Textatelier
BLOG vom: 05.05.2007

Dyddiadur – Diary aus einem Blackwood-Käff, Südwales

Autor: Emil Baschnonga, London
 
Dieses Kleinstädtchen Blackwood mitten im einstigen Kohlenbergwerkgebiet in Wales kann keineswegs als Ausflugsziel bezeichnet werden.
 
Gestern fuhr ich von London schon früh um 5 Uhr morgens auf der M4 Richtung Wales zu einem Geschäftsbesuch los und kam sehr zügig voran. Ich überquerte die imposante, 1966 erbaute, Severn-Hängebrücke und war in einem anderen Land, in Cymru (Wales). Alles ist 2-sprachig angeschrieben. Wales hat, wie auch Schottland, seinen eigenen Nationalrat.
 
Ich erreichte mein Reiseziel 2½ Stunden zu früh und fuhr einfach am Industriepark in Cwmfelinfach (bei Newport) vorbei und weiter nach Blackwood, wie schon einmal zuvor im Jahre 1999. Die Sonne schien, der Himmel war blau, und ich war gut gelaunt, weil ich wieder einmal ein bisschen Freizeit für mich abzweigen konnte.
 
Dieser Ort hat sich seit meinem letzten Besuch gewaltig verändert. Viele Häuser hatten freundliche Anstriche erhalten. Ich begegnete viel weniger alten Leuten als beim 1. Mal. Die Generation der Grubenarbeiter ist am Aussterben. Viele Kettenläden hatten sich eingeschlichen.
 
Eben öffnete eines der letzten altmodischen „Käffs“ (Cafés). Was mir sofort auffiel, war das Rauchverbot „No Smoking“, in Grossbuchstaben auch auf walisisch „DYM YSMYGU“ der Wand entlang über jeden Tisch angeschlagen. 3 pensionierte Grubenarbeiter erschienen, und jeder setzte sich an einen anderen Tisch, und sie begannen miteinander zu plaudern, mit viel Pausen durchsetzt. Mir schien, dass dieses „Käff“ eines der letzten Refugien für sie war.
 
„Ich gehe Morgen in den Norden“, sagte einer von ihnen in der hiesigen urchigen, gedehnten Sprechweise.
 
Nach langer Pause fragte sein Gesprächspartner: „Willst du das?“
 
Er bedachte die Frage lange, ehe er sagte: „Jeh.“
 
Ich war mir wohl bewusst, dass ich ein Fremder war in diesem Café – zu einem Geschäftsbesuch aufgebügelt. Ich holte ein Arbeitsdokument aus meiner Aktentasche, denn ich wollte diesen trägen Gesprächsfluss nicht hemmen.
 
„Herford“ nannte er den Ort. Das ist gewiss nicht im Norden, dachte ich – aber vielleicht meint er mit dem Norden, alles was „ennet“ der Grenze in England ist.
 
Ich überhörte, dass er dort „Fenster putzen“ ging, wohl um seine karge Pension aufzubessern. Der 3. Mann am Tisch blieb stumm. Das wird er doch nicht tun! Nein, er sog nicht an einer Zigarette. Ich schaute genauer hin: Es war ein Inhalierstängel gegen die Nikotinsucht. Grubenarbeiter und Glimmstängel gehörten einst zusammen. Kurz später erhoben sie sich und trugen, wie es sich im „Käff“ gehört, ihre leeren Teetassen zur Theke zurück.
 
Das letzte Mal, als ich einige Freistunden in Blackwood verbracht hatte, habe ich mit jemand gesprochen, der Blackwood zeitlebens kein einziges Mal verlassen hat. „Warum auch?“ meinte er.
 
Noch immer blieb mir mehr als eine gute Stunde Zeit. Jetzt waren alle Geschäfte geöffnet. Geblieben waren die vielen „Charity Shops“ – Wohlfahrtsläden wie vom Roten Kreuz, Hospizen, Barnardos (Wohlfahrt für Kinder) usf. eingerichtet. Nur wird dort heute meistens neue, gespendete Ware (abgestossene Ladenhüter) angeboten. Auch das „Job Centre“ (staatliche Stellenvermittlung) hatte inzwischen die Türe geöffnet.
 
Bei einer Strassenabzweigung sah ich die alte Methodisten-Kirche, die jetzt zum Theater geworden war. Rasch machte ich von diesem Gebäude einen Schnappschuss.
 
Gleich um die Ecke, bei der Pentwyn Road, sind ein indisches, ein chinesisches Take-Away, und erst noch ein „Peking-City“-Restaurant erhalten geblieben. Neu dazwischen eingerichtet war ein italienisches Restaurant. Also warum Blackwood verlassen? Die Welt hat sich kulinarisch in Blackwood eingefunden …
 
Noch rasch eine letzte Aufnahme, diesmal vom einstigen „Miners’ Institute“, ein riesiger Steinklotz, 1925 erbaut. Dieses ist heute dem Heimatschutz unterstellt und gehört seit 6 Jahren dem „Council“ (Regionalbehörde). Drinnen war ein 2. Theater eingerichtet. Oberhalb der Theaterkasse war ein höchst dekoratives ovales Glasfenster eingesetzt und erhalten geblieben.
 
Eine gute Dame kam und überreichte mir zuvorkommend das Theaterprogramm für den Frühling und Sommer 2007, wiederum 2-sprachig („Gwanwyn“ = Frühling und „Haf“ = Herbst). Leider fehlt mir jeder Zugang zur walisischen Sprache und auch diesmal, ausser einem Lehrer mit Kinderschar, habe ich kein Wort „Welsh“ gehört. Diese Sprache ist keltischen Ursprungs und soll noch von über 500 000 Leuten (von einer Gesamtbevölkerung von 3 Millionen) gesprochen oder verstanden werden, im Gegensatz zu anderen inzwischen ausgestorbenen keltischen Sprachuntergruppen, wie kornisch und bretonisch. Für den 5. Juni 2007 war eine „Celtic Celebration“ („Dathliad Celtaid") im Theater angekündigt.
 
Die Waliser sind sehr musikalisch und ihre Männerchöre berühmt. Männerchor heisst auf walisisch „Côr Meibion“ – endlich ein Wort, das ich mitgekriegt habe.
 
Blick auf die Uhr. Höchste Zeit zur Fahrt zum Industriepark zurück. Das war nicht so leicht, nicht einfach, weil mehrere neue perfide „Roundabouts“ mich mehrmals in die Irre führten. Die Arbeit konnte beginnen: Mein Gespräch mit dem Inhaber einer sehr sauberen und hochmodern eingerichteten Produktionsstätte von frischen und tiefgekühlten Fertiggerichten, Saucen und Suppen. Hier haben viele junge Leute Arbeitsplätze gefunden. Recht so und viel besser als in den Kohlenschächten arbeiten. Dieser Industriepark liegt zwischen langgestreckten Hügeln eingebettet, einstige Kohlenhalden, von der Natur mit Waldbestand zurückerobert. Die Natur hatte wieder einmal über eine von Menschen geschaffene Wüste gesiegt.
 
Hinweis
P.S. Mehr über Blackwood finden Sie unter www.bbc.co.uk/wales/southeast/sites/blackwood/
 
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