Textatelier
BLOG vom: 29.06.2007

„Cold turkey“: Rauchverbot ab 1. Juli 2007 in England

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Niemand soll mich missverstehen: Mein erbitterter Kampf gegen die „Nikotina“ dauert an (siehe Blogs wie unten aufgelistet). Der Nichtraucher will keineswegs mehr als unfreiwilliger passiver Raucher seine Gesundheit gefährden. Fast einhellig sitzen die Raucher heute überall auf der Anklagebank, mich vorderhand mit eingeschlossen.
 
Mir ist es bisher nicht gelungen, das Gift mit Gift auszutreiben. Nikotinpflaster und ähnliche Gegenmittel machen mich entweder schwindlig oder lösen Brechreize aus, besonders wenn ich versehentlich aus eingefleischter Gewohnheit eine Zigarette anzünde. Somit bleibt mir nur noch die Rosskur „cold turkey“ (kalter Truthahn/Puter) übrig. Ob ich am 1. Juli 2007 schlagartig dieses Laster aufgeben kann? Viele Raucher aus meinem Bekanntenkreis in England haben sich zu dieser Kalten-Puter-Kur entschlossen. Zeitweise ist es mir gelungen, meinen Zigarettenkonsum auf unter10 Stück pro Tag zu drosseln.
 
Aber am 20. Februar 2007 hat mir die „Nikotina“ einen perfiden Streich gespielt. In Prag kaufte ich mir ein Päckchen Zigaretten der Marke „Sparta“ und dachte, das sollte für den Rest meines kurzen Aufenthalts in Tschechien ausreichen. Mein Kollege erwartete mich im Aufenthaltsraum des Ibis-Hotels und paffte eine Zigarette. Einladend wies er gegen das Plastiktäfelchen auf dem Tischchen, worauf eine Zigarette mit Rauchwolke schwarz auf weiss abgebildet war. Meine Willensstärke schwand augenblicklich.
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Der Tabak wurde von Kolumbus um 1492 entdeckt. Um die gleiche Zeit soll Rodrigo Jerez einer der 1. Raucher gewesen sein. Das Geschenk der amerikanischen Indianer an die weissen Eroberer hat sich nach Jahrhunderten als ihr Racheakt erwiesen … Der Siegeszug der Zigaretten und Zigarren begann ab 1900. Erst um 2005 wurde das Rauchen zunehmend verpönt und verboten.
 
Den Rauchern steht vermutlich eine neue Renaissance bevor. Ich glaube, sie hat bereits begonnen, weil Halbwüchsige beiderlei Geschlechts früher und mehr als je rauchen. Jedes Verbot birgt einen Anreiz, besonders unter Jugendlichen. Ihr Drogenmissbrauch belegt dies. Unter der Devise „smoking is ‚cool’“ stacheln sie einander an.
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Meines Wissens ist ein weitgehendes Rauchverbot in der Schweiz erst im Tessin eingeführt – und in Irrenanstalten. Man muss wirklich verrückt sein, um zu rauchen! (Unter „tobacco.org“ ist die Geschichte des Tabaks nachlesbar.)
 
Einer guten Seele verdanke ich eine Übersicht der in Zigaretten enthaltenen Gifte, woraus ich folgende – o Graus! – auswähle und übersetze, eine Auswahl:
 
Kohlenmonoxid – wie es auch aus dem Auspuff der Autos kommt.
Teer – die Strassen sind damit bedeckt.
Nikotin – wird in Pestiziden eingesetzt.
Aceton – zum Abbeizen von Farbe und Lack.
Ammoniak – ein starkes Reinigungsmittel.
Arsenik – tötet auch Ameisen.
Benzol – in Autoabgasen enthalten.
Butan – auch bekannt als Brennstoff für Feuerzeuge.
Formaldehyd – zum Einbalsamieren von Toten.
Hydrogen cyanide (Cyanwasserstoff = Blausäure) – in den Gaskammern der Nazis eingesetzt.
Methanol – Raketentreibstoff.
Toluol – industrielles Lösemittel.
DDT – ein einst weit verbreitetes Insektizid mit grauenhaften Folgen.
Radon – radioaktives Gas.
Polonium 210 – damit wurde Alexander Litvinenko tödlich vergiftet.
 
In öffentlichen Gaststätten aller Art darf in England nach dem Stichtag nicht mehr geraucht werden. Das Rauchen am Arbeitsplatz ist strikte untersagt. Das letzte Refugium der Süchtigen, draussen ausserhalb der Gebäude, wird ebenfalls bald aufgehoben. Warum sollen die Nichtraucher weiterarbeiten, während die anderen draussen ihre Rauchpausen einschieben?
 
In vielen Pubs werden unterdessen im Biergarten oder Vorplatz Raucherstandplätze eingerichtet. Damit die Raucher bei kaltem Wetter nicht schlottern müssen, werden Wärmestrahler aufgestellt. Welcher Energieverschleiss! Kniffliger wird es nach den andauernden Niederschlägen hier in England: Ihnen obendrein Regenschutz zu bieten, ist des Guten zu viel. Das Rauchverbot gilt auch für solche Räumlichkeiten.
 
Autofahrer werden ebenfalls bald fürs Rauchen im Auto gebüsst. Das ist so gefährlich wie die inzwischen verbotenen Gespräche übers Handy während der Autofahrt. Ausserdem wird darauf hingewiesen, dass vom Tabakrauch verseuchte Autos heute bloss noch ihren Schrottwert haben.
 
