Textatelier
BLOG vom: 25.07.2007

Der Abschiedsbrief eines Vaters an seine beiden Söhne

Autor: Emil Baschnonga, London
 
Die Mutterliebe herrscht vor. Der Vater spielt meistens eine Nebenrolle als Broterwerber, die erst zunehmend an Gewicht gewinnt, wenn die Söhne erwachsen sind. Das ist meine Erkenntnis, die sich einstellte, als mir der Brief gezeigt wurde, von dem hier die Rede sein soll:
 
In einer Art von Apothekerschrift hat ein Vater sein Rezept zum Lebensgeleit seiner Söhne aufgeschrieben. Die Söhne hatten diesen Brief in einem gelben Couvert im Nachlass ihres Vaters gefunden, mit dem Vermerk:
 
„Meinen Söhnen zugeeignet …
So bin ich nicht mehr hier, wie ihr diesen, meinen letzten an Euch gerichteten Brief lest. Ich bin glücklich und herzensfroh aus dieser Welt geschieden im Wissen, dass jeder von euch, wie man so sagt, gut geraten ist und rechtschaffen seinen Lebensweg geht. Dazu hat eure Mutter unendlich viel mehr beigetragen als ich. Als Vorbild liess ich oft zu wünschen übrig.
 
Einen gut gestopften Schulsack konnte ich euch sichern, der euch nicht auf den Schultern drückt. Darin ist viel Literatur mit verpackt. Dank ihr bleibt ihr wissbegierig und weiterhin so lesehungrig wie ich es gewesen bin. Keine Technologie kann das Buch in der Hand ersetzen. Oft sind meine Augen über eure Büchergestelle gewandert. Ich entdeckte dabei immer wieder mir unbekannte Werke, die voller Werte und Einsichten sind, die einen Bezug zum heutigen Leben haben. Diese wurzeln im Urgrund der menschlichen Erfahrung und treiben immerfort neue Blüten, die ihr weiterhin aus eigenem Antrieb pflücken und den Sträussen der Vergangenheit beifügen werdet. Diese Blüten welken nicht. Freut euch des Lebens und über jeden geistigen Fund.
 
Der Mensch ist ein eher mangelhaftes ,Geländefahrzeug’ durch die wechselnden Umstände des Lebens. Das habt ihr so gut wie ich erfahren. Sorgt für Ersatzreifen und genug Sprit im Tank – tankt ‚Esprit’ und ‚Essence’. Ihr wisst, was ich damit meine. Gute Weiterfahrt wünsche ich euch von Herzen selbst über holprige Wege.
 
Wir sind wie die Unruhe im eigenen Uhrgehäuse gewickelt. Das stimmt selbst heute noch, im digitalen Zeitalter. Wir nehmen zu viel Bezug auf uns selbst. Zum Glück haben wir die Freiheit, unsere Uhrzeiger, wenn immer nötig, auf andere abzustimmen. Aufeinander abgestimmt – synchronisiert – spielen wir alle besser mit im Orchester des Lebens. Als ausgezeichnete Musiker werdet ihr einträchtig, ob als Dirigent oder Instrumentalist, die Melodie zur Harmonie vom Blatt lesen. Das vertreibt Dissonanzen.
 
Auch ihr hegt grosse Erwartungen, wie die weisse Lebenskarte vor euch ausgebreitet liegt. Wenn ihr wüsstet, wie viele Kleckse ich auf ihr verursacht habe durch meine eigene Selbstüberschätzung! Lernt eure Grenzen auf dieser Karte erkennen! Das Leben ist äusserst reich an grossen Kleinigkeiten, die wie Sonnenflecken über dieser Karte tanzen und glitzern. Sie kommen aus allen Richtungen. Die Natur wartet dem Spaziergänger durchs Leben grosszügig mit solchen Sonnenflecken auf, desgleichen mit guter Gesellschaft und der Sinn für Humor. Ich brauche wohl nicht weiter aufzuzählen, sonst glaubt ihr, dass ich euch wie einst ein Märchen auftische. Apropos Märchen: Behaltet euren Märchenglauben. Märchen verzaubern euer Dasein und wärmen die Seele, selbst wenn es draussen kalt und finster ist.
 
Seid getrost über meinen Fortgang. Ich verlasse euch nie. Eure Mutter wird euch weiterhin beistehen. So seid ihr nie allein.“
 
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