Bremskraftverteilung (EBD) und einem Bremsassistenten (BA) sowie einer Traktionskontrolle (TRC = Antriebsschlupfregelung) und Fahrzeugstabilitätskontrolle (VSC) ausgerüstet. Es ist ein Wunder, dass er (im Gegensatz zu mir) da bei so viel sich überlagernder Technik überhaupt noch draus kommt. Nach einer Theorielektion über das Untersteuern (wenn vorne die Haftung verloren geht) und das Übersteuern (wenn die Haftung hinten verloren ist) und das dabei nötige Bremsen (bei einer Untersteuerung) beziehungsweise des Gegenlenkens in Fahrtrichtung (bei der Übersteuerung) gaben wir dann den Sensoren, welche das Tempo jedes einzelnen Rades erfassen und miteinander vergleichen, endlich Gelegenheit, ihre Fähigkeiten im Härtetest einzusetzen. Es tönt etwas kompliziert, und das ist es ja auch.
 
Dabei muss ich noch vorausschicken, dass wir zuerst einmal das richtige Vollbremsen üben mussten. In einem mit Messgeräten ausstaffierten, feststehenden Testwagen mussten wir das Gas voll durchdrücken und uns dann beim Aufleuchten einer roten Lampe voll in die Bremse werfen. Meine Reaktionszeit war 0,44 Sekunden und die Bremskraft 73 kg, was rechnerisch 1 m mehr als einem trainierten Fahrer entsprach, sich als morgendliche Startoperation aber doch noch sehen lassen durfte.
 
Ich muss zugeben, dass ich noch einiger diesbezüglicher Übung und Überwindung bedurfte; denn irgendetwas stemmte sich mir entgegen, mit voller Wucht auf die Fussbremse zu treten. So habe ich früher beim Velofahren einige Handbremskabel zerrissen, und anschliessend hatte ich immer eine unterschwellige Angst, bei brutalen Bremsmanövern könnten die Bremskabel reissen. Solche Prägungen, die Sigmund Freud besser begründen könnte, behindern einen schon. Doch hatten wir im Fahrzentrum endlich Gelegenheit genug, das beherzte Bremsen ausgiebig zu üben. Wahrscheinlich würde ich nach alledem heute als talentierter, übereifriger Bremser bei Meisterschaften jeden Bobsleigh locker in die hintersten Ränge abbremsen, schon aus Sicherheitsgründen. Ich nehme entsprechende Angebote von Spitzensportvereinen, welche die Lust an der Langsamkeit entdecken wollen, gern entgegen.
 
Wir hatten unsere Sitze korrekt einzustellen: Die Beine müssen noch etwas geknickt (angewinkelt) sein und der Rücken sowie der Kopf müssen an der Rückenlehne bzw. Kopfstütze anliegen, so nahe wie möglich, und das Lenkrad muss auf beiden Seiten (9 und 3 Uhr) fest gefasst werden, ohne Imponiergehabe bitte). In engen Kurven führt die obere Hand das Lenkrad, während die untere dieses frühzeitig loslässt, um durch Übergreifen das Lenkrad erneut zu fassen und weiterzudrehen; die Rückführung erfolgt in umgekehrter Weise.
 
Die Praxis folgte der Theorie auf dem Fusse. Wir erhielten einen Empfänger für Ruedis Anweisungen ins eigene Auto und fuhren zuerst einmal hinter dem Rädelsführer in Schlangenlinien zwischen Pylonen (konischen Strassenmarkierungen) durch, um uns etwas aufzuwärmen, bei zunehmendem Tempo.
 
Die insgesamt 2,6 km langen Pisten in der alten Kalksteingrube im so genannten „Zirkus Veltheim“, den es seit 1977 gibt und von der Emil Frey AG und der Stiftung Schadensbekämpfung der Winterthur Versicherungen gesponsert ist, sind vielfältiger Natur. Sie sind mit konventionellem Asphalt, feinem Beton oder glitschigem Kunststoff versehen; bei Schleuderpisten können Bewässerungssysteme in Betrieb gesetzt werden, auch um den Pneuabrieb zu reduzieren. Im Eingangsbereich der Anlage frisst sich gerade wieder der Steinbruchbetrieb voran. Und überall stehen Messgeräte zur Ermittlung der Geschwindigkeit, des Lärms und des Kurvenverhaltens herum, und Schulungskameras filmen gelegentlich heikle Szenen.
 
