Textatelier
BLOG vom: 09.06.2007

Limmat-Spaziergang vom Kloster Fahr zur Werdinsel Höngg

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Sie
Es rauschet das Wasser
und bleibt nicht stehn;
gar lustig die Steine
am Himmel hin gehn;
gar lustig die Wolken
am Himmel hin ziehn:
so rauschet die Liebe
und fähret dahin.
 
Johann Wolfgang von Goethe
 
Der Chefredaktor der jungen Zeitschrift „1A!Aargau“, Martin Weber, trägt höchstpersönlich die Verantwortung dafür, dass ich mich allmählich zu einem Kloster-Experten entwickle. Denn für die erwähnte gepflegte Zeitschrift, welche die unbekannten Schönheiten des verkannten Kantons Aargau zutage fördert, hatte ich Bildberichte über die Klöster Muri AG und Wettingen zu verfassen. Und die 3. Arbeit zu diesem Thema gilt dem Kloster Fahr; sie ist gerade im Entstehen begriffen.
 
Das Kloster Fahr ist eine aargauische Exklave im Kanton Zürich, vollumfänglich von der Gemeinde Unterengstringen ZH eingekreist, laut Velowegweiser 1,4 km von Weiningen ZH, 1,8 km von Unterengstringen ZH und 3,7 km von Dietikon ZH entfernt; wahrscheinlich sind die Distanzen zu den Dorfzentren gemeint. Doch nicht von dieser Insel der Beschaulichkeit inmitten der Agglomeration Zürich-West will ich hier berichten, sondern von einem Spaziergang vom Kloster Fahr zur Werdinsel (Au) in Zürich-Höngg und zurück, den ich am 30. Mai 2007 mutterseelenallein unternahm, ohne mich irgendwie einsam zu fühlen; rundum war Betrieb genug. Ich wollte einfach am eigenen Leibe erfahren, wie weit das Kloster Fahr von der Stadt Zürich entfernt ist, zudem das einst vom Linthgletscher geformte Limmattal in jener Gegend als Fussgänger kennen lernen, ein bisschen Nachhilfe in Geografie mir leistend. Zudem ging es mir ums Erlebnis der Diskrepanz Kloster-Beschaulichkeit/Stadt-Turbulenzen.
 
Von Fahr zur Werd
Um etwa 11 Uhr startete ich beim Kloster Fahr, dem Wanderwegweiser „Werdinsel“ (1 Std. 5 Min.) rechtsufrig folgend, wo der Chlosterweg neben dem Inselchen „Paradis“ zum Fischerweg und auf der Höhe von Schlieren zum Kloster-Fahr-Weg wird und an diesem Namen bis zur Werdinsel festhält, damit nicht zusätzliche Unsicherheiten verbreitet werden. Hier, wo der Müligiessen in die Limmat einmündet, gibt es noch auen-ähnliche Zonen; für den Naturliebhaber ist das hier der attraktivste Ort. Der Weg zur Stadt folgt unmittelbar der Autobahn A1, die freundlicherweise durch eine elegante leichtmetallene, gegen oben etwas eingebogene Lärmschutzwand, wenn auch nicht zum Schweigen, so doch zum verminderten Lärmen verurteilt ist. Damit der einsame Wanderer nicht um den Genuss des Anblicks vorbeifahrender Autos wie plakativ beschrifteter Transportungetüme geprellt werde, haben die Schutzwandbauer im unteren Bereich der Wand ein durchgehendes durchsichtiges Fenster eingebaut. Die wie eine Schokolade in Tafeln unterteilte Wand wirkt dadurch leichter, eleganter. Ohne diese kreative Leistung schmälern zu wollen, will ich hier ehrlich zugeben, dass mir die zügig in entgegengesetzter Richtung vorbei fliessende Limmat mit ihrem Beruhigungspotenzial auf der anderen Wegseite weit besser gefallen hat. Dies obschon sie seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts bei Weitem nicht mehr das ist, was ich als urtümlichen Fluss, der sich seinen Verlauf selber ausgedacht hat, verstehen würde. Die Limmat wurde, um es mit diesem brutalen Wort zu sagen, korrigiert, und korrigiert heisst kanalisiert, begradigt, ins Korsett gelegt. Zwar hat man ihr noch sanfte Bögen zugestanden, wo es siedlungsplanerisch auf der Hand lag, aber ihr Auslauf ist durch Dämme schon sehr eingeschränkt.
 
