Textatelier
BLOG vom: 12.01.2008

Hochinnovativ: Vom Trugschein bis zum SalPeter-Betrug

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Der Mensch neigt dazu, sich Fähigkeiten anzudichten, die ihm mangeln oder ganz und gar fehlen. Doch früher oder später fliegen solche falsche Vorspiegelungen leicht auf. Rechtzeitige Einsicht, verbunden mit Wahrheitsliebe, verhindern peinliche Blossstellung später.
 
3 Marktforscher, jeder auf seiner eigenen Sparte freiberuflich tätig, ergänzten sich ausgezeichnet und fanden sich immer wieder innerhalb eines Gemeinschaftsprojekts, wie auch diesmal am Vortag einer Präsentation vor dem Verwaltungsrat einer bedeutenden Firma. Arnolds Vortragsthema hiess „Innovation im Hobbymarkt“, jenes von Jeremy „Der Aufbau einer Marktforschungsabteilung“, während Edouard das Thema „Kaderschulung“ gewählt hatte. Sie hatten sich gut vorbereitet und gingen zum Abendessen in den Ratshauskeller.
 
Sie lobten einander gegenseitig wegen der guten Vorbereitung. Dabei fiel das Wort „hochinnovativ“ mehrmals.
„Ein bisschen innovativ übertreiben ist schliesslich keine Sünde“, meinte Jeremy.
 
Schliesslich gilt es, einen guten Eindruck zu schinden“, gab ihm Edouard recht.
 
„Aber wo sind die Grenzen zu setzen“, gab Arnold zu bedenken „innerhalb des Berufs und auch im Privatleben?“
Dieses Thema zapften sie bei einer 2. Flasche Wein an. Sie einigten sich, dass sich Übertreibungen am leichtesten bei der persönlichen Vorstellung und bei der Darstellung vergangener „Hochleistungen“ einschleichen. Man verschönert und retouchiert seine Selbstdarstellung.
 
„Da sind wir alle schuldig, mehr oder weniger, aber wir machen uns kaum ein Gewissen daraus“, schmunzelte Edouard und beschnüffelte mit Kennermiene den Weinkelch: „So ein Spitzenwein, ein tolles Bouquet, auf einen Blick von der Etikette ablesbar!“
„So spielst du dich jetzt als Weinkenner auf – dank der Etikette...“, spöttelte Jeremy.
 
Die Geschichte vom „SalPeter“
„Warum sollen wir uns hier selbst durchleuchten?“, wandte Arnold ein, „wir werden dabei mogeln, da etwas auslassen, dort etwas beschönigen. Besser frage ich mich, wie es kam, dass ich einst zum Opfer von jemand wurde, der mich krass und bewusst mit falschen Vorspiegelungen in die Irre geführt und umgarnt hat, und wie  ich mich verhielt, als mir endlich das Licht aufging.“ ‒ „Das ist ein guter Ansatz“, befand Edouard, „setze uns ins Bild, denn mir scheint, dass du auf eine persönliche Erfahrung angespielt hast.“ Arnold zögerte, ehe er seine Geschichte zum Besten gab:
 
„Tatsächlich hat mir einer vor Jahren arg mitgespielt. Ich nenne ihn ,SalPeter’. Dieser Übername steht für den ,schmutzigen Peter’. Nach einem zeitlichen Abstand von 12 Jahren kann ich endlich den ,SalPeter’ in meiner leidlichen Geschichte darstellen. Die alten Wunden sind inzwischen verheilt und vernarbt.“
„Salpeter – Salpetersäure?“, hinterfragte ihn der wissbegierige Jeremy, „meinst du damit die ätzende Wirkung, auf dich und deine Umstände bezogen?“ Arnold nickte: „Salpeter zersetzt das Vertrauen, löst es auf.“
 