Wer dummerweise einen Zigarettenstummel zum Randstein spickt, wird von einem öffentlichen Paar Argusaugen angehalten, den Dreck aufzulesen oder eine Busse zu bezahlen. Ein geschäftstüchtiger Fabrikant wird gewiss bald einen tragbaren Aschenbecher mit Deckel auf den Markt bringen …
 
Ich habe kürzlich im Bus überhört, dass Wohnungseigentümer von gewissen Liegenschaftsverwaltern aufgefordert worden seien, in ihren Wohnungen nicht mehr zu rauchen. Der stolze Ausspruch des Engländers „my home is my castle“ wird hinfällig.
 
Am nächsten Montag kommen bei uns in Wimbledon die Maler ins Haus. Die einst weissen Wände unseres Wohnzimmers sind nach 7 Jahren nikotinfarbig geworden. Ich Dummkopf hätte mir diese unnötige Ausgabe und erst noch viel Geld als Nichtraucher einsparen können. Lily hat begonnen, mich zum Rauchen in den Garten zu schicken. Recht so. Ich werde bald wieder meinen Schuppen ausräumen und mir dort eine Raucherecke hinter dem PC sichern. Inzwischen hoffe ich, dass mich die „Cold-turkey“-Prozedur von der „Nikotina“ kurieren wird.
 
Es ist ein Kunstgriff, ein positives Vergnügen in ein negatives zu verwandeln. Wäre ich materialistischer veranlagt, hätte mir das eingesparte Geld diese Genugtuung gesichert. Der Nägelbeisser und ehemalige Raucher Gorden Brown (Tony Blairs Nachfolger) hat am 28. Juni 2007 seinen 1. Tag als Ministerpräsident angetreten. Dieser schottische Pfarrersohn wird weiterhin die Tabaksteuer sattschrauben. Die Zigarettenhersteller erhöhen inzwischen sukzessive ihre Preise, denn sie wissen, dass die Süchtigen ihre Nikotinquelle fast um jeden Preis kaufen werden. In seiner Antrittsrede hat er innert einer Minute 6× das Wort „change“ (Wechsel) in den Mund genommen. Ich glaube, dem Steuerzahler wird aufgehen, dass Gordon Brown das Ernst meint und ihm in Bälde noch weniger Wechselgeld geben wird. „Put this into your pipe and smoke it!“ (Stopfe das in deine Pfeife und rauche es!).
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Man muss ja den Tabak nicht unbedingt rauchen, fällt mir soeben ein. Er lässt sich auch schnupfen oder kauen. Kautabak darf niemand auf der Strasse ausspucken, Spucknäpfe gibt es keine mehr. So bleibt nur noch das Klo übrig. Und was durch die Nase hochgeht, muss wieder raus – von einem grossen Schnupftuch aufgefangen. Wo findet man noch solche altmodische Nastücher in diesem Kleenex-Zeitalter? Einem neuen Verbot ist vorgebahnt. Dieses gilt dem Kaugummi. Die Strassen sind mit ausgekauten „Wrigleys“ übersät. Ekelhaft, wenn ein solches Überbleibsel an der Schuhsohle haften bleibt.
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Das Sammeln von Raucherutensilien dürfte ein echtes Ersatzvergnügen bieten. Das Königshaus verschenkte einst wunderschöne vergoldete Zigarettendosen an würdige Diplomaten mit dem Emblem graviert, auf einer Seite mit dem Löwen, auf der anderen mit dem Einhorn, dazwischen eingemittet die Inschriften „HONI SOIT QUI MAL Y PENSE“ und bezeichnenderweise „DIEU ET MON DROIT“. Vornehmlich in Birmingham wurden viele Art-Deco-Zigarettenetuis aus Silber hergestellt. Davon habe ich einige Flohmarktsfunde, worunter auch ein wunderbar emailliertes Exemplar. Reiche Herrschaften zeigten einander gerne solche mit erotischen Bildern im Raucherzimmer nach dem Essen.
 
Unter den Feuerzeugen gilt die Marke „Caran d’Ache“ (Swiss made) als das beste. Der gute alte Mann, der im Untergeschoss des „Harrods“ solche Modelle revidierte, bezeichnete mein Fundstück als den Bentley unter den Feuerzeugen: „Damit können Sie sich auf der Gartenparty der Königin sehen lassen.“ „A fat chance“, entgegnete ich ihm. Leider ist dieser liebenwürdige Herr im Januar 2007 in den Ruhestand getreten und nicht ersetzt worden. „Zu wenig Bedarf dafür“, wurde mir geantwortet, als ich ihn mit einem „Rowenta“-Feuerzeug aufsuchen wollte.
 
Wo sonst als auf dem Flohmarkt kann man solche Fundstücke finden? Auch die Ronson-Briquets sind nicht zu verachten. Wie sich die Raucher von ihrem Rauchzeug befreien, inklusive tolle Aschenbecher (Beispiele im Jugendstil aus Bronze gegossen), kommt der Sammler zum Zug.
 
Auf meiner letzten Etappe gegen die „Nikotina“ muss ich mir meinen eigenen Aphorismus verschreiben: „Selbstkontrolle, das üben andere an dir.“
 
Hinweis auf vorangegangene Blogs über das Rauchen von Emil Baschnonga
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