Für einen Auslauf anderer Art sorgen neben der Limmat dafür jetzt Hundehalter und natürlich die Hunde selber, aber auch Jogger, die da schwitzend, leidend und federnden Schritts dahergeschwebt kamen und mir als beschaulichem, etwas schwerfälligem Wandersmann bei der Annäherung an die Stadt den Eindruck vermittelten, Zürich sei eine furchtbar nervöse Angelegenheit. Aufgefallen ist mir zudem, dass sich viele Leute nicht mehr mit einem einzigen einsamen Hund begnügen, sondern solche Freunde oft gleich rudelweise um sich scharen. Und wenn dann aus der anderen Richtung weitere Rudel herankommen, scheint das fröhliche Bellen, das lustvolle Beschnuppern und Schwanzwedeln kein Ende mehr zu nehmen, bis sich die Leinen verknotet haben und das Gweirr in Minne aufgelöst wird.
 
Ich finde ja die grünen Robidogs ebenfalls eine segensreiche Erfindung und viel schöner noch als die flächendeckenden Hinterlassenschaften der lieben Vierbeiner, die ihr Industriefutter in leicht veränderter Version in Gottes Namen wieder irgendwo loswerden müssen; eine Eigenart übrigens, die alle Säugetiere und Anverwandten mit ihnen teilen. Doch allmählich scheint es mir, in Sachen Robidogs sei das Mass allmählich voll; irgendwie stinkt es mir langsam, auf meinen Wanderungen ständig von solchen Behältern ans Schicksal des Hundefutters erinnert zu werden, um es etwas euphemistisch zu formulieren. Und als ich dann ins dichter bewohnte Gebiet in der Nähe des Bombachs in Höngg kam, hatte ich für ein paar Minuten das Gefühl, in der Nähe müsse ein überfüllter, gärender Robidog explodiert sein. Doch musste es sich um eine andere unsichtbare, breitwürfige Hundetoilette gehandelt haben; der Duft sollte sich bald wieder legen. Ein schwacher Wind verbesserte die Lage.
 
Etwa 700 m vorher hatte sich die A1 über die Limmat Richtung Altstetten geschwungen; unter der zweigeteilten Brücke zieht man unmittelbar den Kopf etwas ein. Das kühle Limmatwasser sandte durchs Geäst von allerhand Hart- und Weichholzbäumen seine erfrischende Wirkung zum Wanderweg. Was die Flusswasserqualität anbelangt, muss man den Stadtzürchern schon ein Kompliment machen. Welche ausländische Grossstadt (ich nenne Zürich aus meiner Bibersteiner Sicht nun einmal so), bringt es fertig, den sie durchquerenden Fluss sozusagen mit Trinkwasserqualität zu verabschieden? Ich trank zwar nicht daraus, aber war dennoch sehr beeindruckt. Dem nahen, in den 1980er-Jahren erweiterten Klärwerk Werdhölzli sei Lob und Dank. Ja, Zürich ist eine saubere Stadt und tut viel für diese Sauberkeit.
 
Und weil ich gerade und schon wieder bei diesem Thema bin, möchte ich es der guten Ordnung halber weiterführen; denn auch in Blogs sollen die Gedanken sauber aneinander gereiht sein, auch darin sollte Ordnung herrschen. Wie ich jetzt aus eigener Anschauung mitteilen kann, ist der Litter, wie der US-Ausdruck für das lässig Weggeworfene lautet, in Städten eine dominante Sache, und die Verwaltung muss ihm mit unendlich viel Einfallsreichtum und Sammelaufwand zu Leibe rücken.
 