„Ich war damals in einer Beratungsfirma in London tätig“, begann Arnold seine Geschichte. „Wir hatten zu viele Aufträge, mehr als mein kleines Team bewältigen konnte. Ich war froh, endlich einen freien Mitarbeiter gefunden zu haben, auf den Verlass war, der analytisch denken konnte und der seine Studien pünktlich ablieferte. Er hatte Mathematik an einer berühmten englischen Universität studiert. Seine Bescheidenheit imponierte mir. Er fuhr in einem alten Auto vor, als er die Berichte bei mir ablieferte. Mein Vertrauen in seine beruflichen Fähigkeiten wuchs, und ich fühlte mich zunehmend kameradschaftlich, wenn nicht gar freundschaftlich mit Peter verbunden.“
„Ich möchte nicht ewig ein Angestellter bleiben und plane, mich selbstständig zu machen“, gestand ich ihm eines Tages. Einfach sei das nicht, meinte Peter und fügte hinzu: „Jahrelang musste ich mich abrackern, um mich finanziell über Wasser zu halten. Aber es ist mir immerhin gelungen, meinen Kindern die beste Erziehung zu sichern. Auf vieles musste deswegen meine Familie verzichten, seien es Ferien oder andere Annehmlichkeiten“, bekannte er.
 
Arnold fuhr fort: „Monate verstrichen. Eines Tages überreichte mir Peter unverhofft seinen Vorschlag, wie wir uns gemeinsam geschäftlich vorteilhaft verbinden könnten. Er verschaffte mir Einblicke in seine Zwergfirma, immerhin als ,limited company’ registriert. ,Zusammen könnten wir in wenigen Jahren den Umsatz verdreifachen’, weihte er mich in seinen Geschäftsplan ein, der mir einleuchtete. So nahm ich sein Angebot an und kündigte ich 1 Jahr später meine Stellung. Ich erwarb mir einen Aktienanteil von 40 % in seiner Firma zum Einstandspreis von £ 6000.
Schliesslich galt es, uns gegen allfällige Cash-flow-Probleme abzusichern. Das sah ich ein. Nur eines bedingte ich mir zum Glück aus, nämlich eine Firma im Ausland zu gründen, in der mein Anteil 60 % und seiner 40 % war. Ich forderte keinen Preis für seinen Anteil. Es war zwischen uns ausgemacht, dass wir das Einkommen teilen: 50 % er, 50 % ich. Dank meiner Verbindungen kriegten wir einige Grossaufträge, die hauptsächlich über die englische Firma abgewickelt wurden. Sein Bruder, den ich den SalPeter II nenne, ein Immobilienmakler, wurde zum ‚neutralen Beirat‘ unseres Unternehmens bestimmt.
Kaum merkbar, verlor ich die Übersicht über Ausgaben und Einkünfte. Vierteljährlich setzten wir uns zusammen, um den Ausbau der Firma zu planen. SalPeter I und II bestimmten die nächsten Etappen: Zuerst wurde eine, dann kurz darauf eine 2. Sekretärin angestellt. Natürlich gehörte ein entsprechend teures IT-Paket mit dazu. Warum weiterhin Miete für die Büroräumlichkeiten bezahlen? SalPeter II, der Immobilienmakler, wurde damit beauftragt, eine Liegenschaft für uns zu finden. Der Kauf bedingte eine 2. Kapitaleinlage meinerseits … Allerlei Financial-engineering-Mätzchen wurden mir vorgegaukelt, die ich auf gut Treu und Glauben schluckte und auf die ich hier nicht eingehen möchte. SalPeters Frau und seine Kinder waren übrigens ebenfalls Anteilnehmer der Firma“, flocht Arnold noch ein.
 
„Als Folge dieser Investitionen schwanden meine Einkünfte. SalPeter entschied souverän, wie viel und wann mir ein Salärscheck zukam. Wir schränkten unsere Haushaltsausgaben aufs Notwendigste ein und verzichteten auf Ferien und andere Annehmlichkeiten …“
„Dieser SalPeter hat dich ja tüchtig eingeseift“, bemerkte Edouard. Arnold konnte ihm nur beipflichten. „Aber, was willst du?“ gab er zu bedenken. „Da hat man den grössten Teil seiner Karriere in einem seriösen Grossunternehmen abverdient, wo man sich nicht um die Administration zu kümmern brauchte. Item, ich war schlecht gerüstet, um mich als gleichgestellter Mitinhaber in eine Kleinfirma einzufinden.“
 
Einstimmig gaben Jeremy und Edouard zu, dass sie mit ähnlichen Schwierigkeiten auf dem Wege zur Eigenständigkeit zu kämpfen hatten. „Vielleicht nicht ganz so krass wie in deinem Fall. Aber fahre fort“ forderte ihn Edouard auf.
 
