Textatelier
BLOG vom: 08.04.2007

Von Exitus nach Terminus – von Klagenfurt nach Lienz

Autor: Emil Baschnonga, London
 
Es gibt makabre Arten, wie man „Exitus“ und „Terminus“ auslegen kann. Wenn ich an Lienz (Österreich) denke, kann ich diesen Begriffen eine heitere, erinnerungswerte Note abgewinnen:
 
So um 2 Uhr nachmittags, in einem Sommer vor etlichen Jahren, erreichte ich mit dem Auto Klagenfurt. Ich verliess das Auto und durchstreifte einige Strassen im Zentrum. Nein, die Stadt gefiel mir nicht. „Exitus“, dachte ich und fuhr prompt weiter Richtung Lienz im Osttirol, teilweise der italienischen Grenze entlang. Es war ein schöner, warmer Sommernachmittag.
 
Bei einer Abzweigung wurde ich unsicher: „Soll ich links oder rechts weiterfahren?“ Ich steuerte das Auto geradeaus weiter, genau vor die Bauernschenke und ging mich erkundigen. 3 Zecher lungerten dort, schon um diese Nachmittagsstunde merklich beschwipst, an der Theke. Höflich richtete ich meine Frage an alle 3. „So erscheint hier ein Schweizer und will nach Lienz“, antwortete einer grobschlächtig in einem Dialekt, den ich schlecht verstand und lachte mir ins Gesicht. Deshalb wechselte ich sogleich in meinen eigenen Dialekt über, was sie allesamt ergötzte und mit dem sie ebenfalls ihre Mühe hatten. Immerhin gelang die Verständigung zuletzt, und ich folgte ihrer Wegweisung: „Einfach rechts immer hoch.“
 
Es war schon knapp 6 Uhr, als ich mitten im Hauptplatz von Lienz ankam. Wie das gediegene Hotel dort hiess, weiss ich nicht mehr. So nenne ich es einfach Hotel Sonne. Ein Zimmer war frei. Ich bekam einen Schlüssel, um das Gitter des ummauerten Hotel-Parkplatzes zu öffnen. Bald war ich von Auto und Gepäck befreit und sicherte mir draussen vor dem Hotel einen Tisch. Das Essen schmeckte um so besser, weil mir ein unterhaltsamer Abend bevorstand. Genau vor mir war eine Tanzbühne aufgestellt, flankiert von Verkaufsbuden. Viele Leute in Trachten erschienen nach und nach erwartungsvoll auf dem Hauptplatz. Die Dämmerung setzte ein. Die Blaskapelle schmetterte ihren 1. Marsch. Dazwischen kam es zu Handharmonika-Einlagen. Damit die jungen Leute nicht davonliefen, trat ein Heldentenor auf, der italienische Schlager sang.
 
Was wäre ein solches Fest ohne Walzer in Österreich? Darauf hatte sich der Kapellmeister gesehnt, und er verwandelte sich zum Tanzmeister. Trompeten und Posaunen mussten den Streichinstrumenten weichen. Seine Arme kreisten wie Wellen, und sein Taktstock beherrschte die Einsätze aus dem Handgelenk. Einige Paare bezogen die Tanzfläche.
 
Nach einigen Walzern bestieg ein stämmiger und wohl gerundeter Herr mit grau meliertem Haarschopf mit der Würde, wie sie der Prominenz zukommt, das Podium. Sein buntes Wams war mit einer wuchtigen Kette und anderen Anhängseln verziert. Wie zu erwarten war, kam es zur Ansprache, die ich nicht gross beachtete. Erst als er am Ende seiner Rede rief: „Wo denn ist die Waltraud?“ merkte ich auf. Es musste die Ehrenbürgerin sein, dachte ich, als eine alte Dame unter vielen Zurufen endlich, von 2 Herren gestützt, die Treppe zum Podium bezwang. Prominenz gesellte sich zu Prominenz. Galant reichte er ihr den Arm und gab dem Dirigenten ein Zeichen zum Auftakt eines weiteren Strauss-Walzers. Das Paar tanzte würdig und vorsichtig. Von meinen Tischnachbarn erfuhr ich, dass dieser Festauftritt alljährlich stattfindet und fest zum Programm gehört, eigentlich den festlichen Höhepunkt bildet.
 
Anschliessend verschwand die ältere Generation nach und nach. Der Tanzboden wurde voll und ganz den jungen Leuten überlassen. Ich vertrat meine Füsse, nein nicht auf dem Tanzboden, sondern zum Rundgang durch das schmucke Landstädtchen und genehmigte zuletzt noch ein Bier, ehe ich mein Zimmer aufsuchte, denn anderntags wollte ich früh wegfahren.
 
Was denn, war das Fest noch immer im Gang? Ich öffnete das Fenster und staunte. An dicht aneinander gereihten Ramschbuden boten Händler ihre Ware feil: Es war der Flohmarktstag am Samstag, führwahr. Ich jubelte und vergeudete wenig Zeit beim Frühstück. Beim Bummel winkte mir jemand zu. Ja, es war der Antiquitätenhändler, den ich zuvor in der Salzburger Altstadt aufgesucht hatte.
 
„So ein Zufall“, meinte ich.
 
„In unserem kleinen „Ländle sind solche Zufälle nicht selten“, entgegnete er. „Sie können sie hier zum halben Preis haben“, erinnerte er sich an die Bronzemedaille, die mir in seinem Laden in die Augen gestochen war und hielt sie mir unter die Nase.
 
Sie zeigte einen nackten Steinbrecher, der an einer Brechstange zerrte und trug in Grossbuchstaben den Titel: L’EFFORT (die Anstrengung), von Josue Dupon entworfen. Es brauchte keinerlei Anstrengung meinerseits: Ich kaufte die Medaille auf Anhieb. Sie erinnert mich noch heute an viele vergangene Anstrengungen und ermutigt mich, wenn mir eine neue bevorsteht.
 
Es war ein fündiger Tag für mich auf diesem Ramschmarkt in Lienz. Hinzu kamen 2 ausgezeichnete Art-Déco-Gravuren, einige Jugendstilkacheln und ein Satz von amüsanten Tuschzeichnungen in Postkartengrösse aus der gleichen Zeit.
 
Zur Feier dieses Tages offerierte ich mir noch ein Mittagsessen und fuhr nachher Richtung Kitzbühel weiter. Terminus.
 
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