Die Werdinsel
Um dieser Ankündigung Genüge zu tun, nehme ich Sie nun, vorbei am EZ-Limmatwerk Höngg (Elektrizitätswerk der Stadt Zürich) via Winzerhalde auf die Werdinsel mit, die auf meinen Landeskarten mit „Au“ bezeichnet ist; vielleicht ist das eine Kurzform von „Wau“. Da ich ohnehin seit meinen Bewegungen auf Kindsbeinen alles gelesen habe und noch lese, was irgendwo geschrieben steht, fielen mir in diesem Erholungsrefugium „In der Au, Werd“ zuerst einmal die grossen Plakate in Zürichblau mit plakativer weisser Schrift auf. Die Werbetexter hatten sich voll ins Zeug geschmissen, und so las man etwa „Die Werdinsel ist schön. Ohne Scheiss!“ oder: „Die Werdinsel ist weder Abfalldeponie, noch Lärmquelle, Hundeklo oder Vogelnest.“ Was die gegen Vögel haben mögen? fragte ich mich in meiner ländlichen Unschuld. „Auf der Werdinsel ist alles im Eimer. Danke“, steht auf einem anderen städtischen Plakat. Hoffentlich nicht auch die Vogelnester.
 
Meine Hauptfrage in diesem Zusammenhang aber war, ob die dominanten Erziehungsmassnahmen und Kehrichteimer-Ansammlungen ihrerseits nicht allmählich zu einer Form von Umweltverschmutzung werden (siehe Robidog). Aber weil ich selber keine bessere Lösung kenne, enthalte ich mich jeder Form von Kritik. Vielleicht sind viele moderne Menschen derart ungezogen, dass man sie laufend anhalten muss, nicht einfach alles auf den Boden zu werfen, und zudem müssen sie stets von Entsorgungseinrichtungen begleitet werden. Sonst ist die Qualität ganzer Erholungsräume im Eimer.
 
Auf der Insel bzw. im Limmatwasser wurde bereits in ersten Ansätzen vorsichtig gebadet; auch die Nacktkultur schien unter dem Mahnfinger der von oben grüssenden Kirche Höngg langsam aufzukeimen. Im Openair-Restaurant herrschte noch wenig Betrieb. Ich war einer von etwa 6 Gästen und trank einen guten Kaffee für 3.5 CHF. 2 schön restaurierte Gebäude, die ehemalige Mühle in der Au, die laut Inschrift 1365 vom Kloster Wettingen von den Rittern von Seen gekauft wurde und den Betrieb 1828 einstellte, und Heinrich Stricklers ehemalige Spinnerei sind markante Erscheinungen. Im grossen Haus probten die Schauspieler des Theaters am Neumarkt – was, weiss ich nicht. Dieses Gebäude dient am anderen Ende auch als Garderobe und WC und somit indirekt dem Bade- und Erholungsbetrieb; auch Duschen sind darin untergebracht. Und das mächtige Windrad am oberen Inselende, von dessen unterem Teil gerade ein kräftiger Wasserstrahl abgesondert wurde, hat die in der Nähe wohnende Rita Lorenzetti in ihrem Blog „Limmatsprützer“ auf der Zürcher Werdinsel am 13.6.2005 so treffend und mit dem nötigen Lokalkolorit beschrieben, so dass ich hier nicht nachdopple, um nicht allzu sehr abzufallen. Die Nützlichkeit und Schönheit der Technik paaren sich hier jedenfalls.
 