„Also denn“, nahm Arnold den Faden wieder auf. „Zwischen Weihnachten und Neujahr, es muss Ende 1987 gewesen sein, stellte ich fest, dass SalPeter bedeutend mehr als ich bezogen hatte. Das traf mich wie ein Faustschlag. Als ich SalPeter deswegen zur Rede stellte, erwiesen sich seine Ausflüchte als fadenscheinig. Ich verweigerte kurzum, den Jahresabschluss zu unterzeichnen und fand einen Anwalt, der mir zur Seite stand. Ein nervenaufreibendes Gerangel entstand zwischen uns und meinem und seinem Anwalt, das sich über Monate erstreckte, um das finanzielle Schlamassel auszubeinen. Ohne mein Wissen hatte SalPeter obendrein ein Bankdarlehen aufgenommen.“
Im Namen der Firma?“ fragte Edouard.
 
„Leider ja. So war ich ebenfalls in Schulden verstrickt. Die Liegenschaft musste mit Verlust verkauft werden, Hypothek und Darlehen zurückerstattet werden. Natürlich stieg ich sofort aus der englischen Firma aus und teilte meinen Stammkunden mit, dass ich meine Geschäfte inskünftig über meine Firma abwickeln werde. Zum Glück hielten sie mir durch und durch die Stange, als Reste von gängigen Projekten über meine Firma abwickelte. Im April 1988 erhielt ich einen Grossauftrag, der mich sanierte.“
 
„So ist SalPeters Milchkuh davon gelaufen“, bemerkte Jeremy treffend. „Wirklich, das war für mich ein jähes Aufwachen, damals zwischen Weihnachten und Neujahr“, gestand Arnold aufseufzend und nahm einen tüchtigen Schluck Wein. „Nachträglich kann man sich bloss wundern, wie treuherzig man sein kann. Es fehlte nicht an Vorboten, die mich hätten warnen sollen.“
 
Arnold schloss seine Erzählung so ab: „SalPeter lebte mit seiner Familie in einem bescheidenen Bungalow, in einer Ortschaft unweit der Autobahn. Kurz vor Eintritt in seine Firma lud er uns an einem Sonntag zum Mittagessen ein. Alles war so heimelig eingerichtet. Ein alter Hund lag vor dem Kaminfeuer, eine Katze strich mir um die Beine. Sein Sohn und seine Tochter waren mit dabei. Das Familiensilber prunkte auf dem Esstisch. Nebenbei bemerkte Peter sich gleichsam fürs Bungalow entschuldigend: ‚Meine Frau hat Herzbeschwerden und darf deshalb keine Treppen mehr hochgehen.’ Als wir zusammenarbeiteten, verkaufte er das Bungalow und zog in ein grösseres, fast feudales 3-stöckiges Haus in der Nähe über und lud mich zum Afternoon tea ein und zeigte mir stolz das Haus. Wie flink und hurtig seine Frau uns auf der Treppe voran ging! Fast wäre ich versucht gewesen, sie zum verbesserten Zustand ihres Herzens zu beglückwünschen.
 
In kurzen zeitlichen Abständen genoss er mehrere verlängerte Ferien, die ich ihm und seiner Familie gönnte, wobei ich als ,Ladenhüter’ amtete und bis spät abends arbeitete. Am Ende des 1. Jahres, schon vor Weihnachten und bis zum 5. Januar, fesselte ihn eine hartnäckige Grippe ans Haus. Ich fuhr bei allem Wetter auf der Autobahn zum Büro und spätabends wieder zurück. Eines Tages hatte es geschneit, die Seitenstrasse war vereist, und ich konnte mein Auto nicht starten. Was tun? Ich telefonierte Peter und bat ihn, mich abzuholen und zur Bahnstation zu fahren. Eher widerwillig erschien er – und reichte mir unterwegs ein Zettelchen mit der Nummer eines Taxiunternehmens mit der Empfehlung seiner Frau, in Zukunft ein Taxi zu mieten … Mit seiner Grippe konnte es so schlimm nicht gewesen sein, denn als erzkatholische Familie hatten sie allesamt der Mitternachtsmesse beigewohnt, erfuhr ich nebenbei. Genug davon“, liess Arnold seine Geschichte fahren.
 
Arnolds Zuhörer bemerkten spontan: „Auch wir haben ähnliche Erfahrungen einstecken müssen.“ Aber die Zeit fehlte an jenem Abend und auch jetzt, um diese leidliche Geschichte fortzuspinnen.
 
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