Die meisten Übungen macht man im eigenen Auto; nur am Schluss erhält man ein Übungsfahrzeug mit hinten vollständig abgewetzten Reifen, die natürlich jedes ABS und dergleichen technische Hilfen weitgehend aushebeln. Sehr gute Pneus seien der wichtigste Bestandteil des Autos, hatte der Experte Ruedi erklärt, und zwar müssen es im Winter Winterpneus und im Sommer Sommerpneus sein; Ganzjahrespneus seien im Winter und im Sommer schlecht, immer mittelmässig. Auch der Luftdruck muss stimmen; ich nahm mir vor, diesen wieder häufiger zu kontrollieren. Denn beim verantwortungsbewussten Autofahren sollten keine Mittelmässigkeiten geduldet werden. Das musste einmal gesagt sein.
 
So wurden wir dann mit Ruedis Anweisungen im Ohr einzeln auf die Piste geschickt, mussten auf Tempo 50 beschleunigen, uns bei Pylonen und später beim Aufleuchten von Lampen voll in die Bremse werfen und vor einem Rotlicht-Hindernis zum Stillstand kommen. Das Tempo musste in den weiteren Durchgängen jeweils um 10 km/h bei den sich entsprechend verändernden physikalischen Eigenschaften vergrössert werden, ein recht kniffliges Unterfangen, da in der Beschleunigungsphase die Geschwindigkeitsanzeige, die Piste und die roten Überraschungslampen im Auge behalten werden mussten, ein Rotlichtmilieu der anspruchsvolleren Art. Angesichts der begrenzenden Plastikröhren im Rotbereich, die nicht überfahren werden durften, scherzte Ruedi, eine davon sei mit Beton gefüllt, man wisse nur nicht welche ... Wäre dem so gewesen, wir wären mit ein paar Beulen nach Hause gekommen.
 
Eine für mich fundamentale Übung war das wilde Losfahren auf eine glitschige Piste, die Vollbremsung beim Aufleuchten roter, in den Boden eingelassener Lampen und das gleichzeitige Ausweichen vor einem Hindernis während der Bremsung. Ich war von den Stabilitätseigenschaften meines Prius völlig erschlagen. Auch in brenzligen Situationen behält er seine stolze Haltung, reagiert nahe an der Echtzeit, was ich selber nicht ganz schaffe. Aber auch die besten Sicherheitssysteme sollten das Sicherheitsgefühl nicht in gefährliche Höhen anheben. Sie haben ihre Grenzen, die der aufmerksame, trainierte Fahrer hoffentlich noch etwas hinausschieben kann. Der Fahrer muss das Auto beherrschen – und nicht umgekehrt.
 
Ich hätte meinem Auto als Dank für die erlittenen Strapazen gern etwas von meinem Schleudermenu abgetreten, das ich in der Caféteria als Mittagessen einnahm (16,50 CHF): gemischter Salat, Spaghetti, Tomatensauce und 2 grosse Stücke Piccata. Auf das für Autofahrer momentan überall empfohlene einsame Glas Wein verzichtete ich und trank stattdessen ein Fläschchen Süssmost, denn das grosse Schleudern in den Autos mit profillosen Hinterreifen kam erst nachher.
 
Ruedi wollte bei dieser abschliessenden Schleuderei etwas Action sehen, forderte zum Beschleunigen auf, wenn die Hinterräder nicht rutschten, und ich bot ihm, wie andere auch, freundlicherweise 2 Volldrehungen, indem ich die Geschwindigkeit entsprechend vergrösserte und das rechtzeitige Gegensteuern unterliess. Doch empfehlen sich solche Übungen nur dort hinten, im Steinbruch von Veltheim und nicht etwa auf freier Wildbahn.
 
Am Schluss wurde ein Trainingsattest überreicht, das fast wie ein 2. Führerschein aussieht. Ich fuhr dann vorsichtig heimzu, hielt die Geschwindigkeitsbegrenzungen strikte ein, denn es war mir bewusst geworden, welche Kräfte man entfesselt, wenn man sein Gefährt auf Touren bringt. Aber etwas Eis auf der Strasse vermisste ich schon.
 
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