Nach meinen verschiedenen Exkursionen in die Ebene der Linth und zu anderen regulierten Flüssen und Seen interessierte mich natürlich das Regulierwehr, mit dem der Wasserstand des Zürichsees konstant gehalten wird, so dass die Stadtzürcher auch dann trockene Füsse haben, wenn es wie aus Kübeln regnet. Die ab 1949 gebaute heutige Wehranlage, die das Flusswasser zu einem Wasserfall aufbereitet, bietet einen imposanten Anblick, und sie ist ebenso wie der Kraftwerkbereich mit verschiedenen wasserphilosophischen Zitaten aus der Literatur wie Johann Wolfgang von Goethes „Gesang der Geister über den Wassern“ angereichert und sicher eine der Attraktionen der „Au“. Auch an Thales von Milet wird man erinnert: „Das Prinzip aller Dinge ist das Wasser; aus Wasser ist alles, und ins Wasser kehrt alles zurück.“ Ich gönnte mir einen Schluck aus meiner Feldflasche, um den Wasserkreislauf zusätzlich zu beflügeln.
 
Von der Werd zum Kloster Fahr
So wusste ich nun, was ein städtischer Grün- oder Erholungsraum ist und wanderte, neue Erkenntnisse mit mir tragend, diesmal linksufrig zusammen mit der Limmat auf dem Limmatweg, wie er hier heisst, nach Fahr zurück. Ich kam am Grundwasserwerk Hardhof („Pumpwerk Fischerweg“, 1981) vorbei, ebenso an Naturreservaten wie der Waldung Werdhölzli, ein Pflanzen- und Vogelschutzreservat, und dem Betschenrohr, manchmal hinter Maschendrahtzäunen; einmal war hinter dem Damm sogar etwas stehendes Wasser auszumachen. Und da war auch die Baustelle im Zusammenhang mit dem altersschwach gewordenen Entlastungskanal Vulkanstrasse, der vom Bändli her kommt. Spindeldürre, schweisstriefende Jogger-Männchen und -weibchen umschwärmten mich, und gelegentlich strampelte sich ein Velofahrer im trendigen Kunststoffanzug ab. Wo immer etwas Grünzeug seinen Schatten hinwarf, fand ich es besonders angenehm. Und zudem sorgen die abgesackten Behälter des Gaswerks Schlieren und nummerierte orangefarbene Pultdächlein mit Hinweisen auf den Verlauf der Erdgasleitung für etwas Farbe in der Landschaft mit ihren Infrastrukturanlagen.
 
Vorbei an Schrebergärten, Intensiväckern, Baustellen mit Riesenkranen kam ich endlich wieder auf der Höhe des Klosters Fahr an, dessen Anblick über die Limmat und durch die Bäume in mir eine besänftigende Wirkung auslöste. Ich hätte gern die Fähre „Maurizius“ benützt, die auf der anderen Limmatseite an einem kleinen Schwimmsteg befestigt war, doch hätte ich vom Mittwochnachmittag bis zum Sonntagnachmittag warten müssen; denn nur an Sonntagen fährt die Fähre, die Fahr vielleicht den Namen gab, von 13 bis 17 Uhr gratis übers Limmatwasser. Das schien mir denn doch etwas lange zu sein. Also machte ich notgedrungen den Umweg zur Überlandstrasse, überquerte die 1924 erbaute Strassenbrücke und ging auf dem Wanderweg neben der Chlosterstrasse am Limmatufer zum Kloster zurück und wäre dabei auf freiem Feld fast über 3 Bierbüchsen gestolpert, die unerzogene Lümmel einfach hingeworfen hatten. Ich zähle ein solches Verhalten zu den modernen Sünden, und um die Absolution zu erreichen, müsste man die Rüpel einfangen und aktiv zur Bekämpfung der Litterkultur mit dem damit verbundenen Kehrichteinsammeln verpflichten.
 
Und was denken wohl die Kühe von uns, wenn sie in ihrem Futter solchen Plunder finden! Sie würden uns wohl auf ihre Hörner nehmen, wären sie nicht so gutmütig und hätten wir ihnen diese nicht gewaltsam amputiert.
 
Dann übermannte mich der klösterliche Friede. Ich fühlte mich etwas müde und schläfrig. Und mein nachfolgender Fahrweg war die Autobahn. Dort erwachte ich schon wieder aus allen Träumen von besseren Welten.
 
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